Doppelt wichtig: Eisenzeit/ ЖЕЛЕЗНЫЙ ВЕК

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Seit dem 10. November 2020 ist in der Staatlichen Eremitage St. Petersburg eine auf mehreren Ebenen bedeutende Ausstellung zu sehen: „Eisenzeit. Europa ohne Grenzen“ ist ein weiterer wichtiger Baustein in der langen deutsch-russischen Zusammenarbeit. Nebenbei lassen die Objekte aus dem 1. Jahrtausend v. Chr. eine überaus spannende und dynamische Zeit lebendig werden

„Eisenzeit – Europa ohne Grenzen“ präsentiert Kulturen des ersten vorchristlichen Jahrtausends aus dem riesigen Gebiet zwischen Atlantik im Westen sowie Ural und Kaukasus im Osten. Erstmals können sich interessierte Besucher*innen ein vollständiges Bild machen, das den ganzen Kontinent umfasst. Gegliedert werden die Funde nach kulturhistorisch‐chronologischen sowie geografischen Bereichen, wobei auch Kontaktzonen zwischen den Kulturen eine wichtige Rolle einnehmen. Im Zentrum aber stehen die 1945 kriegsbedingt aus Berlin in die Sowjetunion verlagerten Objekte. Darüber hinaus stellen die Staatliche Eremitage St. Petersburg, das Staatliche Historische Museum Moskau, das Staatliche Museum der Bildenden Künste A. S. Puschkin und das Museum für Vor‐ und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin bedeutende Exponate zur Verfügung, damit die europäische Eisenzeit erstmals in dieser Form einem breiten Publikum präsentiert werden kann.

Rechteckiges bronzenes Gürtelblech mit getriebener, figürlicher Verzierung

Rechteckiges bronzenes Gürtelblech mit getriebener, figürlicher Verzierung im sogenannten Situlenstil. Ende 6. – Anfang 5. Jh. v.Chr.; Fundort Stična, Slowenien © Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte / Foto: K. Goeken

Unter den Exponaten kommt jenen etwa 800 Objekten eine zentrale Rolle zu, die aufgrund des Zweiten Weltkriegs verlagert worden waren. Die Sammlung der damals noch Vorgeschichtlichen Abteilung der Königlichen Museen zu Berlin wuchs vor allem während des Deutschen Kaiserreichs bis 1918 und erreichte schließlich einen Rang von europäischer Bedeutung. Funde aus allen vor‐ und frühgeschichtlichen Perioden sowie aus verschiedenen Teilen Europas und über dessen Grenzen hinaus gelangten nach Berlin, darunter so berühmte wie der paläolithische Schädel von Le Moustier in Frankreich, der bronzezeitliche Schatzfund von Eberswalde, die hallstattzeitlichen Grabfunde aus Stična in Slowenien oder die Sammlung trojanischer Altertümer Heinrich Schliemanns.

Für die Sammlung wie für die gesamte Berliner Museumslandschaft bedeutete der Zweite Weltkrieg einen tiefen Einschnitt. Schon zu Beginn 1939 wurde die Sammlung des Museums für Vor‐ und Frühgeschichte im damaligen Kunstgewerbemuseum, im Gebäude des heutigen Gropius Bau, eingepackt, weggebracht und an verschiedenen Orten innerhalb und außerhalb Berlins gelagert. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kam alles, was nicht durch Bombeneinwirkung im Kunstgewerbemuseum zerstört wurde, in die britischen und US‐amerikanischen „Collecting Points“ in Celle und Wiesbaden sowie in die Sowjetunion.

In Berlin gelang es während der 1950er‐ Jahre in mühsamer Arbeit, die Museen wiederaufzubauen und zu öffnen – im Westteil der Stadt vor allem mit den im Schutt des zerstörten Kunstgewerbemuseums geborgenen Gegenständen und den Objekten, die aus Celle und Wiesbaden zurückkehrten, im Osten durch die Rückführung von Sammlungsgegenständen aus der Sowjetunion in den Jahren 1956 und 1958. Doch große Teile der Sammlung galten weiterhin verschollen, darunter zahlreiche herausragende Gegenstände aus den drei „Goldkisten“ – so nannten Eingeweihte Kisten, in denen die kostbarsten Funde des Museums für Vor‐ und Frühgeschichte aufbewahrt wurden.

