Zwei Kisten aus Leipzig - Seit dem Zweiten Weltkrieg verschollene Objekte kehren nach Berlin zurück

Pressemitteilung vom 06.02.2012

Vierundvierzig Objekte spätantik-byzantinischer Alltagskultur wurden kürzlich in Leipzig als Eigentum des Berliner Museums für Byzantinische Kunst identifiziert und kehren nun ins Bode-Museum zurück. Die Stücke waren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in die Sowjetunion transportiert worden und gelanten 1958 im Zuge der Rückgabeaktion an die DDR fälschlicherweise in das Ägyptische Museum - Georg Steindorff - der Universität Leipzig. Sie stammen aus dem 4. bis 7. Jahrhundert n. Chr., überwiegend aus Ägypten und teils aus dem Weströmischen Reich. Die Objekte schließen Lücken in den Beständen und ermöglichen weitere Forschungen sowohl zur spätantiken und frühbyzantinischen Alltagskultur als auch zur eigenen Sammlungsgeschichte.

Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz betonte: „Es zeigt sich, wie gewinnbringend die Erforschung der Sammlungsgeschichte und Provenienzrecherchen sein können. Die Rückkehr der Objekte ist ein großes Glück für das Museum, zumal es heute archäologische Fundstücke kaum noch neu erwerben kann angesichts der häufigen Illegalität solcher Waren auf dem Markt."

Etwa die Hälfte des Bestandes des heutigen Museums für Byzantinische Kunst, circa 3.000 Objekte, wurde nach Kriegsende in die Sowjetunion abtransportiert. Die während des Krieges im Flakbunker Friedrichshain ausgelagerten Sammlungsteile, darunter die meisten der spätantik-frühbyzantinischen Gebrauchsgegenstände aus Ägypten, galten nach dem Brand im Leitturm der Bunkeranlage im Mai 1945 als zerstört. In den vergangenen Jahren wurden mehrfach spätantik-ägyptische Alltagsobjekte der Berliner Sammlung in russischen Ausstellungen entdeckt. Es kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, dass sie sich bei Kriegsende im Flakbunker Friedrichshain befanden. Dennoch nähren solche Entdeckungen, wie auch der Fund der zwei Kisten, die Hoffnung, dass noch weitere, bisher zerstört geglaubte Objekte auftauchen.

Die nun nach Berlin zurückgekehrten Objekte waren während des Rücktransports aus der Sowjetunion 1958 verstreut in mehreren Kisten gelagert, die zum größeren Teil aus Leipzig stammende Objekte enthielten. Die Berliner Stücke waren nicht in den Begleitlisten verzeichnet und konnten daher nicht zugeordnet werden. Nach zunächst ergebnislosen Anfragen bei verschiedenen Dresdner und Berliner Museen führten weitere Recherchen zum Museum für Byzantinische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin. Dort führte ein Abgleich mit den Inventarlisten, dem Verlustkatalog und einem Bestandskatalog von 1909 wie auch der Erwerbungsnummern zu einer Klärung der Provenienz von 44 der insgesamt 47 Objekte in den beiden Leipziger Kisten. Die Herkunft dreier Stücke bleibt vorerst ungeklärt.

Die originalen russischen Transportkisten sind nicht erhalten. Die Objekte wurden in Leipzig – offenbar nach 1990 – in zwei stabile Kisten gepackt, in denen sie bis zu ihrer Rückkehr nach Berlin lagerten.

Derzeit fragt das Byzantinische Museum bei allen archäologischen Sammlungen in den östlichen Bundesländern an, ob möglicherweise weitere „Irrläufer" aufzufinden sind. Parallel hierzu wird ein Katalog vorbereitet, der die noch vermissten Objekte, beim gegenwärtigen Stand circa 1.600 Positionen, auflistet. Er soll im nächsten Jahr erscheinen und bei der Klärung von Provenienzfragen helfen. Mit ihm wird die Identifizierung eventueller "Irrläufer" in Museumsdepots dann einfacher sein.

WEITERE PRESSE-INFORMATIONEN

Kriegsverluste des Museums für Byzantinische Kunst

Die Sammlung des heutigen Museums für Byzantinische Kunst umfasste 1945 etwa 5.500 inventarisierte und 500 bis 1.000 nicht inventarisierte Objekte. Sie waren während des Krieges teils in den Museumsräumen verblieben, teils im Keller des Pergamonmuseums, im thüringischen Salzbergwerk Merkers und im Flakbunker Berlin-Friedrichshain ausgelagert.

