Datenbank „German Sales“: Den Kunstgeschichten auf der Spur

25.10.2019Datenbank „German Sales“: Den Kunstgeschichten auf der Spur

Mit der Datenbank „German Sales“ können Provenienzforscher tief in die Kunst-Geschichten von 1901–1945 eintauchen.

Von Sven Stienen

Wenn ein Kunstwerk 500 Jahre alt ist, hat es in seiner Geschichte wahrscheinlich mehr als einen Besitzer gehabt. Häufig gingen die Werke über die Jahrzehnte hinweg durch zehn oder 20 Hände – oft über Auktionshäuser, die den Handel vermittelten. Für Provenienzforscher*innen, die heute die Objektgeschichten von Kunstwerken rekonstruieren, spielen Akten, Inventare und vor allem die Kataloge der Auktionshäuser eine große Rolle. Durch sie erhalten die Forscher*innen Hinweise darauf, wem ein Kunstwerk gehörte, wann und wie es den Besitzer wechselte. „Auktionskataloge sind schriftlich niedergelegte Hinweise auf Eigentümerwechsel und damit eine wichtige Quelle für die Provenienzforschung“, erklärt Joachim Brand, stellvertretender Direktor der Kunstbibliothek. „Die Kataloge werden aber nicht systematisch gesammelt. Sie sind natürlich in Museen oder Museumsbibliotheken vorhanden, wo die Sammlungskuratoren sie für die tägliche Arbeit brauchen. Aber es gibt keine Institution, die immer zu allen Zeiten alle Auktionskataloge gesammelt hat.“

Das wegweisende Projekt „German Sales“, bei dem sich die Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin, die Universitätsbibliothek Heidelberg und das Getty Research Institute Los Angeles vernetzt haben, schließt diese Lücke nun für den deutschsprachigen Raum zum großen Teil. Rund 9000 zwischen 1901 und 1945 erschienene Kataloge wurden seit 2010 in zwei DFG-geförderten Projekten vollständig erfasst, digitalisiert und erschlossen. Das Teilprojekt 1 umfasste Kataloge aus den Jahren 1930-1945 und Teilprojekt 2 jene von 1901-1929. Die Kataloge stammen von mehr als 390 Auktionshäusern in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Diese für die Provenienz- und Kunstmarktforschung unverzichtbaren Quellen sind damit erstmals im Open Access online verfügbar. Insgesamt rund 650.000 Seiten lassen sich in der Datenbank im Volltext katalogübergreifend recherchieren. „German Sales“ ist Teil des „Provenance Index“, einer Datenbank des Getty Research Institute, die bereits umfassende Daten zum historischen Kunstmarkt in Großbritannien und Italien beinhaltet und diese nun um den deutschsprachigen Raum ergänzt.

Britta Bommert und Joachim Brand
Britta Bommert und Joachim Brand ©Katrin Käding

Der deutschsprachige Auktionsmarkt mit seinen Zentren in Berlin, Frankfurt, München, Wien und Zürich wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem der weltweit expansivsten Umschlagplätze für Kunst. Die Versteigerung zahlreicher Privatsammlungen, die Aktivitäten von Museumsdirektoren und -kuratoren im Kunsthandel, die Weltwirtschaftskrise, sowie die Kunstraube und Enteignungen des NS-Staates prägen seine Geschichte. Durch „German Sales“ werden die Objektbiographien und die Akteur*innen und Orte dieser Geschichte in einer nie da gewesenen Schärfe identifizier- und rekonstruierbar. In der kürzlich fertiggestellten Bibliographie zu dem zweiten Teilprojekt finden sich neben der Auflistung aller Kataloge auch verlinkte Register der versteigerten Sammlungen, der Auktionshäuser und der Verfasser der Einleitungen, darunter bedeutende Kunsthistoriker wie Wilhelm von Bode, Max J. Friedländer, Julius Meier-Graefe und Otto von Falke.

Dieser neue Service ist eine enorme Erleichterung für die Provenienzforscher*innen, die mit ihrer Arbeit unter anderem dazu beitragen, Unrecht der Nationalsozialistischen Diktatur aufzuklären. Die Wissenschaftlerin Britta Bommert, die gemeinsam mit Projektleiter Brand das Projekt in der Kunstbibliothek betreute, hat viel positives Feedback erhalten: „Tatsächlich ist es so, dass die Provenienzforscher sehr froh über das Projekt sind, denn es ist aufwändig, diese Kataloge alle ausfindig zu machen, in die Bibliotheken zu gehen und sich die Bestände anzuschauen. Provenienzforschung war nicht zuletzt auch deshalb mit vielen Reisen verbunden, da es keinen zentralen Zugang zu den Katalogen gab. Ich denke, wir haben einen großen Beitrag geleistet, dass die Provenienzforschung rascher und auch kostengünstiger erfolgen kann.“

Faksimile eines Auktionskatalogs
Faksimile eines Auktionskatalogs © Universität Heidelberg / „German Sales“

Vor der Veröffentlichung von „German Sales“ im Provenance Index mussten Forschende in allen Bibliotheken und Einrichtungen, die Kataloge im Bestand haben, einzeln anfragen und vor Ort recherchieren. All diese Informationen sind nun online zusammengefasst und leicht einsehbar. „Um alle deutschsprachigen Kataloge zu ermitteln, die im gesamten Zeitraum von 1901 bis 1945 publiziert wurden, haben wir mit den umfangreichen Beständen in der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin und in der Universitätsbibliothek Heidelberg begonnen“, erinnert sich Bommert. „Danach haben wir andere große Bibliothekseinrichtungen oder Museen mit einer langen Historie kontaktiert und um Mithilfe gebeten.“

Mit Ende des Projektes bietet die Fülle an Quellenmaterial im Überblick erstmalig neue Erkenntnisse zum Kunstmarkt von 1901–45. Allein die quantitative Erhebung über die Menge aktiver Aktionshäuser im betreffenden Zeitraum wurde erst durch das Projekt möglich. Nun werden auch die Firmengeschichten besser rekonstruierbar und die verschiedenen Auktionshäuser genauer zu charakterisieren sein. „Man kann auch andere Daten erheben, zum Beispiel zu welchem Zeitpunkt oder zu welchen Gattungen besonders viele Auktionen stattgefunden haben“, sagt Britta Bommert. Diese Möglichkeiten dürften nicht nur die Forschung im Bereich der NS-Kunstraube weiter vorantreiben, sondern auch in Bezug auf den Handel mit ethnologischen Objekten am Anfang des 20. Jahrhunderts spannende neue Erkenntnisse erbringen. Eine Erweiterung der Datenbank ist für Joachim Brand ebenfalls vorstellbar: „Es wäre natürlich schön, näher an die Gegenwart zu kommen. Zum anderen könnte man weiter in die Vergangenheit gehen, in die 1870er Jahre oder noch früher …“

Das Potential von „German Sales“ für die Forschung wird in jedem Fall in den nächsten Jahren beschäftigen und man darf gespannt sein, welche spannenden Geschichten in dem immensen Quellenschatz stecken.

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