Was Deutschland und Mexiko verbindet

News vom 29.04.2016

Dr. Barbara Göbel, Direktorin des Ibero-Amerikanischen Instituts (IAI), anlässlich des Dualen Jahres Deutschland und Mexiko 2016/2017 über die Beziehungen beider Länder zueinander.

Historische Aufnahme von Maya-Ruinenstätten aus dem Nachlass Teobert Malers (1824-1917)
Historische Aufnahme der Maya-Stätte Dzehkabtún in Mexiko © Nachlass Maler / Ibero-Amerikanisches Institut

Frau Dr. Göbel, was ist das Ibero-Amerikanische Institut und wie ist es entstanden?

Das IAI ist vor mehr als 85 Jahren mit Schenkungen aus Lateinamerika - und zwar aus Mexiko, Brasilien und Argentinien - an den Preußischen Staat gegründet worden. Die größte Schenkung war die der argentinischen Intellektuellen Ernesto und Vicente Quesada, die mehr als 83.000 Bücher umfasste. Sie war mit der Auflage verbunden, eine Einrichtung zu gründen, die mehr sein sollte als nur ein großes Wissensarchiv, nämlich auch Forschungszentrum und Kulturzentrum. Diese Verbindung von drei Bereichen unter einem Dach, die normalerweise getrennt voneinander funktionieren, ist für die internationale Ausrichtung und Vernetzung des IAI sehr wichtig.

Was genau unterscheidet das IAI von einer reinen Bibliothek?

Zwar ist die Bibliothek die „dickste“ der drei Säulen des IAI, doch funktioniert sie in engem Austausch mit den anderen beiden Säulen, dem Forschungszentrum und dem Kulturzentrum. Das heißt, die Bibliothek bezieht in ihrer Alltagsarbeit immer auch die Perspektive der anderen Bereiche mit ein. Dies ist auch der Grund, weshalb die Bibliothek als Forschungsbibliothek zu Lateinamerika, der Karibik, Spanien und Portugal eine weltweit führende Position erreichen konnte. Solch eine Verbindung von Bibliothek, Forschung und Kultur in einer Institution gibt es nirgendwo sonst in Europa für Lateinamerika und die Karibik -  und in Deutschland nicht für eine andere außereuropäische Region. Unser Profil zeichnet sich dadurch aus, zu verknüpfen, was normalerweise getrennt wird. Hierbei sehen wir uns als eine Mittlereinrichtung, die stabile und vielfältige Beziehungen zwischen Deutschland und Lateinamerika aufbauen und weiterentwickeln möchte. Was wir tun, mag vielleicht nicht wahnsinnig spektakulär sein. Unsere Besonderheit liegt vielmehr in der Kombination und Vernetzung über disziplinäre, institutionelle und regionale Grenzen hinweg.

Wieso kommen Wissenschaftler aus Lateinamerika und zunehmend auch aus Asien nach Berlin ans IAI?

Wir sind wie ein Makrokosmos im Mikrokosmos, ein „botanischer Garten der globalen Zentren“ voller Medien aus und über alle Länder Lateinamerikas, der Karibik, Spanien und Portugal. Die Informationsstrukturen Lateinamerikas und der Karibik sind häufig noch sehr stark national geprägt. Natürlich finden Sie viel mehr Bücher in den großen Bibliotheken dieser Länder zu dem jeweils eigenen Land als wir sie im IAI haben. Aber z.B. in Mexiko würden Sie selten Bücher zu Paraguay und Ecuador auftreiben können. Das heißt, wenn Sie hierher kommen, können sie vergleichend arbeiten. Das ist für die Wissensproduktion in den Sozial- und Geisteswissenschaften immer bedeutsamer. Auch finden Sie hier zu den Themen und Regionen kontinuierliche Bestände, was angesichts der politischen und wirtschaftlichen Brüche, Diktaturen, Bürgerkriege und Inflationsphasen in einigen Ländern Lateinamerikas nicht gegeben ist. Ein weiterer strategischer Vorteil des IAI in der Geopolitik des Wissens ist, dass wir nicht nur die „klassischen“ Bestände Bücher, Zeitschriften und Zeitungen unserer Bibliothek zugänglich machen. Die „wilden“ Materialien sind bei uns genauso verfügbar: wir haben die größte Fotothek, Kartensammlung und Phonothek in Europa zu Lateinamerika und der Karibik, aber auch Materialien, die man gar nicht in einer Bibliothek vermuten würde. So etwa Plakatsammlungen. Weil diese Materialien oft schwieriger zu managen sind, werden sie woanders häufig übergangen. Wir hingegen behandeln sie gleichberechtigt. Gerade in den Kultur- und Geisteswissenschaften, wo die Intermedialität immer mehr an Bedeutung gewinnt, ist das sehr wichtig. Daneben gibt es noch einen anderen Grund für unsere Attraktivität; einen, der in Deutschland häufig unterschätzt wird. Wenn man aber so wie ich außerhalb Deutschlands aufgewachsen ist, weiß man ihn zu schätzen: die institutionelle Beständigkeit. Wir können als Institution langfristig planen und mit dem Magazin in Friedrichshagen stehen uns bereits Depots für die nächsten Jahrzehnte zur Verfügung. Diese Verlässlichkeit ist sehr wertvoll und spiegelt sich auch in den vielen Schenkungen wider, die wir aus der ganzen Welt erhalten. Denn so wie ein Museum schaffen auch Bibliotheken „Wissen für die Zukunft“.

Gegenseitige Länderjahre haben zum Ziel, die Kenntnis und Beziehungen der jeweiligen Länder untereinander zu stärken: Wie steht es da um Mexiko und Deutschland?

