Auf der Suche nach Identität: Die Naga-Ausstellung im Humboldt Forum

20.06.2019Auf der Suche nach Identität: Die Naga-Ausstellung im Humboldt Forum

Zubeni Lotha ist Angehörige der Naga, einer Volksgruppe von gut vier Millionen Menschen, die im Nordosten des indischen Subkontinents leben. In Zusammenarbeit mit dem Kurator Roland Platz ist Zubeni Lotha mit weiteren Angehörigen der Naga-Kultur an der Ausarbeitung eines Konzepts für die Präsentation der Naga-Sammlung des Ethnologischen Museums (EM) im Humboldt Forum beteiligt.

Die Fragen stellte Friederike Schmidt.

Zubeni Lotha ist an der Ausarbeitung der Naga-Ausstellung im Humboldt Forum beteiligt
Zubeni Lotha ist an der Ausarbeitung der Naga-Ausstellung im Humboldt Forum beteiligt © Christoph Mack

Wann sind Sie das erste Mal mit der Sammlung des Ethnologischen Museums in Kontakt gekommen und haben Sie einen persönlichen Bezug zur Sammlung?

Zubeni Lotha: 2014 besuchte Roland Platz, der Kurator der Sammlung Süd/Südostasien des Ethnologischen Museums das Nagaland während des Hornbill-Festivals. Während des Festivals fanden anthropologische Vorlesungen, die „Hutton Lectures“ statt. Ich zeigte dort meine Photographien. Ihm gefielen die Arbeiten und wir unterhielten uns über Museen im Allgemeinen. 2015 lud er mich dann nach Berlin ein, da er dort eine weitere Ausstellung im Dahlemer Museum kuratiert hatte. Damals kam ich das erste Mal in Kontakt mit der Sammlung und dem Museum. Ich habe keine persönliche Verbindung zur Sammlung in der Art wie ein Anthropologe sie hat, da ich ja Photographin bin. Ich wurde in das Projekt einbezogen, da Roland Platz und sein Team jemanden aus der Herkunftsgesellschaft der Sammlung im Team haben wollten. Sie wollten eine andere Perspektive einbringen, die eines Nicht-Anthropologen.

Wussten Sie etwas über die Sammlung, bevor Sie in Kontakt zu Roland Platz standen?

Nein. Wir wissen selber sehr wenig über die Naga-Sammlungen, die in der ganzen Welt verstreut sind. Eigentlich war die Sammlung in Berlin eine richtige Überraschung für mich. Ich kannte die Sammlungen in Oxford, Cambridge und Zürich, aber nicht die in Berlin.

Sie sind in die Entwicklung des Ausstellungskonzepts der Sammlung im Humboldt Forum involviert. Wie hat die Zusammenarbeit bisher ausgesehen?

Ich war seit dem Beginn der Arbeiten am Konzept Teil des Teams. Die Zusammenarbeit hat sich bisher als recht interessant gestaltet, denn wir haben alle sehr unterschiedliche kulturelle Hintergründe. Obwohl ich immer sage, dass man nicht seine eigenen kulturellen Vorurteile, Befangenheiten oder Werte einbringen soll, macht man es trotzdem automatisch, denn wir sind alle zu großen Teilen durch unser Umfeld sozialisiert. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen kulturellen Hintergründe und unterschiedlichen Meinungen war es sehr interessant, zusammen das Konzept zu erarbeiten. Eine zweite Sache war auch sehr herausfordernd: Mein Hintergrund ist die „gelebter Erfahrung“. Ich habe versucht, meine Ansichten und als jemand aus der Naga-Gemeinschaft zu vermitteln, während die studierten Anthropologen und Kuratoren seit vielen Jahren die Objekte betrachtet und damit gearbeitet haben. Das war auf der einen Seite herausfordernd, aber auch sehr gewinnbringend, denn wir haben viel voneinander lernen können und lernen immer noch viel voneinander.

Welche Perspektive können Sie für die Ausstellung im Humboldt Forum beisteuern?

Ich hoffe, dass ich niemanden vor den Kopf stoße, wenn ich sage, dass sich meine Betrachtungen und Sichtweisen sehr von denen der studierten Anthropologen unterscheiden. Sie haben gelernt, Objekte, insbesondere materielle Kultur, auf eine bestimmte Art und Weise zu betrachten. Ich denke, dass ich sie immer wieder dazu bringe, die Objekte mit einem anderen Blick zu betrachten und den festgesteckten Rahmen, in dem ein Anthropologe denkt, zu verlassen. Ich denke, dass ich dies beigetragen habe.

Zubeni Lotha im Depot des Ethnologischen Museums in Dahlem
Zubeni Lotha im Depot des Ethnologischen Museums in Dahlem © Christoph Mack

Inwieweit ist die Auffassung von Identität wichtig in der heutigen Naga-Kultur?

