Überraschende Erinnerungen: Die Omaha in Berlin

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Die Omaha (Umoⁿhoⁿ) kämpfen in den USA um das Überleben ihrer Kultur. Eine historische Sammlung von Artefakten in Berlin eröffnet einer Delegation des Nebraska Indian Community College nun einen tiefen Blick in die Vergangenheit der Umoⁿhoⁿ.

Wynema Morris musste weinen, als sie die Leggings sah. Sie erinnerte sich sofort an ihre eigene Jugend im Reservat der Omaha (Umoⁿhoⁿ) in Nebraska. „Wenn wir zu einem Pow-Wow gehen wollten, haben meine Schwester und ich unsere Kleider selbst genäht“, erzählte sie. „Wir haben nachgeahmt, was wir von anderen kannten, aber unsere Mutter sagte immer: ‚Ihr müsst Leggings nähen! Umoⁿhoⁿ-Mädchen tragen Leggings zum Rock‘.“ Morris und ihre Schwester glaubten der Mutter nicht. Wer wusste schon genau, was ihre Vorfahren wirklich getragen, wie sie tatsächlich gelebt hatten? Über 100 Jahre US-amerikanischer Assimilationspolitik, verbunden mit alltäglichen Erfahrungen von Gewalt, Rassismus und Unterdrückung, hatten die alten Traditionen und das überlieferte Wissen verblassen lassen. Nur wenige Erinnerungen hatten im Reservat überlebt.

Pierre Merrick ist Nachfahre des amerikanischen Ethnologen Francis La Flesche.
Pierre Merrick ist Nachfahre des amerikanischen Ethnologen Francis La Flesche. © Christioph Mack
Der Federkopfschmuck, der einst von einem Häuptling getragen wurde, existiert in der Heimat der Omaha nicht mehr.
Der Federkopfschmuck, der einst von einem Häuptling getragen wurde, existiert in der Heimat der Omaha nicht mehr. © Christoph Mack

Doch an diesem Novembertag 2018 im Depot des Ethnologischen Museums in Dahlem wurde Wynema klar: Ihre Mutter hatte Recht gehabt – Umoⁿhoⁿ-Mädchen haben tatsächlich Hosen zum Pow-Wow getragen. Und auch viele andere verlorene Erinnerungen an die eigene Kultur konnten während des Besuches der Delegation des Nebraska Indian Community College (NICC) wieder zum Leben erweckt werden. Denn im Depot des Berliner Museums lagern nicht nur originale Kleidungsstücke, sondern insgesamt 60 Objekte der Alltagskultur der Umoⁿhoⁿ. Sie repräsentieren Lebensbereiche wie Zeremonien, Krieg, Essen und Spiel und gelangten vor 120 Jahren in das Museum.

Der Ethnologe und Gründungsdirektor des Berliner Museums für Völkerkunde, Adolf Bastian, hatte 1898 den amerikanischen Ethnologen Francis La Flesche beauftragt, die Sammlung zusammenzustellen. Das Besondere an diesem Arrangement: La Flesche war selbst ein Umoⁿhoⁿ, aufgewachsen im Reservat in Nebraska, der ab den 1880er Jahren als Ethnologe am Smithsonian Institute arbeitete und sich für die Bewahrung indigener Traditionen einsetzte. Die Berliner Sammlung wurde von La Flesche nach der Maßgabe aufgebaut, dass sie die Lebensweisen und Traditionen seiner Kultur repräsentieren sollte.

Doch La Flesches Sammlung war kein Abbild der tatsächlichen Lebensrealität im Umoⁿhoⁿ-Reservat, sondern produzierte ein nostalgisches Bild einer Kultur, die Ende des 19. Jahrhunderts bereits nicht mehr in dieser Form existierte. Die Umoⁿhoⁿ hatten ihre traditionelle Lebensweise als Büffeljäger in der Prärie schon Jahrzehnte vorher aufgegeben – nicht zuletzt, weil die Tiere durch exzessive Bejagung nahezu ausgerottet waren. Dennoch sind die Objekte in einem guten Erhaltungszustand und eine umfangreiche Dokumentation, die La Flesche selbst zusammengestellt hat, enthält weitere tiefergehende Informationen. So erlaubt das Konvolut einen detailreichen Blick in die Vergangenheit der Umoⁿhoⁿ-Kultur.

