Lese-Tipp: „Eine weltweite Seuche“: Hermann Parzinger zur Bedrohung von Kulturgut

News vom 26.08.2015

Der unersättliche Appetit nach archäologischen Artefakten zerstört das kulturelle Erbe der Menschheit. In der Zeitschrift Art Value erläutert Hermann Parzinger, warum Kulturgutschutz unser aller Verantwortung ist.

Gerade in den vergangenen Monaten ist es wieder überdeutlich geworden: Raubgrabungen und der illegale Handel mit Antiken sind ein Geschäft, bei dem viele gewinnen, das kulturelle Erbe der Menschheit hingegen seiner Vernichtung entgegengeht. Weltweit tauchen Jahr für Jahr immer mehr archäologische Objekte auf dem internationalen Kunstmarkt auf, die ganz sicher nicht aus genehmigten wissenschaftlichen Grabungen stammen. Schätzungen der UNESCO zufolge liegt der illegale Handel mit Antiken aus Raubgrabungen knapp hinter den größten illegalen Märkten mit Waffen, Drogen und Prostitution. Auch wenn dies nur geschätzt sein mag, die Dunkelfeldforschung dazu ist gerade erst angelaufen, so kann kein Zweifel bestehen, dass der Umfang erschreckend ist.

Die Welt blickt schockiert auf die systematische Zerstörung von herausragenden Kulturdenkmälern durch den so genannten Islamischen Staat (IS) in Mossul, Nimrud und Hatra und jetzt wohl Palmyra. Die Sprengung der Buddha-Statuen von Bamiyan vor wenigen Jahren durch die Taliban haben wir noch eindrücklich vor Augen. Derartige Barbarei, die unser aller kulturelles Erbe unwiederbringlich auslöscht, ist ein Verbrechen gegenüber der Weltgemeinschaft insgesamt. Doch die Vernichtung ist nur die eine Seite dessen, was im Nahen Osten mit zum Teil Jahrtausende alten archäologischen Stätten geschieht: Bevor der IS diese Orte mit Bulldozern und Dynamit zerstörte, hatte er dort zuerst die Antiken und andere archäologische Objekte geplündert, die sich auf den Kunstmärkten der Welt immer noch bestens mit hohen Gewinnen verkaufen lassen.

Plünderungen und Raubgrabungen sind jedoch nicht nur im Nahen Osten weit verbreitet, und nicht allein die »Gotteskrieger« tragen bei zur Vernichtung des kulturellen Erbes der Menschheit. Weltweit werden Objekte durch Raubgrabungen ihres kulturgeschichtlichen Kontexts für immer beraubt und Bodendenkmäler unwiederbringlich zerstört – manchmal systematisch organisiert, manchmal im kleinen Rahmen; in »antikenreichen« Ländern wie Griechenland, Italien, Mexiko, Kolumbien und vielen mehr, aber auch in Deutschland. Die Gier nach Antiken ist wie eine Seuche, die auch vor unserer Haustür grassiert und gegen die noch kein Gegenmittel gefunden scheint. Öffentliche Museen in Deutschland und der Welt erwerben längst keine Antiken mehr ohne gesicherte und nachgewiesene Provenienz – Ausnahmen schlagen zu Recht hohe Wellen in den Medien und haben schon folgenschwere Prozesse mit deutlichen Strafen nach sich gezogen. Aber gerade im privaten Bereich existiert offenbar immer noch ein schier unersättlicher Appetit nach archäologischen Artefakten – es wird erworben, ohne Rücksicht auf die fatalen Hintergründe, aus denen diese Stücke stammen. Genau hier muss eine veränderte Bewusstseinsbildung ansetzen: Es ist eben kein Kavaliersdelikt, im Urlaub eine antike Vase oder ein Skulpturenfragment zu erwerben. Nicht nur herausragende Objekte, die für tausende Euro im Kunsthandel zu kaufen sind, sind ein Verlust für Herkunftsländer und die internationale Wissenschaft. Wer immer ein Objekt erwirbt, bei dem nicht bekannt ist, woher es stammt, muss sich fragen, welche Geschichte es hätte erzählen können, wäre es fachgerecht geborgen, die Fundkontexte dokumentiert und der Fund erforscht worden. Jeder einzelne Käufer steigert die Nachfrage nach weiteren Artefakten und befeuert damit das weltweite Raubgräbertum.

Erst kürzlich hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz dem Irak ein Ziegelfragment aus dem 3. Jahrtausend vor Christus übergeben. Eine Privatperson hatte das wertvolle Objekt dem Vorderasiatischen Museum der Stiftung als Geschenk übergeben mit dem Hinweis, es in den 1980er Jahren bei einer Reise im Süd-Irak als Souvenir geschenkt bekommen zu haben. Der Direktor des Vorderasiatischen Museums konnte aufgrund der Inschrift, die das Fragment trägt, die örtliche Herkunft bestätigen und eine erste wissenschaftliche Einordnung vornehmen. Der eigentliche Fundzusammenhang aber ist damit nicht mehr rekonstruierbar, es fehlt also für die umfassende wissenschaftliche Bewertung der wesentliche Schlüssel. Da ein solches offensichtlich illegal ausgeführtes Objekt nicht in eine Sammlung der Stiftung gelangen soll, suchten wir den Kontakt zur Botschaft des Irak in Berlin, um das Stück an den Vertreter des Herkunftslandes zu übergeben. Zwei Dinge zeigten sich hier sehr deutlich: Das Bewusstsein für zweifelhafte Provenienzen wächst glücklicherweise auch bei Privatleuten und führt in Einzelfällen schon zu beispielhaftem Verhalten. Und: Die von Kulturstaatsministerin Monika Grütters angestoßene Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes in Deutschland ist überfällig und unabdingbar, um die Einfuhr solcher Objekte endlich auch in Deutschland zu verbieten und eine gesetzliche Handhabe für Beschlagnahme und Rückgabe an die Herkunftsländer zu schaffen.

