Kriegsverlust der Berliner Antikensammlung im Kulturhistorischen Museum Magdeburg aufgetaucht

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Press release from 05/05/2020

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Kulturhistorisches Museum Magdeburg übergibt antike griechische Vase an die Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin – Vase galt seit 1945 als Kriegsverlust – noch bis 17. Mai in Magdeburg ausgestellt, danach im Alten Museum in Berlin

Das Kulturhistorische Museum Magdeburg gibt der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin eine griechische Vase zurück. Es handelt sich um eine attisch weißgrundige Lekythos, ein in Athen hergestelltes Salbölgefäß aus der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr., das im Grabkult verwendet wurde. Die Lekythos war 1912 für die Antikensammlung erworben worden. Bis in die dreißiger Jahre war sie gemeinsam mit ihrem Gegenstück, das bis heute verschollen ist, im Alten Museum ausgestellt. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden die Objekte zu ihrem Schutz verpackt; die Kiste befand sich bei Kriegsende 1945 im Keller des Pergamonmuseums. Über den anschließenden Verbleib der Vase war bis zu ihrer Entdeckung in Magdeburg nichts bekannt.

Das Kulturhistorische Museum Magdeburg erhielt das Stück 2001 mit dem Nachlass Riecke. Im Zuge der Neueinrichtung der Kunstsammlungen in Magdeburg entdeckte eine wissenschaftliche Mitarbeiterin des Museums, dass eine der Vasen aus dem Nachlass mit der verlorenen Berliner Lekythos identisch sein könnte. Das Kulturhistorische Museum Magdeburg informierte daraufhin die Berliner Antikensammlung. Eine ausführliche und langwierige Recherche in den Archivunterlagen des Berliner Museums ergab, dass es sich tatsächlich um das verlorene Stück handelte. Die Landeshauptstadt Magdeburg als Träger des Kulturhistorischen Museums Magdeburg entschloss sich daher zur Rückgabe des Objektes. Die weißgrundige Lekythos ist noch bis zum 17. Mai im Kulturhistorischen Museum Magdeburg ausgestellt und kann seit der heutigen Wiedereröffnung dort besichtigt werden. Im Anschluss wird es im Hauptgeschoss des Alten Museums auf der Museumsinsel Berlin präsentiert.

Hermann Parzinger, Präsident der SPK: „Wir freuen uns sehr, dass die Direktorin des Kulturhistorischen Museums Magdeburg, Gabriele Köster, und der Magdeburger Oberbürgermeister Lutz Trümper sich zu einer Rückgabe des Objektes an die Antikensammlung entschlossen haben. Auch 75 Jahre nach Kriegsende wissen wir bei vielen Kriegsverlusten unserer Sammlungen nicht, ob sie unwiederbringlich zerstört sind oder sich unentdeckt in einer anderen öffentlichen Sammlung befinden. Deshalb publizieren die Staatlichen Museen nach und nach für all ihre Häuser Verlustkataloge. Dadurch konnten schon oft verloren geglaubte Objekte identifiziert werden.“

Gabriele Köster, Direktorin der Magdeburger Museen: „Wir freuen uns, dass dieses Kunstwerk seine Biographie wiedererhalten hat, und wir einen kleinen Beitrag zur Wiederherstellung der infolge des Zweiten Weltkrieges zerstörten Integrität der herausragenden Berliner Antikensammlung leisten konnten. Die Magdeburger können sich bis Mitte Mai bei uns, oder später auf der Museumsinsel an dem kostbaren Salbgefäß erfreuen, das sich beinah zwei Jahrzehnte unbemerkt in unserer Sammlung befunden hat.“

Sachsen-Anhalts Staats- und Kulturminister Rainer Robra, der sein Land auch im Stiftungsrat der SPK vertritt, sagt: „Das Beispiel der antiken attischen Vase zeigt erneut, dass für viele Museen in Deutschland die Nachkriegszeit noch nicht zu Ende ist. Wir forschen, recherchieren und fahnden noch immer nach auseinandergerissenen Sammlungen. Für das Land Sachsen-Anhalt ist es eine Selbstverständlichkeit, zurückzugeben, was in andere Sammlungen gehört. Es ist ein schönes Zeichen der Verbundenheit, wenn dieses wertvolle Objekt jetzt nach Öffnung der Museen zunächst noch einmal die Besucher in Magdeburg und später dann auch in Berlin begeistern kann.“