Vierhundert in Merkers ausgelagerte Objekte wurden von den West-Alliierten geborgen und bildeten später den Grundstock für die Frühchristlich-byzantinische Sammlung in Berlin-Dahlem. Ein Teil der Sammlung verblieb nach 1945 auf der Museumsinsel. Nahezu die Hälfte des Vorkriegsbestands wurde 1945/46 in die Sowjetunion abtransportiert, wovon rund die Hälfte in den 50er Jahren auf die Museumsinsel zurückgebracht wurde. Einem Brand im Flakbunker Friedrichshain im Mai 1945 sollen die dorthin ausgelagerten Objekte zum Opfer gefallen sein, darunter auch der größte Teil der spätantiken, frühbyzantinischen Alltagsobjekte aus Ägypten. In einer Ausstellung in Moskau 2005 tauchten jedoch überraschend mehrere Beinschnitzereien aus Ägypten auf, die zum Alt-Bestand des Berliner Museums gehören und bis dahin als im Flakbunker Friedrichshain verbrannt galten. Auch im Rahmen einer Moskauer Ausstellung 2010/11 waren spätantik-frühbyzantinische Textilien aus dem Berliner Bestand zu sehen. Bei Nachforschungen der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin in russischen Depots wurden einige Metallobjekte des Museums für Byzantinische Kunst entdeckt. Es ist durchaus möglich, dass sich weitere Objekte aus dem Bestand des Berliner Museums in Moskau erhalten haben. Allerdings muss man nun auch damit rechnen, dass einige der in den 1950er Jahren aus der Sowjetunion zurückgekehrten Objekte in eine ‚falsche' Sammlung gelangten und im ursprünglich besitzenden Museum daher noch als vermisst gelten.

Charakterisierung und Bedeutung einiger Objekte

Die 44 zum Bestand des Museums für Byzantinische Kunst gehörenden Objekte sind verzierte Gegenstände der Alltagskultur von zum Teil hoher handwerklicher Qualität, überwiegend aus Ton, ergänzt durch vier Steinobjekte und eine Öllampe aus Metall. Fünf der Objekte stammen aus dem Weströmischen Reich, 39 Stücke aus dem spätantiken bis frühislamzeitlichen Ägypten. Sie besitzen sowohl historischen als auch wissenschaftlichen Wert und schließen mehrere, in Folge von Kriegsverlust und Verlagerung entstandene Lücken im Museum. Mit ihrer Ankunft kehrt auch ein Teil der Entstehungsgeschichte des Museums für Byzantinische Kunst zurück.

Von besonderem Wert sind vier spätantike Öllampen aus Ton aus Nordafrika. Sie entstanden in Werkstätten, die für den gesamten Mittelmeerraum produzierten, und lassen Aussagen über den damaligen Handel zu. Sie tragen Reliefs mit verschiedenen christlichen Darstellungen.

Eine mit christlichen Motiven verzierte Lampe aus Metall stammt aus Trier und damit aus den gallischen Provinzen des Weströmischen Reiches. Da im Museum für Byzantinische Kunst sämtliche spätantiken Metalllampen mit christlicher Symbolik seit Kriegsende vermisst werden, ist die Rückkehr dieses Objekts von hoher Bedeutung.

Mehrere Objekte, Gefäße und Statuetten, stammen aus einer Ausgrabung in Abu Mina bei Alexandria, einem dem heiligen Menas gewidmeten Pilgerheiligtum. Dieses Heiligtum ist durch die bekannten Menas-Ampullen und einige Frauenfiguren bereits im Museum präsentiert, mit den zurückgekehrten Objekten können nun weitere Aspekte des Pilgerbetriebs dargestellt werden.

Ein weiteres Objekt ägyptischer Herkunft, ein so genanntes Kopfgefäß, stammt aus römischer Zeit und zeigt den Gott Bes, den Schutzpatron der Schwangeren, Wöchnerinnen und Neugeborenen. Die Rückkehr dieses fein gearbeiteten, reliefierten Bechers und anderer römischer Objekte ist ein besonderer Glücksfall. Sie bilden die Brücke zwischen den archäologischen Sammlungen auf der Museumsinsel vom Alten Museum (Antikensammlung) über das Neue Museum (Ägyptisches Museum und Papyrussammlung) hin zum Bode-Museum (Museum für Byzantinische Kunst).

Die Ägyptische Sammlung im Museum für Byzantinische Kunst

Ägypten war vom 4. bis frühen 7. Jahrhundert eine Provinz des Byzantinischen Reiches, daher gehört zum Museum für Byzantinische Kunst eine Sammlung mit ägyptischen Objekten aus dieser Zeit. Sie gehört zu den bedeutendsten außerhalb des nordostafrikanischen Landes.

Der Ursprung dieses Berliner Sammlungsteils geht wesentlich auf das Zusammenwirken des Grazer Kunsthistorikers Josef Strzygowski und des damaligen Berliner Direktors der Abteilung der Bildwerke der christlichen Epochen und der Gemäldegalerie, Wilhelm von Bode, zurück. Strzygowski kaufte im Winter 1900/01 im Auftrag Bodes eine große Zahl an spätantik-byzantinischen Objekten vorwiegend in Ägypten an. Ziel dieser Erwerbungspolitik war, die christliche Kunst und Kultur des Orients in ihrer Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von Rom zu erforschen und systematisch eine Sammlung spätantik-byzantinischer Kunst aufzubauen. Strzygowski erwarb circa 1.500 Objekte verschiedenster Materialgattungen. Achtzehn der nun zurückgekehrten Stücke stammen aus diesem Konvolut.

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