Seit der Wiedervereinigung der Staatlichen Museen zu Berlin und ihrer Sammlungen aus beiden Teilen der Stadt rückte auch die Frage nach dem Verbleib der seit 1945 verschollenen Gegenstände in den Fokus. Mit Beginn der Perestroika verdichteten sich Hinweise, dass zahlreiche Objekte aus den früheren Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin in russischen Museen zu finden sein könnten. Noch bis 1993 unterlagen die verbrachten Kulturgüter in Russland einer strengen Geheimhaltung..

Blick in eine Ausstellungssituation mit Archäologischen Objekten
Eisenzeit-Saal im Neuen Museum Berlin © Claudia Plamp
Keramikobjekte in einem offenen Gitterschrank im Depot (öffnet Vergrößerung des Bildes)
Das Berliner Museum für Vor‐ und Frühgeschichte beteiligt sich mit zahlreichen Leihgaben, die überwiegend als Ergänzungen zu jenen gezeigten Objekten von Fundorten, Gräbern und Hortfunden ausgewählt wurden, die kriegsbedingt verlagert in die Sowjetunion gelangten. © SPK / photothek.net / Janine Schmitz
Rechteckiges bronzenes Gürtelblech mit getriebener, figürlicher Verzierung (öffnet Vergrößerung des Bildes)
Ein bronzenes Gürtelblech mit getriebener, figürlicher Verzierung aus dem Fundkomplex Stična (Slowenien) reist nach St. Petersburg © SPK / photothek.net / Janine Schmitz
Frau mit Handschuhen hält eine Keramikflasche mit flachem, breitem Bauch und schmalem Hals auf einem Tisch (öffnet Vergrößerung des Bildes)
Auch diese Linsenflasche aus der Sammlung des Museums für Vor- und Frühgeschichte bereichert als Leihgabe die Ausstellung in der Eremitage © SPK / photothek.net / Janine Schmitz
Hände packen ein in Papier eingepacktes Objekt in eine Kiste mit Schaumstoffauskleidung (öffnet Vergrößerung des Bildes)
Die Objekte werden sorgsam für den Transport nach Russland verpackt © SPK / photothek.net / Janine Schmitz
Pappkarton mit gestapelten nummerierten Schaumstofflagen (öffnet Vergrößerung des Bildes)
Akkurat beschriftete Schaumstoffschichten schützen die Objekte bei der Reise © SPK / photothek.net / Janine Schmitz
Flache offene Holschachtel mit mehreren kleineren Metallobjekten  (öffnet Vergrößerung des Bildes)
Auch kleinere Objekte werden für die Ausstellung „Eisenzeit – Europa ohne Grenzen“ ausgeliehen © SPK / photothek.net / Janine Schmitz
Ein Mann mit einem Blatt Papier studiert ein vor ihm liegendes Metallobjekt in Form eines Kriegerhelms (öffnet Vergrößerung des Bildes)
Archäologe Manfred Nawroth sorgt dafür, dass die Berliner Objekte richtig eingepackt werden © SPK / photothek.net / Janine Schmitz
Tisch mit einem Metallhelm, einem Pappkarton und verschiedenen Schaumstoffteilen in unterschiedlichen Größen (öffnet Vergrößerung des Bildes)
Die wertvollen Objekte erhalten eine passgenaue Reiseverpackung © SPK / photothek.net / Janine Schmitz
Menschengruppe blickt in Museumsvitrine
Im Juni 2013 wurde die Ausstellung „Bronzezeit – Europa ohne Grenzen“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Wladimir Putin eröffnet. Sie war in St. Petersburg und Moskau zu sehen. © Bundesregierung / Denzel
Linsenflasche mit Tierfries, Keramik
Aus der Sammlung des Museums für Vor- und Frühgeschichte: Linsenflasche mit Tierfries, Keramik, 5. Jh. v. Chr. aus einem Grabhügel im Wald bei Matzhausen, Bayern © Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte / Foto: Claudia Klein
Mensch untersucht archäologische Objekte am Schreibtisch
In Vorbereitung auf die deutsch-russischen Ausstellungen „Merowingerzeit“ (2007) und „Bronzezeit“ (2013) konnten deutsche Fachleute 2003 kriegsbedingt verlagerte Objekte in russischen Depots untersuchen © SPK / Peter-Klaus Schuster

Auf in die Eisenzeit!

