Die Fälle werden komplizierter

News vom 03.12.2018

Hermann Parzinger zu den Ergebnissen der internationalen Fachkonferenz „20 Jahre Washingtoner Prinzipien: Wege in die Zukunft“

Provenienzforscher bei der Arbeit
© SPK / photothek.net / Florian Gaertner

Die SPK hat gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste und der Kulturstiftung der Länder eine internationale Folgekonferenz zum Treffen von Washington veranstaltet. Welches Resümee ziehen Sie?

Ich denke, dass deutlich geworden ist, dass die Washingtoner Konferenz 1998 wirklich eine Revolution war, wie es der Architekt der Konferenz, Stuart Eizenstat, ausgedrückt hat. Seitdem geht es in vielen Museen der Welt darum, proaktiv nach NS-Raubkunst zu forschen und nach fairen und gerechten Lösungen mit den Erben zu suchen. Aber das ist nicht in allen Ländern so. Die Konferenz hat deutlich gemacht, dass einige Staaten in Osteuropa keine Aktivitäten entwickeln, um den NS-Kunstraub aufzuarbeiten. Hier muss die europäische Staatengemeinschaft insgesamt deutlich machen, dass das nicht in Ordnung ist. Die genannten Länder gehören ja schließlich auch zu den Unterzeichnern der Washingtoner Prinzipien.

Wie ist denn die Lage in Deutschland? Ronald Lauder vom Jüdischen Weltkongress sieht noch großen Handlungsbedarf, Kulturstaatsministerin Grütters verweist auf die Erfolge. Wo stehen Sie?

Deutschland in den vergangenen 2 Jahrzehnten mehr als 5.746 Kulturgüter im Museumsbereich restituiert. Hinzu kommen mehr als 11.676 Bücher. Die SPK hat 350 Kunstwerke und über 2000 Bücher zurückgeben. Das ist eine  Bilanz, hinter der wir uns nicht verstecken müssen, auch wenn noch sehr, sehr viel zu tun bleibt. Somit kann man die Ungeduld von Ronald Lauder in Teilen nachvollziehen. Mittlerweile werden die Sachverhalte schwieriger. Wir forschen  nur noch bei wenigen Fällen, die auf einer Beschlagnahme der Kunstwerke beruhen, meist handelt es sich um komplexe wirtschaftliche Transaktionen, in die die Alteigentümer eingebunden waren, und den Einfluss der politischen Situation auf die Familien.

Was ist aus Ihren Augen vonnöten, um die Dinge zu beschleunigen?

Sicherlich, und das hat ja auch die Tagung wieder vermittelt, brauchen wir Transparenz – Publikationen, Datenbanken, Ausstellungen. Im Netz muss ablesbar sein, wo wir stehen, was wir erschlossen haben. Das Problem hier ist, und das betrifft die meisten deutschen Museen, der fehlende Mittelbau. Wir brauchen Mittel und Kapazitäten, um Datenbanken auch befüllen zu können. Überhaupt hat das Berliner Treffen gezeigt, dass die Provenienzforschung unter ihrer Projekthaftigkeit leidet, es braucht flächendeckend in Deutschland einfach mehr feste Stellen, um voran zu kommen. Wichtig ist auch der Aufbau von Netzwerken. Ich möchte an dieser Stelle unbedingt den Arbeitskreis Provenienzforschung erwähnen. Dort hat man klein angefangen, mittlerweile hat der Verein 300 Mitglieder, die sich regelmäßig treffen und austauschen. Viele informelle Kontakte, auch mit Experten aus den Niederlanden, aus Frankreich oder den USA laufen wir. Außerdem gibt es den Austausch mit Forschern aus den USA im PREP-Projekt. Oder denken Sie an German Sales, wo wir mit der Uni Heidelberg und Getty Auktionskataloge aus der Zeit von 1900 bis 1945 online gestellt haben. Das ist eine ganz wichtige Forschungsressource. 

Wie geht man denn mit Kunstwerken und Objekten um, die nachgewiesenermaßen NS-Raubgut sind, zu denen aber keine Erben gefunden werden konnten? 

Erst einmal finde ich es wichtig, dass das DZK von der Kulturstaatsministerin jetzt auch mit der Hilfestellung bei der Erbensuche beauftragt wurde. In der gemeinsamen Erklärung zwischen Deutschland und den USA, die in Berlin unterzeichnet wurde, heißt es: ‚Kreative Lösungen können erwogen werden, wenn keine Erben gefunden werden können, beispielsweise die Nutzung erbenloser Kunstwerke als pädagogisches Mittel zur Aufklärung über den Holocaust in Ausstellungen weltweit und Kennzeichnung der ausgestellten Kunstwerke als entzogenes Eigentum einer jüdischen Familie.‘

Sie haben in Ihrer Rede auch an den Kunsthandel appelliert, sich die Washingtoner Prinzipien zu eigen zu machen. 

Ja, der Handel sieht bis auf wenige positive Beispiele – hier ist unbedingt das Auktionshaus Neumeister in München zu nennen – keine moralische Notwendigkeit, die Aufklärungsarbeit der Museen zu unterstützen. Das gilt auch bei Neuerwerbungen. Wir erfahren bei Auktionen oft nicht mal die Namen des Einlieferers und müssen deshalb zur Erforschung der Provenienz Geld in die Hand nehmen, obwohl die Informationen im Handel vorhanden sind. Das muss sich dringend ändern!

Eine letzte Frage: Wie stehen Sie zu einem Restitutionsgesetz?

Ich finde, wir sollten auf jeden Fall darüber diskutieren, ob ein solches Gesetz, wie es beispielsweise in Österreich existiert, auch für Deutschland in Betracht käme. Es würde, so glaube ich, die Museen bei der Entscheidung über Restitutionsersuchen sehr entlasten.

Die Fragen stellte Ingolf Kern. 

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