Die Lekythos

Die Vase (Inv. 30219, 47) mit ihrem schlanken, zylindrischen Körper und engem Hals ist mit einem weißen Überzug versehen, auf dem in leuchtenden Farben eine figürliche Darstellung aufgemalt wurde. Sie zeigt einen Kriegerabschied. Das verlorene Gegenstück (Inv. 30219, 19) lieferte sozusagen die Fortsetzung der Geschichte. Dort war der Besuch einer Frau am Grab eines jungen Kriegers dargestellt, der selbst über sein Schicksal trauernd vor seinem Grabmal sitzt. Die beiden als Paar angefertigten Lekythen dürften im Jahrzehnt 440/30 v. Chr. geschaffen sein.

Die Gefäßgattung der Lekythen mit ihrer sehr empfindlichen polychromen, also vielfarbigen Malerei wurde nur für das Begräbnisritual hergestellt. Die Flaschen enthielten Öl für die Salbung des Leichnams und wurden bei der Aufbahrung im Haus und am Grab verwendet. In Athen wurden in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. – etwa von 460 bis 400 v. Chr. – Tausende dieser mit Mattfarben bemalten Gefäße hergestellt. Einige Maler hatten sich auf diese Vasengattung spezialisiert. Der Schöpfer der betroffenen Lekythos wird als „Quadratmaler“ bezeichnet, weil er in seinen Ornamentbändern oft ein Quadrat mit einem Schachbrettmuster einsetzt.

Die Berliner Antikensammlung besitzt rund 50 Lekythen dieser Gattung. Die größten (mit einer Höhe von über 75 cm) und spätesten sind mit ihrer Farbigkeit, ihrer oft ganz illusionistischen Malweise und dem Licht- und Schattenspiel auch „Ersatz“ für die in Schriftzeugnissen erwähnte, berühmte, aber nicht erhaltene Wandmalerei der Zeit in Athen. Meist sind die empfindlichen Farben aber verloren und nur anhand von Spuren rekonstruierbar.

Das Stück gehörte zur sehr bedeutenden und wertvollen Sammlung des jüdischen Frankfurter Großindustriellen Friedrich Ludwig von Gans (1833-1920), die dieser 1912 der Antikensammlung geschenkt hatte. Bei ihrem Aufbau wurde er beraten von Robert Zahn, dem Kustos der Berliner Antikensammlung (von 1900 bis 1935), der später auch die Schenkung nach Berlin vermittelte. Im Gegenzug erhielt Gans vom Kaiser seinen Adelstitel.

Die Verlustgeschichte

Aufgrund von Archivalien in der Antikensammlung ließ sich die Verlustgeschichte des Gefäßes und seines Gegenstücks nachvollziehen. Historische Fotos von 1916 und 1925 belegen, dass beide Vasen im Obergeschoß des Alten Museums im Kontext der Sammlung Gans ausgestellt waren. Auf einer Raumaufnahme des Saales ist das in Magdeburg aufgetauchte Stück anhand einer charakteristischen Fehlstelle eindeutig zu identifizieren. Zudem wurden beide Gefäße 1931 in einem Aufsatz erstmals mit Fotos als Teil der Sammlung Gans publiziert.

Beim Verpacken der Antikensammlung bei Kriegsbeginn 1939 wurden alle Objekte in Verlagerungslisten erfasst. Dies sind Aufzeichnungen darüber, welche Objekte sich in welcher Packkiste befanden und wohin die Kisten zuletzt ausgelagert wurden. Die beiden Lekythen von Gans wurden zwar nicht unter ihren eigentlichen Inventarnummern verzeichnet, u.a. weil die betreffende Seite im aus losen Blättern bestehenden Inventar zur Sammlung Gans fehlt. Aber die Stücke erhielten Hilfsnummern, die mit Bleistift auf den Unterseiten der Gefäßfüße aufgemalt wurden. Unter diesen Hilfsnummern sind sie unter dem Inhalt einer Kiste zu identifizieren, die bei Kriegsende im Keller des Pergamonmuseums gelagert wurde. Aus dieser Kiste müssen sie in den Wirren jener Wochen gestohlen worden sein.

Der spätere Nachlasser Hans-Joachim Riecke hat die nun in Magdeburg aufgetauchte Vase 1949 in einem privat in Magdeburg gedruckten Heftchen als in Privatbesitz befindlich publiziert, mit der (nachweislich falschen) Angabe, das Stück sei 1929 im Berliner Kunsthandel aufgetaucht.

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