Katalog der in Krakau verwahrten Autographen-Sammlung der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek erschienen: Ergebnis einer deutsch-polnischen Zusammenarbeit

Pressemitteilung vom 11.12.2007

Eine der wertvollsten Sammlungen der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek, heute Staatsbibliothek zu Berlin, die Sammlung Autographa, ist nach mehreren Jahren intensiver Arbeit erschlossen und jetzt in einem umfangreichen zweiteiligen Katalog (Buch und CD-ROM) erfasst. Das Besondere an diesem Katalog: Die reichhaltige Sammlung mit einst 220.000 Schriftstücken aus dem 16. bis frühen 20. Jahrhundert befindet sich nahezu vollständig – als Teil der so genannten Berlinka – in der Universitätsbibliothek Krakau (Biblioteka Jagiellońska). Sie gehört zu den Berliner Bibliotheksschätzen, die zum Schutz vor den Bombenangriffen der Alliierten in damals deutsche, heute polnische Gebiete ausgelagert worden waren und nach dem Zweiten Weltkrieg nach Krakau gelangten.

Nur mit Unterstützung durch die Krakauer Kollegen konnten nun die Berliner Bibliothekare erstmals alle Objekte der Sammlung Autographa erfassen. Mit dem neuen Katalog wird ein unvollständiges und schwer zu lesendes handschriftliches Verzeichnis aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts durch einen erstmals vollständigen Katalog aller Einzelobjekte er­setzt, der komfortabel zu benutzen ist.

Zum ersten Mal ist damit jener derzeit weitgehend unbekannte, kulturhistorisch jedoch äu­ßerst bedeutsame Bestand an Autographen der früheren Preußischen Staatsbibliothek be­schrieben, der unter dem Namen „Sammlung Autographa“ Briefe und andere handschriftlich verfasste Schriftstücke bedeutender Persönlichkeiten aus fünf Jahrhunderten vereint. For­scher können anhand des Katalogs nun gezielt nach Autographen recherchieren und diese zur Benutzung vor Ort in Krakau anfordern. Nachteilig wirkt sich allerdings aus, dass die Bestände aus ihrem ursprünglichen Sammlungszusammenhang, dem eine Jahrhunderte dauernde Sammlungstradition zugrunde liegt, herausgelöst sind und damit nicht ihre volle Wirkung für die Wissenschaft und für die Kultur entfalten können.

Bislang ist der Grad der wissenschaftlichen Auswertung dieser Sammlung mit ihrer inter­disziplinären, zugleich Epochen umspannenden Dichte, die sich von Martin Luther bis zu Stefan Zweig erstreckt, eher gering. Zwar sind die handschriftlichen Bestände seit Jahren überwiegend benutzbar, doch würde eine Aufbewahrung in Berlin die Analyse in ganz ande­rer Weise wieder vorantreiben. Da die Existenz der „Berlinka“ in Krakau bis zum Ende der 1970er Jahre über dreißig Jahre unbekannt war, besteht ein erheblicher Bedarf hinsichtlich der wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Dokumenten.

Neben dieser Sammlung Autographa bestehen die aus Berlin stammenden und „Berlinka“ genannten Bestände in Krakau auch aus weiteren wertvollsten Zeugnissen (darunter 443 Musikautographe von Bach, Mozart und Beethoven u.a.; die aus ca. 200.000 Objekten be­stehende Autographensammlung Varnhagen von Ense und vieles mehr). Aufgrund ihres Umfangs und der Qualität der Sammlungsstücke kann die Berlinka als ein geistiges Tage­buch der Deutschen gelten.

Die Stiftung versteht die gemeinsamen Projekte der beiden Bibliotheken, von denen dieser Katalog nur eines von mehreren ist, als ein positives Signal, mit dem sie beabsichtigt, auf Fachebene zu konstruktiven Gesprächen zwischen Deutschland und Polen und zur Lösung der offenen Fragen der kriegsbedingt verlagerten Kulturgüter beizutragen.

