Vom Kolonialpalast zum Kulturzentrum – Eröffnung des Palais de Lomé in Togo

09.12.2019Vom Kolonialpalast zum Kulturzentrum – Eröffnung des Palais de Lomé in Togo

Den Versuch, eine ehemalige Herrschaftsarchitektur in ein Museum neuer Art zu transformieren, gibt es auch außerhalb Berlins Humboldt Forum: Im togoischen Lomé eröffnete Ende November 2019 ein vielversprechendes Kunst- und Kulturzentrum.

Von Stefan Müchler

Seerosenbecken vor dem Palais
Wer sich dem Palais de Lomé vom Stadtstrand nähert, muss erst einmal an den drei Seerosenbecken vorbei © SPK / Stefan Müchler

Nur durch die Küstenstraße vom schier endlosen Stadtstrand Lomés getrennt, erstreckt sich ein weitläufiger Park mit einem strahlend weißen Palast in seinem Zentrum Richtung Innenstadt. Über die breiten mit Seerosen bewachsenen Wasserbecken wehen Trommelmusik und Gesang; in einiger Entfernung schreiten drei Stelzenläufer anmutig über die benachbarte Rasenfläche. Zur Eröffnung des Palais de Lomé haben sich viel politische Prominenz, Diplomaten, Journalisten und Kulturschaffende eingefunden. Rund 120 Jahre war das Prunkgebäude ein für die breite Öffentlichkeit unzugänglicher Ort. Errichtet ab 1898 während der deutschen Kolonialherrschaft über Togo, diente das Gebäude rund 100 Jahre als Herrschaftssitz bevor es nach schweren Zerstörungen im Zuge sozialer und politischer Unruhen verlassen wurde und zusehends verfiel.

Wer dieser Tage nach langer Abwesenheit wieder hier vorbeikommt, wird seinen Augen kaum trauen. Der ehemalige Gouverneurspalast wurde wieder aufgebaut, im Innern behutsam saniert, der Wildwuchs im Park gelichtet. Was einst in Togo als Symbol der Unterdrückung galt, ist jetzt mit Kunst und Kultur aufgeladen. „Es war ein Ort der Ausgrenzung, ein Ort, der verschlossen und verboten war, und jetzt erstmalig seit seiner Erbauung allen offen steht", erzählt Sonia Lawson, Direktorin des Palais de Lomé und treibende Kraft hinter dem steuerfinanzierten Projekt. Ihr Vorschlag war es, hier nicht nur ein Museum einzurichten, sondern auch den Park mit einzubeziehen und gastronomische Angebote zu schaffen. „Für mich ist der Park genauso wichtig wie das Gebäude selbst,“ sagt Lawson, die plant, Kultur und Natur ganz im Humboldt’schen Geiste miteinander zu verbinden. Der elf Hektar große Botanische Garten mit seinem großen Artenreichtum sei in der gesamten Region ein Unikat. Überall sonst in Westafrika seien solch zentrale Parkanlagen als Filetgrundstücke nach und nach bebaut und damit der Allgemeinheit entzogen worden.

Mann auf Stelzen
Ein Stelzenläufer verzaubert bei der Eröffnung des Palais mit seinem Können © SPK / Stefan Müchler

Vom ehemaligen Herrschaftssitz führen drei sternförmige Alleen in die nahe Innenstadt von Lomé. „Mit seinen breiten Alleen ist das neue Lomé nach Vorstellung der Kolonialherren vom Palast aus geplant worden – eine der Allen führt geradewegs zur ebenfalls von den Deutschen gebauten Kathedrale. Die wechselvolle Stadtgeschichte des traditionellen und kolonialzeitlichen Lomés werden wir in Kürze in der Ausstellung Lomé+ aufgreifen“, berichtet Sonia Lawson. Frühe Fotos der Residenz zeigen den Park mit frisch angepflanzten Jungbäumen. Nun zu mächtigen Baumriesen herangewachsen, säumen sie die Straßen innerhalb des Parks und spenden mit ihrem fast geschlossenen Blätterdach einen angenehmen Schatten. Dämmert es, erheben sich aus ihren Kronen dutzende Flughunde, die das Gelände in großen Schwärmen umkreisen.

Er war der größte und imposanteste Gouverneurspalast im gesamten deutschen Kolonialreich und sollte die Besatzungen vorbeifahrender Schiffe schon aus der Ferne beeindrucken. Um die strategisch ungünstige Lage einer völlig flachen Küste auszugleichen, wurde eigens ein gut drei Meter hoher Sockel vorgesehen, auf dem der eigentliche Palast mit weitgehend importierten Baumaterialien errichtet wurde. Der Entwurf stammte von Gouverneur August Köhler, dem ein repräsentatives, aber dennoch funktionales Gebäude vorschwebte, dass sowohl deutsche, wie auch orientalisch anmutende Stilelemente aufwies. Durch die vorgestellten Arkaden bzw. offenen Laubengänge fiel keine direkte Sonne auf die Innenräume und sorgte so für ein relativ angenehmes Klima. Der zentrale Innenhof brachte eine zusätzliche, stete Durchlüftung. An beiden Seiten begrenzt wurde der Palast von zwei markanten 18 Meter hohen Türmen – einer im Stil einer Ritterburg, der andere architektonisch eher auf der arabischen Halbinsel zu verorten.