Es bestehen historisch betrachtet sehr stabile und vielgestaltige Beziehungen zwischen Deutschland und Lateinamerika. Eines der herausragenden Länder ist hierbei Mexiko. Nicht nur wirtschaftlich ist es ein bedeutsames Partnerland, es bestehen auch enge Kooperationsbeziehungen in den Bereichen Wissenschaft und Kultur. Jedoch sind die Beziehungen zwischen Deutschland und Mexiko durch eine gewisse gegenseitige Unkenntnis geprägt. Daher möchten wir dazu beitragen, ein differenziertes Bild von Mexiko in die deutsche Gesellschaft zu bringen. Dies ist auch die Rolle der sogenannten „Länderjahre“ des Auswärtigen Amtes. Aufgrund seines Profils ist das IAI ein wichtiger Ansprechpartner für das Deutschlandjahr in Mexiko und das Mexikojahr in Deutschland. Gemeinsam mit einer Reihe von Partnern aus Wissenschaft, Kultur und Bildung führen wir Veranstaltungen in Berlin und anderen Orten Deutschlands ebenso wie in Mexiko durch.

Was bietet das IAI für das Themenjahr an?

Wir nehmen das Duale Jahr zum Anlass, um uns mit Geschichte und Gegenwart des Landes in einem Themenschwerpunkt auseinanderzusetzen. Mit einem breiten Spektrum an Veranstaltungen und Themen möchten wir ein vielfältiges Bild Mexikos vermitteln. Wir haben ja kontinuierlich Kooperationen mit Mexiko. Diese bündeln und intensivieren wir nun.

Was wäre ein Leuchtturm-Projekt?

Ein Leuchtturm-Projekt ist die Maya-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau. Dort beteiligen wir uns an der Gestaltung des Rahmenprogramms. In einer Vortragsreihe vertiefen wir Aspekte der Ausstellung. Archäologen aus Mexiko und Europa stellen darin den Stand ihrer Forschungen zu Architektur und Stadtplanung der Maya vor. Auch die weitreichenden Handelsbeziehungen der Maya werden Thema sein. Außerdem haben wir einen Ethnolinguisten eingeladen, der selbst Maya ist. Er lehrt an der Universität Leiden und beschäftigt sich mit kulturellen Praktiken der heutigen Maya, unter anderem mit ihrem Einsatz von Social Media und Rap-Musik.

Haben Sie auch ein Leuchtturm-Projekt in Mexiko?

Ja, zusammen mit dem Goethe-Institut Mexiko werden wir auf einer der wichtigsten Straßen in Mexiko-Stadt, der Reforma, Fotografien von Teobert Maler ausstellen. Maler dokumentierte Ende des 19. Jahrhunderts Maya-Fundstätten. Viele Kollegen aus Mexiko kommen zu uns ans IAI, um sich anhand seiner Bilder eine Vorstellung davon zu machen, wie die Fundstätten damals ausgesehen haben. Diesen historischen Fotografien werden wir Aufnahmen aktueller Grabungen an diesen Orten gegenüberstellen. Wir führen auch selbst ein archäologisches Projekt in Dzehkabtún im Norden des Bundesstaates Campeche durch, mit Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Wie sind die Fotografien Malers in Ihren Besitz gelangt?

Teobert Maler starb 1917 komplett verarmt und ohne Nachfahren in Yucatán. Sein Nachlass wurde zunächst beim Konsul von Österreich-Ungarn in Mexiko deponiert. Durch den Kauf eines deutschen Bibliothekars gelangten die Materialien zu uns. Wie so oft bei wertvollem historischem Material wurde dessen heutige Bedeutung für die Wissenschaft erst durch systematische Forschungen in Yucatán offenbar.

Wird es die Maler-Ausstellung auch in Deutschland geben?

Ja, wir möchten die Ausstellung in verschiedenen Städten zeigen, wahrscheinlich aber nicht im Freien wie in Mexiko. Außerdem ist eine weitere Maler-Ausstellung aus unseren Beständen in Arbeit. Hier wird die Persönlichkeit Malers und seine historische Fotografie im Vordergrund stehen.

Ist das IAI, neben den Ausstellungen, auch gerade in anderen Projekten in Mexiko involviert?

Ja, in der Tat. Neben der Archäologie befasst sich das IAI auch mit der digitalen Transformation. Und dazu bieten wir zusammen mit mexikanischen Partnern sowie im Kontext des DFG-geförderten Exzellenzclusters „Bild Wissen Gestaltung. Ein interdisziplinäres Labor“ im Basisprojekt Mobile Objekte sowohl hier als auch in Mexiko öffentliche Veranstaltungen und Workshops an.

Die digitale Transformation eröffnet andere Formen der Partizipation. Hier geht es um die Demokratisierung des Wissens. Eine besondere Herausforderung von Wissensarchiven besteht darin, Materialien zugänglich zu machen, jenseits von institutionellen und räumlichen Grenzen. Beispielsweise haben wir in einem Projekt mit dem Ethnologischen Museum und mexikanischen Partnern historische Wachswalzenaufnahmen von Ritualgesängen zweier ethnischer Gruppen, der Cora und Huichol, digitalisiert und konnten diese Aufnahmen den Nachkommen schließlich zur Verfügung stellen.

Wir arbeiten eng mit Wissensarchiven in Lateinamerika zusammen und möchten durch weitere Digitalisierungsprojekte in internationalen Kooperationen die Sammlungen miteinander vernetzen.

Wir laden alle herzlich ein, uns im Ibero-Amerikanischen Institut zu besuchen und mit uns gemeinsam Mexiko zu entdecken!

Die Fragen stellte Thyra Fermann

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