Die Diskussion zum weiteren Umgang mit den Objekten erfolgte zunächst vor allem unter dem Aspekt einer möglichen Rückführung. Schnell erkannten die zuständigen Mitarbeiter, dass für Identifikation weiterer im Krieg verlorener Objekt, die in russischen Sammlungen verwahrt werden, eine Zusammenarbeit der Museen aus beiden Ländern die Grundlage bilden muss. 1996 zeigte das Puschkin‐Museum die Ausstellung „Der Schatz aus Troja“, womit das so genannte Schliemanngold erstmals seit 1939 wieder öffentlich präsentiert wurde.

1998 begründeten die Eremitage und das Berliner Museum für Vor‐ und Frühgeschichte ihre Zusammenarbeit mit der Ausstellung „Schliemann – Petersburg – Troja“. Das Auftauchen des „Schatzes des Priamos“ und weiterer Teile der Schliemannsammlung war damals eine Sensation. Aufgrund des großen Erfolgs dieser Kooperation entwickelten die beiden Partner Ideen für eine Ausstellung „Merowingerzeit – Europa ohne Grenzen“, für die das Puschkin‐Museum und auch das Staatliche Historische Museum Moskau gewonnen werden konnten. Das gemeinsame Vorhaben wurde, wurde 2007 verwirklicht und kann als der richtungsweisende Schritt für die wissenschaftliche Zusammenarbeit der Fachleute aus deutschen und russischen Museen verstanden werden. Noch während „Merowingerzeit – Europa ohne Grenzen“ gezeigt wurde kamen die Verantwortlichen der vier beteiligten Museen aus Deutschland und Russland überein, die erfolgreiche Kooperation in der Reihe „Europa ohne Grenzen“ fortzusetzen

2013 konnte die Ausstellung „Bronzezeit – Europa ohne Grenzen. 4.–1. Jt. v. Chr“ in der Eremitage St. Petersburg und im Staatlichen Historischen Museum Moskau gezeigt werden. Beide führen exemplarisch vor Augen, wie Kontakte und Kooperationen von Fachwissenschaftlern das Gerüst eines stabilen Netzwerks der deutschen und russischen Kultureinrichtungen bilden.

Durch das fruchtbare Klima erhalten deutsche Wissenschaftler immer öfter ungehindert Einblick in die russischen Depots, ein für die weitere Lokalisierung und Identifizierung verlagerter deutscher Kulturgüter unerlässlicher Schritt. Noch 2013 traf man ein Übereinkommen, die Ausstellungsreihe mit der Eisenzeit fortzusetzen und die positiven Erfahrungen bei der Identifikation lange als verschollen geltender Kulturgüter auf ein nächstes Kapitel zu übertragen. Die Idee zur Ausstellung „Eisenzeit – Europa ohne Grenzen“ war geboren.

Im Zentrum der Ausstellung stehen die 1945 kriegsbedingt in die Sowjetunion verlagerten Objekte des Museums für Vor- und Frühgeschichte. Die Gegenstände werden erstmals seit 1939 wieder öffentlich präsentiert, die zusammengeführten Fundkomplexe durch Exponate aus dem Berliner Museum für Vor‐ und Frühgeschichte ergänzt. Die kulturgeschichtliche Entwicklung in Gesamteuropa wird durch weitere Leihgaben aller beteiligten Museen in St. Petersburg und Moskau mit etwa 1500 Objekten umfassend dargestellt. Damit gelingt es, die europäische Vorgeschichte des 1. Jt. v. Chr. der Öffentlichkeit zu präsentieren. Zahlreiche gezeigte Objekte lassen sich der Hallstatt‐ und Latènekultur zuordnen. Auch die Nachbarräume in der Zone nördlich der Mittelgebirge sind mit den späten Lausitzer Kulturgruppen, der Hausurnen‐ und Gesichtsurnenkultur und der Jastorfkultur präsent.

Die Verwendung von Eisen lässt sich erstmals für das späte 2. Jt. v. Chr. in Kleinasien nachweisen. Von dort aus trat das neue Metall, der Bronze an Zähigkeit und leichterer Verfügbarkeit überlegen, seinen weiteren Siegeszug an. Mit der Gründung griechischer Kolonien im Mittel‐ und Schwarzmeerraum sowie dem damit verbundenen weiträumigen Handel kam es zum Kontakt mit den nördlich und östlich angrenzenden „Barbaren“, die die fremden kulturellen Einflüsse bereitwillig aufnahmen. Gesellschaften mit starker sozialer Differenzierung entstanden.