Als wir mit dem Projekt starteten, haben wir uns mit den verschiedensten Bereichen befasst: Kultur, Tradition, Material, den Objekten an sich. Für mich als Naga wurde das Thema Identität immer wichtiger. Die Identität der Naga wird immer noch gebildet. Wenn wir also als Team über Identität reden, Identität erwähnen, das Thema Identität streifen, Identität betrachten, wird offensichtlich, wie relevant das Thema ist, denn dies sind Fragen, die sich die heute lebenden Naga tatsächlich auch stellen. Sie versuchen, sich zu definieren und ihre Identität zu finden. Wir haben uns deshalb besonders der Frage zugewandt, wie sich die Naga-Identität herausbildet. Wenden sie sich der Vergangenheit zu? Spielt Tradition dabei eine wichtige Rolle? Sind Religion oder Politik wichtige Elemente dabei? In der Ausstellung spielen diese Fragen eine wichtige Rolle.

Ohrringe der Naga
Ohrringe der Naga © Christoph Mack

Wie stellen Sie dies in der Ausstellung dar?

Ich wollte die Vergangenheit nicht zu sehr fokussieren. Ich weiß, dass ein Museum ein Ort ist, in dem die Vergangenheit gesammelt wird, man verschiedene Kulturen betrachten kann und die materielle Kultur von verschiedenen gesellschaftlichen Systemen zusammenbringt. Dennoch möchte ich nicht nur in der Vergangenheit feststecken. Die Objekte der Naga mögen zwar in einem Museum sein, dennoch spielen sie immer noch eine große Rolle in der Gegenwart. Sie sind keineswegs tote Objekte. Sie haben vielleicht ihre ursprüngliche Bedeutung und ursprüngliche Funktion verloren, sie werden aber dennoch gelebt, neu interpretiert und auf die unterschiedlichsten Arten und Weisen benutzt. In der Ausstellung wollte ich sowohl die Vergangenheit als auch die Verbindung zur Gegenwart zeigen.

Es gibt noch einen weiteren Aspekt: die Naga sind keine homogene, sondern eine sehr heterogene Gruppe: Es gibt mehr als dreißig verschiedene Sprache  und mindestens genauso viele verschiedene Ausprägungen der Lebensweisen, Werte, Traditionen und Kulturpraktiken. Die Naga sind eine sehr diverse Gruppe.

Diese Aspekte sind alle sehr wichtig für die Bildung der Naga-Identität: Die Neuerfindung der Vergangenheit für die Gegenwart ist ein wichtiges Narrativ in der Suche nach der Identität. Wir werden versuchen, dies durch moderne Objekte, Objekte der Vergangenheit und Fotographien zu zeigen. In der Ausstellung wird es auch einen Zeitstrahl über die Geschichte der Naga geben, denn es gibt auch politische Bestrebungen für Selbstbestimmung als autonomer Staat, losgelöst von der indischen Regierung. Wir wollen all dies mit verschiedenen Medien zeigen: Objekte, Videostationen, Photographien und Kunstinstallationen.

Was soll der Besucher der Ausstellung im Humboldt Forum erleben?

Ich würde mir wünschen, dass der Besucher der Ausstellung die Welt der Naga erlebt: eine sehr diverse Kultur, die sehr unterschiedlich von der westlichen Kultur ist. Dies soll durch den Besuch des Museums geschehen, indem die Besucherinnen und Besucher die Sammlung und die Objekte betrachten. Ich hoffe, dass sie einen Eindruck davon bekommen wer die Naga sind, denn wir leben in einer diversen und multikulturellen Welt. Es ist immer gut, sich mit anderen Kulturen zu beschäftigen, damit man eine weitere Perspektive von der Welt bekommt und nicht den Eindruck bekommt, dass die Welt in der man lebt, alles ist. Es gibt verschiedene Meinungen, verschiedene Werte und verschiedene Kulturen. Ich denke, dass wir die Art und Weise wie wir miteinander kommunizieren verbessern können, wenn wir versuchen diese Kulturen und Meinungen zu verstehen und uns mit ihnen befassen.

Ich wünsche mir auch, dass die Besucher anfangen, Fragen über die koloniale Vergangenheit zu stellen, denn wir sind eine Bevölkerungsgruppe, die kolonialisiert wurde. Ich würde mir wünschen, dass die Leute verstehen, welche Auswirkungen Kolonisierung auf kleine communities hat.

Roland Platz über die Naga-Sammlung des Ethnologischen Museums

Roland Platz, Kurator für Süd-/Südostasien im Ethnologischen Museum, über die Naga-Sammlung, wie sie nach Berlin kam und was für die Neupräsentation im Humboldt Forum geplant ist.

Können auch die Naga von der Ausstellung der Sammlung im Humboldt Forum profitieren?

Auf jeden Fall! Der größte Gewinn wäre, wenn mehr Naga auf die Sammlung aufmerksam würden und Zugang zur Sammlung bekämen. Die Naga haben viel Wissen über ihre Vergangenheit verloren und die meisten Artefakte aus ihrer Vergangenheit sind in Museen in Berlin, Großbritannien oder anderen Teilen der Welt aufbewahrt. Es wäre sehr nutzbringend für die Naga, wirklichen Zugang zu diesen zu erhalten. Ich weiß nicht, wie das vonstattengehen wird, aber ich hoffe sehr, dass dies eines Tages möglich sein wird. Ich hoffe auch, dass sie die Vergangenheit mit der Gegenwart in Verbindung bringen, viel mehr, als ich es jetzt schon tue.

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