Außenansicht des Palais
Vom Kolonialpalast zum Kulturzentrum: Nach 120 Jahren ist der Prunkbau erstmals öffentlich zugängig © SPK / Stefan Müchler

Kurz nachdem Lomé zur Hauptstadt „Togolands“ bestimmt wurde, begann 1898 der Bau, der unter Köhlers Nachfolger Graf von Zech 1905 fertiggestellt werden konnte. Nach den Deutschen kamen die Briten und schließlich die französischen Gouverneure, bis der Prachtbau nach der Erlangung der Unabhängigkeit des Landes im April 1960 als Sitz zweier togoischer Präsidenten diente. Erst Gnassingbé Eyadema ließ einen neuen Präsidentenpalast in direkter Nachbarschaft errichten und fortan wurde das Gebäude zur Unterbringung hochrangiger Gäste genutzt. Auch Franz Josef Strauß, der ein großer Freund Togos und Präsident Eyademas war, residierte hier während seiner zahlreichen Besuche. Mit Ende der Regentschaft Eyademas endete auch das erste Leben des Palastes als Herrschaftssitz und verfiel - vom togolesischen Militär während blutiger Aufstände zusammengeschossen – zusehends.

Seinen Dornröschenschlaf beendete rund 20 Jahre später ausgerechnet Eyademas Sohn Faure Gnassingbé, amtierender Präsident Togos, der rund 3,5 Millionen Euro für die Sanierung bereitstellte. „Den Palast dem Publikum zu öffnen war eine Idee des Präsidenten“, so Sonia Lawson. „Wir haben lange recherchiert, aber kein anderes Kunst- und Kulturzentrum in Afrika finden können, das ausschließlich durch Steuergelder errichtet wurde.“

Während eines Staatsbesuchs in Deutschland im vergangenen Jahr traf Präsident Gnassingbé mit Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zusammen, um ihm das Palais de Lomé vorzustellen und eine Kooperation der beiden Institutionen anzuregen. In diesem Zusammenhang besuchte die Delegation auch die Baustelle des Humboldt Forums. Im Ausstellungsbereich des Ethnologischen Museums werden im Schaumagazin Afrika zukünftig auch einige Objekte aus Togo ausgestellt.

Zentral in Lawsons Konzept war es die Spuren der Vergangenheit zu erhalten. Überhaupt sei die Geschichte des Ortes sehr wichtig und werde durch hierin speziell geschulte Guides vermittelt. Die Besucherinnen und Besucher sollen sehen und fühlen, dass sie sich nicht in einem neuen Gebäude befinden – daher blieb ein Teil der Patina. „Das markante eiserne Geländer der zentralen Freitreppe beispielsweise war sehr verrostet, hatte kleine Löcher. Wir haben uns aber entschieden, es nicht zu auszubessern, sondern lediglich neu zu lackieren.“ Es ist typischer Jugendstil, 1903 in Hannover hergestellt, den Bestellschein hat das Team um Lawson in der guten Dokumentation der Erbauer aufspüren können.

Inspiriert wurde Lawson dabei vom Wiederaufbau des Neuen Museums auf der Berliner Museumsinsel durch David Chipperfield, deren Ergebnis sie bei Besuchen genau studierte. So traf sie die Entscheidung einige Wände nicht komplett streichen lassen und Deckenbereiche so wie vorgefunden zu belassen. „Das ist sehr ungewöhnlich für uns und unsere Anstreicher hatten zunächst große Sorge, dass die Besucher denken werden, dass sie ihren Job nicht gründlich gemacht hätten“ erzählt Lawson schmunzelnd.

Realisiert wurde der Umbau durch ein Team französischer Architekten und Landschaftsplaner. Die während der französischen Kolonialherrschaft teilweise geschlossenen Arkaden wurden zurückgebaut und ähneln heute wieder dem ursprünglichen Zustand. Bei der Umsetzung arbeiteten die Planer ausschließlich mit lokalen Auftragnehmern zusammen und beauftragten togolesische Unternehmen mit der Ausführung. Ergebnis ist ein offenes, einladendes Gebäude mit elegantem Treppenhaus, luftigen Ausstellungssälen und unzähligen Blickachsen in den umgebenden Park. Von Veranda und Balkon geht der direkte Blick über den Golf von Guinea mit seinen zahlreichen auf Reede liegenden Frachtschiffen. Selten hat die Verschmelzung von Vergangenheit und Gegenwart, von Rückblick und Zukunftsvision in so idealer Weise zusammengefunden.