In Italien bildete sich die Hochkultur der Etrusker aus. Zwischen Alpen und Mittelgebirgen dominierte in der älteren vorrömischen Eisenzeit die Hallstattkultur. Während in ihrem westlichen Verbreitungsgebiet im 5. Jh. v. Chr. die keltische Latènekultur entstand, behauptete sich die Osthallstattkultur bis ins 3. Jh. v. Chr. Dieser östliche Raum war zudem wichtige Kontaktzone zu den aus der eurasischen Steppe nach Westen vordringenden reiternomadischen Kulturen der Skythen und später auch der Sarmaten.

Von der Ausbreitung der keltischen Kultur während der Zeit der Wanderungen ab dem 4. Jh. v. Chr. geben Gegenstände aus Spanien, Italien, Südosteuropa bis in die Türkei Zeugnis. Aus den Gebieten rund um das Schwarze Meer sind die materiellen Hinterlassenschaften der reiternomadischen Skythen und Sarmaten genauso in der Ausstellung vertreten wie jene des Bosporanischen Reiches. Schließlich ergänzen die Kulturen der sich nördlich an das Steppengebiet anschließenden Waldzone im europäischen Teil Russlands und die Kobankultur im Kaukasus das Bild von der Vielfalt der Kulturen während der vorrömischen Eisenzeit.

Das Berliner Museum für Vor‐ und Frühgeschichte beteiligt sich mit zahlreichen Leihgaben, die überwiegend als Ergänzungen zu jenen gezeigten Objekten von Fundorten, Gräbern und Hortfunden ausgewählt wurden, die kriegsbedingt verlagert in die Sowjetunion gelangten. Ein Beispiel hierfür ist das im Stil der Situlenkunst figürlich verzierte Gürtelblech aus dem hallstattzeitlichen Gräberfeld von Stična. Ein Teil der dort geborgenen Funde befindet sich heute in der Staatlichen Eremitage St. Petersburg. Auch die Linsenflasche von Matzhausen mit dem ungewöhnlichen eingravierten Tierfries ist in der Ausstellung zu sehen. Ein anderes Beispiel ist das Fragment eines bronzenen Beschlags mit der Darstellung einer menschlichen Gestalt und einer Tierdarstellung, das wahrscheinlich aus Kartli in Georgien stammt und stilistisch dem zum skythisch‐maiotischen Kunstkreis und jenem der Kaukasusregion nahesteht. Ein vollständig erhaltenes Gegenstück, das sich bis Kriegsende ebenfalls in Berlin befand, wird heute in der Eremitage aufbewahrt.

Bereichert wird die Ausstellung durch die Leihgaben der russischen Museen aus St. Petersburg und Moskau. Zu bestaunen sind Meisterwerke der skythischen Goldschmiedekunst aus den Königskurganen von Solocha, Kelermes, Tschastye oder Tschertomlyk und Kul‐Oba, um nur einige zu nennen. Zu den kriegsbedingt verlagerten Objekten aus diesem Kulturraum gehören auch zwei geschnitzte zoomorphe Knochenplättchen von der Halbinsel Taman, denen große Bedeutung für den Einfluss des skythischen Kunstschaffens auf den keltischen Stil beigemessen wird.

Zwei Fundkomplexe stehen exemplarisch für die Bedeutung der „Eisenzeit-Ausstellung“: Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs befinden sich 34 kurvolinear verzierte Bronzegegenstände aus dem italienischen Comacchio in St. Petersburg. Sie werden zu den Meisterwerken des frühkeltischen Waldalgesheimstils gezählt. Mitte des 19. Jh. wurde die Bestattung von Besseringen im Saarland freigelegt, die zu einer Gruppe bedeutender frühkeltischer Fürstengräber gehört. Von der Grabausstattung befinden sich heute die bronzenen Wagenbeschläge eines zweirädrigen Streitwagens in Berlin, während die bronzene Schnabelkanne in die Eremitage nach St. Petersburg und der goldene Halsreif in das Puschkin‐Museum gelangten. Auf der einen Seite zeigt dies, welch absurde Aufteilungen der Funde die Folgen des Zweiten Weltkriegs für die Sammlungen mit sich brachten, auf der anderen Seite aber auch, wie wichtig der deutsch‐russische Dialog und die damit verbundene museale Zusammenarbeit sind, damit so wichtige Objekte nach mehr als 80 Jahren wieder in das Bewusstsein von Öffentlichkeit und Forschung zurückkehren.


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