Derzeit ist nach deutschem Recht der Handel mit archäologischen Objekten ohne klaren Herkunftsnachweis noch beinahe ungehindert möglich. Unsere Kernforderung lautet deshalb, dass Antiken nur noch mit Herkunftsnachweis und Exportgenehmigung aus dem Ursprungsland gehandelt werden dürfen. Nur so kann die UNESCO-Konvention von 1970 endlich angemessen umgesetzt werden. Alles andere ist illegal, rechtswidrig und muss deswegen auch durch deutliche Strafen sanktioniert werden. Es gilt zudem, die internationale Zusammenarbeit von Regierungen, Zollbehörden und Kultureinrichtungen rasch und nachhaltig zu stärken. Ermittlungsverfahren müssen auch über Grenzen hinweg möglich sein. Die personelle Ausstattung von Sonderbehörden, insbesondere in Deutschland, muss deutlich verstärkt werden. Ferner muss potenziellen Käufern wie auch Sondengängern und anderen »Hobbyarchäologen« deutlich gemacht werden, dass illegale Grabungen keine harmlose Verfehlung, sondern strafrechtlich relevant sind. Gerade Museen können und müssen hier wichtige Vermittlungsarbeit leisten.

Die Museen müssen sich zudem ihrer eigenen Rolle, auch aus der Vergangenheit, noch stärker bewusst werden. Bei allen archäologischen Objekten, die nach der UNESCO-Konvention von 1970 erworben worden sind, ist die Erforschung der Provenienzen nötig, unabhängig davon, wann diese Konvention in nationales Recht umgesetzt wurde. Alle Museen sollten durch Online-Register ihrer Bestände Transparenz schaffen und im Falle unklarer Herkunft auch dazu bereit sein, nach fairen und gerechten Lösungen mit den Herkunftsstaaten zu suchen. Ein bereits existierendes wichtiges Instrument für Museen, Sammler und Händler, aber auch für Strafverfolgungs- und Zollbehörden, sind die »Roten Listen« gefährdeten Kulturguts, herausgegeben vom Internationalen Museumsrat ICOM.

Abgesehen von den rechtlichen Rahmenbedingungen ist ein praktisches Problem für Ermittlungsbehörden die Tatsache, dass es nach wie vor an gesicherten Erkenntnissen über Strukturen der Handelswege, der Zwischen-händler und der beteiligten Netzwerke des organisierten grenzübergreifenden illegalen Handels mangelt. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz beteiligt sich seit Kurzem aktiv an der Erforschung der entsprechenden kriminellen Mechanismen. Das Kooperationsprojekt ILLICID  erforscht unter Federführung des Vorderasiatischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin das Dunkelfeld »illegaler Antikenhandel in Deutschland«, damit angemessene Maßnahmen dagegen ergriffen werden können. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt im Rahmen des Programms »Forschung für die zivile Sicherheit« im Themenbereich »Zivile Sicherheit – Schutz vor organisierter Kriminalität« mit insgesamt 1,2 Millionen Euro. Mehr als zehn nationale und internationale Partnereinrichtungen aus verschiedenen Fachgebieten sind daran beteiligt. Außerdem soll im Rahmen von ILLICID eine Datenbank zur systematischen Dokumentation von legal und illegal gehandeltem Kulturgut eingerichtet werden, in der unter anderem verdächtige Auktionen gespeichert werden. Ermittler sollen diese Quelle in Zukunft auch mobil über eine App abrufen können. Für Akteure im Bereich des Kulturgüterhandels wird ein Praxisleitfaden mit Handlungsempfehlungen entwickelt.

Und schließlich müssen wir auch die betroffenen Länder aktiv dabei unterstützen, ihre Kulturdenkmäler selbst und vor Ort zu schützen. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist sich dieser Verantwortung bewusst und unternimmt zahlreiche Kooperationsprojekte im Bereich Capacity Building mit dem Irak, Syrien und anderen Ländern. So erhalten etwa Restauratoren betroffener Länder in den Fachwerkstätten der Staatlichen Museen zu Berlin Schulungen, um beschädigte Objekte bestmöglich erhalten zu können. Das Museum für Islamische Kunst erstellt gemeinsam mit dem Deutschen Archäologischen Institut im Syrian Heritage Archive Projekt eine Datenbank der bestehenden Bild- und Forschungsinformationen zu syrischen Kulturgütern, die für zukünftige Schutz- und Rekonstruktionsmaßnahmen besonders wichtig sind.

Und seit kurzem ist die Stiftung Preußischer Kulturbesitz Partnerin der UNESCO im Rahmen der Kampagne #UNITE4HERITAGE – dabei steht im Mittelpunkt, das öffentliche Bewusstsein für die Zusammenhänge zwischen den Zerstörungen von Kulturgut und dem illegalen Handel mit Antiken zu schärfen.

Vieles ist noch zu leisten, um Kulturgüter weltweit effektiver zu schützen – eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Dabei gilt: Wenn wir dabei versagen, bleibt das kulturelle Erbe der Menschheit unwiederbringlich auf der Strecke.

Hermann Parzingers Beitrag „Eine weltweite Seuche“ erschien in der Zeitschrift Art Value (9. Jahrgang 2015).

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