Hintergrundinformationen

Die Bedeutung der Sammlung:

Die Sammlung Autographa enthält den Kernbereich der Autographen der im 17. Jahrhundert gegründeten Churfürstlichen Bibliothek, später Preußischen Staatsbibliothek, heute Staats­bibliothek zu Berlin. Laufend vermehrt, umfasste die Sammlung im Jahr 1941 rund 220.000 Autographe, darunter allein an Briefen 30 von Martin Luther, 202 von Johann Wolfgang von Goethe, 118 von Heinrich von Kleist, 299 von Jacob Grimm und 138 von seinem Bruder Wilhelm, über 850 von Alexander von Humboldt sowie mehr als 100 seines Bruders Wil­helm. Des Weiteren 30 Briefe des Philosophen Leibniz sowie 64 von der Hand Georg Fried­rich Wilhelm Hegels, 158 von Rilke und 11 von Schiller. Der Katalog verzeichnet zahlreiche weitere handschriftliche Zeugnisse, auch von den bereits genannten Personen – Gedichte, Notizen, Abschriften, Werkfragmente und vieles andere mehr. Die Dokumente geben Aus­kunft über die intellektuelle Tätigkeit ihrer Verfasser. Knapp 17.500 Verfasser und Empfän­ger von Dokumenten aller Art sind in dem Katalog nachgewiesen.

Die meisten Autographe der Sammlung stammen von der Hand deutscher Philosophen, Theologen, Politiker, Naturwissenschaftler, Forscher, Schriftsteller, Adliger, Künstler. In klei­neren Teilen hat die Sammlung jedoch auch europäischen Charakter, war doch die Erwer­bungspolitik der Bibliothek seit jeher universal angelegt, sowohl in sprachlicher wie auch in geographischer Hinsicht. Geistesgrößen, deren Nachlässe Einzug in die Bibliothek fanden, hatten stets auch Korrespondenzpartner im europäischen Ausland. Daher finden sich in der Sammlung Autographa auch ein Brief der Königin Marie Antoinette und ein Brief des Grafen Giacomo Leopardi.

Die Sammlung Autographa ist von höchster kulturhistorischer Bedeutung, war doch der Brief seit der Renaissance und über Jahrhunderte – in Ermangelung anderer Kommunikations­mittel – das zentrale Medium des Gedankenaustauschs. Die überlieferte schriftliche Korres­pondenz von Dichtern und Wissenschaftlern, Staatsmännern und Philosophen spiegelt die Entstehungsgeschichte geistes- und ideengeschichtlicher Strömungen und die Entwicklung Deutschlands zur Kulturnation.

Auslagerungsgeschichte:

Die Sammlung Autographa wurde – wie viele andere wertvolle Sammlungen und Objekte der Preußischen Staatsbibliothek, darunter die Mozart- und die Beethoven-Sammlungen sowie die Autographensammlung Varnhagen von Ense – ab dem Jahr 1941 zum Schutz vor Kriegsschäden vorsorglich nach Osten in damalige deutsche Gebiete ausgelagert. Zunächst kam die Sammlung in das schlesische Schloss Fürstenstein (Ksiaz), im Jahr 1944 in das Kloster Grüssau (Krzeszow). Insgesamt 505 Kisten befanden sich im Kloster Grüssau. Nach Kriegsende gehörte auch dieses Kloster zu polnischem Staatsgebiet, die dort vorgefunde­nen Schätze der Preußischen Staatsbibliothek gelangten in die Universitätsbibliothek Kra­kau. Seit Ende der 1970er Jahre ist bekannt, dass sich dieser Teil der ausgelagerten Be­stände der Preußischen Staatsbibliothek – insgesamt gab es 30 Auslagerungsorte – in Kra­kau befindet. Von der Sammlung Autographa sind durch Kriegsereignisse ca. 5 Prozent verloren gegangen, rund 10.000 Stücke (darunter vermutlich auch 16 Autographe von Kant). 210.000 liegen heute in Krakau. Der Katalog verzeichnet dennoch alle jemals vorhandenen Autographe auf der Grundlage der alten Berliner Verzeichnisse.

Bedeutung des Katalogs:

Seit Ende der 1970er Jahre sind diese Bestände der Staatsbibliothek zu Berlin in Krakau für Benutzer zugänglich. Das dort verwahrte Material der Sammlung Autographa befindet sich immer noch im selben Zustand wie zum Zeitpunkt der Verlagerung: in zumeist unvollständig beschrifteten Mappen oder mit falsch zugeordneten Namen. Dank des nun vorliegenden Katalogs und der damit erheblich verbesserten Erschließungsbedingungen kann die Sammlung Autographa jetzt sehr viel leichter und damit hoffentlich auch intensiver benutzt werden.

