Vertrieben, enteignet, interniert: Der Saulmann-Erbe im Interview

25.06.2018Vertrieben, enteignet, interniert: Der Saulmann-Erbe im Interview

Der Anlass ist ein guter, die Geschichte dahinter tragisch: Am 25. Juni 2018 restituiert die SPK eine hölzerne Skulptur aus dem 15. Jahrhundert an den Erben von Agathe und Ernst Saulmann.

Die Fragen stellte Gesine Bahr

Felix de Marez Oyens vor der restituierten Engelgruppe im Bode-Museum
Felix de Marez Oyens vor der restituierten Engelgruppe im Bode-Museum © SPK / Friederike Schmidt

Das deutsch-jüdische Ehepaar Saulmann aus Eningen / Pfullingen bei Reutlingen besaß die Mechanischen Baumwollweberei Eningen – und sammelte leidenschaftlich Kunst. Die Repressalien der NS-Zeit führten dazu, dass die Saulmanns Deutschland 1935 verließen. Ihr Landgut wurde 1936 gepfändet und verkauft, der Kunstbesitz zwangsversteigert. Der deutsche Staat entzog den Saulmanns wenig später die deutsche Staatsbürgerschaft. Während des Zweiten Weltkriegs führte ihr Migrationspfad sie nach Frankreich, dort wurden sie im Camp Gurs interniert. Ernst Saulmanns Gesundheit erholte sich nie von dieser Internierung, er verstarb 1946 im Alter von 65 Jahren. Agathe Saulmann strengte nach Kriegsende ein Wiedergutmachungsverfahren an, das als eines der größten in der französischen Besatzungszone galt. Infolge der rassischen Verfolgung litt sie an Depressionen und verstarb an den Folgen eines Selbstmordversuches 1951. 

Der Auktionskatalog der zwangsversteigerten Sammlung Saulmann galt lange als verschollen – bis er 2013 in einem Münchner Keller entdeckt wurden. Anhand dieser Dokumente ließ sich u.a. die Engelgruppe als der Sammlung zugehörig identifizieren und wurde an den Saulmann-Erben Felix de Marez Oyens restituiert. Wir haben mit ihm gesprochen.

Herr de Marez Oyens, in welchem Verwandtschaftsverhältnis stehen Sie zu den Saulmanns?

Agathe Saulmann, geborene Breslauer, war die erste Frau meines Vaters, H.J. de Marez Oyens, einem niederländischen Altphilologe. Sie hatten 1915 in Berlin-Dahlem geheiratet – sie war die Tochter des berühmten Berliner Architekten Alfred Breslauer – und ein Jahr später wurde ihre Tochter Alma Carolina Frederica, genannt Nina, in Den Haag geboren. Ich bin das jüngste Kind meines Vaters aus seiner dritten Ehe, geboren 1946. Nina, die 2005 verstarb, war also meine Halbschwester.

Warum flohen die Saulmanns aus Nazi-Deutschland nach Italien, das zu jener Zeit unter faschistischer Herrschaft stand?

Die Saulmanns flohen 1935, in den letzten Dezembertagen nach Florenz, wo sie ein Haus besaßen. Später mussten sie erneut fliehen und überlebten den Krieg knapp – zuerst im Frankreich unter dem Vichy-Regime und dann im besetzten Frankreich.

Ging Nina, Agathes Kind aus erster Ehe, mit den Saulmanns ins Exil? Wie war ihr Migrationsweg?

Damals lebte Nina mit ihrem Vater im sicheren Amsterdam. Nachdem die Nazis Holland besetzt hatten, schaffte er es, sie in die Schweiz bringen zu lassen.

Was haben Sie gedacht, als die SPK mit dem Anliegen auf Sie zugetreten ist, die „Engelgruppe“ zu restitutieren?

Ich war beeindruckt davon, dass die SPK bzw. das Bode-Museum uns auf eigene Inititative kontaktiert haben. Die Saulmann-Rückgaben von anderen deutschen Museen wurden nach Recherchen und Anfragen unseres Anwaltes gemacht.

Ist Ihnen die Entscheidung schwer gefallen, der SPK den Ankauf der restituierten “Engelgruppe” zu ermöglichen?

Das war eine leicht zu treffende Entscheidung. Der angebotene Preis war absolut korrekt und wurde sofort akzeptiert. Die Skulptur wird seit geraumer Zeit im Bode-Museum gezeigt und es ist erfreulich zu wissen, dass sie jetzt einen dauerhaften Platz im erneuerten Berlin gefunden hat, der Geburtsstadt von Agathe. Ich hoffe, dass die Museumskuratoren die Saulmann-Provenienz auch auf der Ausstellungsauszeichnung sichtbar machen werden.

Was wissen Sie über die Sammlung von Ernst und Agathe Saulmann? Was war ihr Sammlungsschwerpunkt? 

Die Saulmann-Sammlung war mit alten Gemälden, Skulpturen, Möbeln, Tapisserie und Kunstgeschichtlichen Büchern eine konventionelle. Die abenteuerlicheren Objekte waren Automobile und ein kleines, einmotoriges Flugzeug, das Agathe selbst geflogen ist. Sie hat auch regelmäßig Pfeife geraucht. Ich weiß aber nicht, ob sie auch eine Pfeifensammlung angelegt hat.

Was ist mit den anderen Objekten der Saulmann-Sammlung geschehen?

Die Sammlung wurde 1936 in Adolf Weinmüllers Münchner Auktionshaus gewaltsam in hunderte Teile aufgelöst. Bis jetzt konnten wir erst den Verbleib von elf Objekten identifizieren, von denen manche zurückgegeben wurden, bei anderen haben wir eine ähnliche Vereinbarung getroffen wie bei der Engelgruppe. Ein Objekt im Bayerischen Nationalmuseum in München wurde offenbar bereits während eines Bombenangriffs der Alliierten zerstört.

Die SPK gebraucht für die Restitution die Worte „faire und gerechte“ Lösung. Stimmen Sie dem zu?

Ja, das sind die angemessenen Worte. Meine Stiefmutter Agathe, deren Großvater Julius Lessing der erste Direktor des Kunstgewerbemuseums in Berlin gewesen ist, hätte sich darüber gefreut, wenn sie von dieser einvernehmlichen Vereinbarung gewusst hätte.

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