Es geht den Umoⁿhoⁿ wie vielen anderen Native Americans: Ihre Kultur wird kaum wertgeschätzt, ihr wurde sogar teilweise die Existenzberechtigung abgesprochen. Infolgedessen ging viel Wissen verloren und die Native Americans kämpfen um den Erhalt ihrer Lebensweisen. Wynema Morris ist Dozentin für Umoⁿhoⁿ Tribal History and Culture am NICC. Sie und ihre Begleiter*innen waren nicht nur von den Frauenhosen überrascht, als sie die Berliner Objekte zum ersten Mal sahen. „Die federbesetzten Kriegerhemden hier in Berlin sind außergewöhnlich“, sagte Wynema, „ich habe noch nie welche in solchem Erhaltungszustand gesehen. Alle, die ich kannte, waren verblasst und vergilbt. Dass sie offenbar tatsächlich immer grün oder blau waren, wie La Flesche es auch beschreibt, hat mich völlig überrascht.“

Die Berliner Sammlung wird Teil der Ausstellung im Humboldt Forum sein. Aus diesem Grund sind die Vertreter des NICC nach Berlin gekommen: Sie wurden eingeladen, gemeinsam mit dem Kurator Ilja Labischinski und einem Team des Ethnologischen Museums und der Stiftung Humboldt Forum die Präsentation zu konzipieren. Sie soll die Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart schließen, denn die an der Ausstellung mitarbeitenden Personen möchten zeigen, dass sie trotz der Assimilationspolitik in den USA noch immer da sind. Darüber hinaus geht es aber auch darum, grundsätzliche Fragen zu stellen: Fühlen sich die Menschen im Reservat durch die Objekte repräsentiert? Gehören die Objekte in ein Museum? Welche Geschichte soll durch sie erzählt werden?

Nachdem die NICC-Delegation im November und Dezember 2018 erstmals die Sammlung La Flesches begutachten konnte und wertvolle Informationen zurück nach Nebraska mitnahm, wurden im Juni 2019 erneut Repräsentanten eingeladen. Es ging weiterhin um die Planungen für die Ausstellungsgestaltung und um den Ausbau der Kooperation zwischen den Staatlichen Museen zu Berlin und dem NICC. Unter anderem stand auch ein Werkstattgespräch in Dahlem mit Hartmut Dorgerloh, dem Intendanten des Humboldt Forums, und Lars-Christian Koch, dem Direktor des Ethnologischen Museums auf dem Programm. Hier betonten die Gäste erneut, wie wichtig die Berliner Sammlung für sie ist. Auch Pierre Merrick, ein Enkel von Francis La Flesche, war bei beiden Besuchen dabei. Er äußerte sich erfreut darüber, dass die einmaligen Objekte erhalten geblieben sind und in Berlin „mit Würde behandelt werden“. Gleichzeitig erinnerte er daran, dass auch es Stimmen gibt, die eine Rückgabe der Objekte in der Zukunft fordern.

Dass die Ausstellung der Objekte im Humboldt Forum gemeinsam mit den Umoⁿhoⁿ und den Nachfahren La Flesches konzipiert werden kann, ist ein Glücksfall für die museale Arbeit. So kann die oftmals rein europäische Perspektive auf Objekte und Kulturen überwunden werden und eine spannende und angemessene Präsentation entstehen, die ab Ende 2020 eröffnet werden soll. Bis dahin wird es sicher noch einige Treffen geben, bei denen Berliner*innen und Umoⁿhoⁿ einiges voneinander lernen können.


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