Preußen steht auch für religiöse Toleranz und fortschrittliche Bildung

News vom 10.04.2018

Eine Preußen-Auktion, keine Frühjahrsauktion gibt’s bei Lempertz. Im Katalog spricht SPK-Präsident Hermann Parzinger über das Humboldt Forum und sieht den Umgang mit preußischer Geschichte entspannt.

SPK-Präsident Hermann Parzinger
© SPK/Herlinde Koelbl

Auf welches Exponat freuen Sie sich bei der Eröffnung des Humboldt Forums 2019 besonders?

Die Turfan-Höhlen mit ihren herausragenden buddhistischen Wandmalereien unter der Kuppel des Schlosses, das wird ganz bestimmt ein besonderes Erlebnis für jeden Besucher. Das gilt aber ebenso auch für die Südseeboote, die über zwei Etagen hinweg präsentieren werden, oder für die Inszenierung chinesischer Hofkunst des 18. Jahrhunderts durch den chinesischen Architekten Wang Shu. Aber eigentlich ist es die Gesamtheit der Kunst und Kultur aus aller Welt, die das Besondere des Humboldt Forums ausmacht.

Was ist bis zur Eröffnung die größte Herausforderung?

Die größte Herausforderung besteht ohne Zweifel in der Bewältigung einer logistischen Mammutaufgabe, nämlich des Ausbaus, der Konservierung und Restaurierung, Verpackung und Überführung der Objekte aus Dahlem ins Humboldt Forum. Es beginnt schon in diesem Frühjahr mit den Großobjekten. Dafür müssen im Schloss auch die klimatischen Voraussetzungen stimmen. Der Auszug aus Dahlem und der Einbau im Humboldt Forum gehen also Hand in Hand, bei 25.000 Objekten wahrlich keine Kleinigkeit, da muss alles stimmen. Bis jetzt verläuft alles weitgehend nach Plan.

Wie wird das Humboldt Forum den einfachen Bürger erreichen und geschichtliche Zusammenhänge begreifbar machen?

Die Ausstellungen und die verschiedenen Programmangebote des Humboldt Forums wollen den Menschen die Verflechtung der Welt begreiflich machen und Orientierungswissen vermitteln, und zwar über historische Entwicklungen ebenso wie über aktuelle Ereignisse und Debatten. Dabei wird es ein vielfältiges Bildungs- und Vermittlungsprogramm unter dem Dach der Humboldt Forum Akademie geben, das auf Zielgruppen ganz unterschiedlichen Alters und Bildungshintergrunds ausgerichtet ist. Im Humboldt Forum werden alle Menschen im Mittelpunkt stehen, nicht nur der klassische Museumsgänger oder Akademiker, das ist die besondere Herausforderung.

Preußen hat Künstler aus der ganzen Welt vereint – kann das Humboldt Forum in dieser Tradition auch im 21. Jahrhundert zu einer offenen Gesellschaft beitragen?

Das Humboldt Forum wird Wissen über die Welt und ihre Verflechtungen vermitteln. Dieses Wissen ist die entscheidende Grundlage für Respekt und Toleranz gegenüber Menschen mit anderem Glauben, anderer Hautfarbe und anderem kulturellem Hintergrund. Ohne Respekt und Toleranz wird es für unsere Gesellschaft keine friedliche Zukunft geben. Insofern wird das Humboldt Forum ganz enorm zu einer offenen Gesellschaft beitragen.

Erleben Sie über die differenziertere Geschichtsschreibung der letzten Jahre, aber auch über die gelungenen Ausstellungen und die Präsenz der historischen Fassaden eine neue Preußen-Begeisterung?

Ich würde nicht von einer „neuen Preußen-Begeisterung“ sprechen, vielleicht von einem allmählich etwas entspannteren Verhältnis zu unserer Geschichte. Es ist zu einfach und außerdem historisch falsch, mit Preußen nur Negatives zu verknüpfen. Preußen steht eben nicht nur für Militär, sondern auch für religiöse Toleranz und ein höchst fortschrittliches Bildungs- und Wissenschaftssystem. Mit der Wiedererrichtung der Schloss-Fassaden bekennt man sich bewusst zur eigenen Geschichte, auch zu ihren schwierigen und im 20. Jahrhundert verbrecherischen Seiten. Ein zeitgenössischer Neubau hätte uns von dieser Last befreit. Aber genau das wollte man doch nicht, und das macht auch dieses interessante Spannungsverhältnis zwischen der äußeren Form und dem Inhalt aus, die immer zu Debatten, auch sehr emotionalen, anregen wird. Das ist für mich auch Teil einer aktiven Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte im globalen Kontext. Und mit der Entscheidung, im Schloss nicht die eigene Kultur und Geschichte zu zeigen, sondern dort bewusst eine neue Auseinandersetzung mit anderen Kulturen zu wagen, öffnet sich das Humboldt Forum in besonderer Weise zur Welt.

Wird die Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Institution im Humboldt Forum erkennbar bleiben?

Die Staatlichen Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz werden den weitaus größten Teil des Humboldt Forums belegen und dadurch ihre thematische und inhaltliche Ausrichtung entscheidend mitbestimmen, ohne unsere Sammlungen kann es kein Humboldt Forum geben. Und trotzdem entsteht mit dem Humboldt Forum etwas Neues, eine neue Institution, die unter Leitung eines Intendanten oder einer Intendantin auf dem Potential aufbaut, das die Humboldt Universität, das Stadtmuseum Berlin und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz einbringen.

Wie sehen Sie die Mitte Berlins in zehn Jahren?

Stellen Sie sich einmal vor, Sie gehen in zehn Jahren vom Brandenburger Tor Richtung Museumsinsel: Bald sehen Sie links die fertige Staatsbibliothek Unter den Linden, die wieder im wilhelminischen Glanz wiedererstehen wird, verbunden mit einem hochmodernen Lesesaal und modernster Infrastruktur, ein Stück weiter zur Rechten die Staatsoper, noch ein Stück weiter dann die (fast) vollendete Museumsinsel mit der neuen James-Simon-Galerie und auf der anderen Seite des Lustgartens das Schloss mit dem Humboldt Forum. Der Boulevard Unter den Linden wird nicht mehr von Baustellen eingeschränkt, und aus der U-Bahn-Station zwischen Museumsinsel und Humboldt Forum strömen die Menschen. Was für eine Stadt, darauf kann man sich doch freuen!

Das Interview erschien zuerst im Auktionskatalog zur Preußen-Auktion 1105 des Auktionshauses Lempertz.

Weiterführende Links

zur Übersicht