Der Katalog ist auch für die Benutzung von Beständen in Berlin von außerordentlicher Be­deutung. Denn er weist zahlreiche Dokumente nach, die im direkten Zusammenhang mit Nachlässen und anderen Materialien stehen, welche in Berlin aufbewahrt werden: Bis zu ihrer Auslagerung ab 1941 wuchs die Sammlung Autographa, indem aus Nachlässen Briefe und andere Schriftstücke herausgelöst und in die Autographensammlung eingearbeitet wur­den. Insofern stellt die Sammlung Autographa den komplementären Teil von in Berlin vor­handenen Nachlässen dar, beispielsweise der Nachlässe von Herder, Jean Paul oder Hegel. Zu diesen Nachlässen fehlen in Berlin daher jene bedeutenden, aussagekräftigen Bestand­teile, die jetzt in Krakau sind. Der Katalog fungiert damit in Berlin auch als Lückenkatalog zum Nachweis Berliner Bibliotheksbestände in Krakau.

Weitere Zusammenarbeit Krakau – Berlin:

Seit Mitte der 1990er Jahre gibt es auf der Arbeitsebene zwischen der Universitätsbibliothek Krakau und der Staatsbibliothek zu Berlin gemeinsame Projekte: Beide Bibliotheken stellten die bei ihnen aufbewahrten Staatsbibliotheksbestände an Musikhandschriften herausragen­der Komponisten für eine Mikrofiche-Edition des K. G. Saur-Verlags bereit und führten so zumindest virtuell die Sammlungen wieder zusammen. Bislang erschienen die Werke von Johann Sebastian Bach, Georg Philipp Telemann, Ludwig van Beethoven und Wolfgang Amadeus Mozart auf Mikrofiche, die Herausgabe der Werke Felix Mendelssohn Bartholdys ist geplant. Gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurden im Jahr 2006 kooperativ französische Handschriften erschlossen.

Es ist vorgesehen, den Katalog der Sammlung Autographa in der nächsten Zeit im Rahmen eines Fachkolloquiums auch in Krakau der Öffentlichkeit vorzustellen.

Rückkehr von Beständen:

Aus Polen kehrten bisher einige Teile der Bestände der Preußischen Staatsbibliothek nach Deutschland zurück:

  • Im Jahr 1965 kamen in die Deutsche Staatsbibliothek (DDR), als Geschenk an den sozia­listischen Nachbarn, 92.000 Bücher (Technik, Landwirtschaft, Philologien), darunter 27.400 großformatige Zeitungsbände. Es handelt sich sämtlich um Bücher aus dem 19. und 20. Jahrhundert.
  • Im Jahr 1977, anlässlich der Unterzeichnung des Freundschaftsvertrags zwischen Polen und der DDR, übergab Staatschef Gierek an E. Honecker sechs Autographe: die Arbeitsnie­derschrift der 9. Sinfonie Ludwig van Beethovens, Mozarts Jupiter-Sinfonie, die c-Moll-Messe und die Zauberflöte sowie von Bach ein Cembalokonzert und eine Flötensonate.
  • Im Jahr 2000 übergab Präsident Buzek an Bundeskanzler Schröder einen Luther-Druck aus dem 16. Jahrhundert.

Aus Deutschland kehrte bisher folgendes Kulturgut, das sich in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz befand, nach Polen zurück:

  • Im Jahr 1992 der so genannte Posener Goldschatz (umfangreiche Sammlung von über­wiegend antikem Schmuck und Münzen) aus dem Archäologischen Museum Posen.

Zum Katalog:

Helga Döhn: Die Sammlung Autographa der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin (Buch), Autographenkatalog (CD-ROM). Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2005/2007
ISSN 0342-3972, ISBN 3-447-04331-8

Erhältlich:

Im Buchhandel: 129 Euro (Buch und CD-ROM)

An den Verkaufsständen der Staatsbibliothek zu Berlin: 74 Euro. Haus Unter den Linden 8, Haus Potsdamer Straße 33. Auskunft und Bestellungen: Björn Vogler, 030 / 266 1356, E-Mail

Pressekontakte:

Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Dr. Stefanie Heinlein
Tel.: ++49 (0)30 25463-206, Fax: -268
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Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
Jeanette Lamble
Unter den Linden 8 | 10117 Berlin
Tel. ++49 (0)30 266-1369  Fax: -1777
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