Ausstellungssaal im Palais
Spuren der Vergangenheit: Die Kossi Aguessy zeigenden Ausstellungssäle blieben im oberen Bereich unsaniert © SPK / Stefan Müchler

„Wir nutzen ein Gebäude der Unterdrückung, um die Zukunft Afrikas zu zeigen. Mit der Umwandlung in ein Kulturzentrum haben wir die Bedeutung des Hauses geändert – jetzt ist es ein Symbol des geteilten Erbes,“ erklärt Lawson. Zwar habe das Palais de Lomé keine eigene Sammlung, würde dadurch aber auch die Freiheit haben, eine große Bandbreite an Themen ausstellen zu können und verschiedenste Arten von Kreativität zu zeigen. Die Debatten über Restitutionen habe man in Togo natürlich verfolgt und es sei ein sehr wichtiges Thema. „Es gibt aber so viele Formen der Zusammenarbeit und Möglichkeiten mit Objekten der Vergangenheit umzugehen. Für mich sind Zirkulationen wichtig. Von Europa nach Afrika, von einem afrikanischen Land in ein anderes. Wir wissen oft noch viel zu wenig voneinander.“ so Sonia Lawson.

Der Fokus des Zentrums auf die panafrikanische Integration wird durch die Ausstellung „Three Borders“ unterstrichen, in der Werke von sechs Künstlern aus vier benachbarten Staaten Westafrikas zusammengebracht werden. Ghana, Togo, Benin und Nigeria verbindet auf der einen Seite eine gemeinsame koloniale Vergangenheit; gleichzeitig trennen sie drei Grenzen, die in ebendieser Kolonialzeit willkürlich gezogen wurden. Die Idee eines grenzenlosen Afrikas reflektierend, versucht Kurator Aminat Agsondern mit den gezeigten Arbeiten der Gruppenausstellung einen Diskurs der kulturellen Kontinuität über Raum und Zeit zu materialisieren.

Tänzer und Musiker vor dem Palais
Feierliche Eröffnung des Palais de Lomé mit Tanz und Musik © SPK / Stefan Müchler

Die vielleicht bemerkenswerteste der vier Eröffnungsausstellungen ist „Togo and the Kings“. Auf 400 Quadratmetern zeigt Kangi Alem traditionelle Artefakte aus togolesischen Königreichen, die direkt von lokalen Würdenträgern und Gemeinschaften entliehen wurden. Werden sie beispielsweise für eine Zeremonie benötigt, schickt das Palais de Lomé sie vorübergehend an die Eigentümer zurück, bevor sie dann nach Gebrauch wieder ausgestellt werden können. Als „lebendige Objekte“ bleiben sie Eigentum der Gemeinschaften und spiegeln gleichzeitig den kulturellen Reichtum des kleinen Landes wieder.

Erstmals in Afrika würdigt eine von Sandra Agbessy kuratierte Einzelausstellung das Schaffen des renommierten togoischen Designers Kossi Aguessy, der vor wenigen Jahren in Paris verstarb. Die amorphen Formen seiner Kunstwerke und sein Fokus auf Nachhaltigkeit machten ihn international bekannt und seine Werke wurden unter anderem in die Sammlungen des Museums of Modern Art (MoMA) in New York und des Pariser Centre Pompidou aufgenommen. „Infinity: Kossi Aguessy (1977-2017)“ zeigt einige seiner herausragendsten Arbeiten und eröffnet damit gleichzeitig den dauerhaft für zeitgenössisches Design aus Westafrika reservierten Ausstellungsbereich.

Fotografien, die den Wiederaufbau des Palais de Lomé dokumentieren, sind Gegenstand der vierten Ausstellung im Palais. Sie zeigen den Weg des Gebäudes von einem zerfallenden Relikt der Kolonialherrschaft zu dem bemerkenswerten künstlerischen Ausstellungshaus, dass es heute geworden ist. Im Januar wird sich mit Lomé +, eine Ausstellung über die Stadtentwicklung Lomés und den Alltag seiner Bewohnerinnen und Bewohner anschließen.

Das Palais des Lomé hat alles, um zu einem der bedeutendsten Zentren der Kunst und Kultur in Westafrika zu werden. Nach 120 Jahren des Ausgesperrtseins werden sich die Togoer vermutlich erst einmal daran gewöhnen müssen, sich diesen zentralen Ort ihrer Hauptstadt anzueignen. Die Barrieren sollen hierbei möglichst niedrig sein. „Wir müssen Eintritt nehmen, werden diesen aber so niedrig wie möglich ansetzen und auch in jedem Fall einen eintrittsfreien Tag im Monat anbieten,“ erklärt Sonia Lawson „Natürlich werden wir auch Kindern und Schulklassen freien Eintritt gewähren, denn Bildung und Vermittlungsarbeit steht für uns an erster Stelle.“

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