Geht nicht, gips nicht: Warum die Gipsformerei boomt

News vom 21.12.2016

Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat jüngst beschlossen, die Berliner Gipsformerei mit 520.000 Euro zu unterstützen. Warum das wichtig ist und was mit dem Geldsegen geschieht, besprachen wir mit Miguel Helfrich, dem Leiter der traditionsreichen Werkstatt.

Gipsformerei
© SPK / photothek.net / Thomas Köhler

Herr Helfrich, was ist das Besondere an der Gipsformerei?

Die Gipsformerei existiert seit 1819 und hat kontinuierlich Museumsrepliken hergestellt. Heute besitzen wir deshalb über 7000 Abformungen von Kunstwerken, die zahlreiche Epochen und Kulturen abdecken – ein einzigartiges Archiv der Weltkunst. Wir beherrschen heute noch Fertigungstechniken, die vielerorts bereits verlorengegangen sind. Außerdem sind einige unserer Abgüsse selbst historisch bedeutsam. Einige Originale haben die Zeiten nämlich leider nicht überlebt oder wurden beschädigt. Die teils 200 Jahre alten Abgüsse sind aber erhalten und zeigen noch den historischen Zustand des Ursprungswerks.

Jüngst wurden im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages zusätzliche Mittel für die Gipsformerei bereitgestellt. Warum war dieser Zuschuss wichtig?

Er bedeutet für uns eine große Chance. Ein Alleinstellungsmerkmal der Gipsformerei ist, dass wir eine einzigartig vielfältige Sammlung haben und auch noch in der Lage sind, hochwertige Abgüsse monumentaler Werke herzustellen. Gerade nach überlebensgroßen Repliken ist die Nachfrage in den letzten Jahren stark gestiegen. Andere noch existierende Kunstmanufakturen in Europa können größere Aufträge in dieser Qualitätsklasse gar nicht mehr wahrnehmen. Allerdings arbeiten wir am historischen Produktionsort von 1892, obwohl die Sammlung stetig gewachsen ist. Es mangelt eigentlich immer an Platz, gerade wenn wir Großaufträge erhalten. Als Notbehelf nutzen wir momentan noch unsere Modellhalle als zusätzliche Werk- und Produktionsstätte. Um diese Situation zu entzerren, planen wir mit den nun zur Verfügung gestellten Geldern eine eigene Werkhalle als Funktionsbau mit extra Lager auf dem Gelände der Gipsformerei.

Wie sieht dann ein solcher Großauftrag aus?

Einige der größten Aufträge, die wir in letzter Zeit hatten, kamen zum Beispiel vom Künstler Jeff Koons und von einem Hotel aus Düsseldorf, das sich komplett mit Skulpturen eingerichtet hat. Teilweise lancieren auch Museen Großaufträge. Beispielsweise arbeiten wir gerade an einer Bestellung aus Mexiko. Das Museo International del Barroco in Puebla beschäftigt sich mit der globalen Verbreitung des Barock und seinem Revival im Neo-Barock. Das Museum ist ziemlich jung und baut seine Sammlung noch auf. Für ihre Ausstellung hat es neben anderen Werken den sogenannten „Großen Kurfürsten“ bestellt – die 4,20 Meter messende Reiterskulptur des Friedrich Wilhelm von Brandenburg.  An ihr arbeiten wir nun schon seit 12 Monaten.

Warum gestaltet sich der Abguss so schwierig?

Der „Große Kurfürst“ ist tatsächlich eine der monumentalsten Formen unserer Sammlung und wurde seit über 100 Jahren nicht mehr nachgebildet. Wir fertigen die Monumentalfigur aus fast 10.000 Einzelteilen, die aufwendig zusammengefügt werden müssen.

Und Jeff Koons, an welchen Stücken war er interessiert?

Für seine Arbeit „Gazing Ball“ hat er bei uns Abgüsse von antiken Werken bestellt, wie die schlafende Ariadne, den Herakles von Farnese, Apollo Lykeios und einen Zentaur – und das jeweils viermal. Das war ein wunderbares Projekt.

Ist es üblich, dass Einzelpersonen bei Ihnen bestellen?

Ja, und zwar schon seit den Anfängen der Gipsformerei. Privatpersonen haben sich schon immer für die Gipsformerei interessiert: Goethe hat hier viel bestellt, aber auch Wilhelm von Bode hat Aufträge erteilt. Unsere größten Kunden heute sind natürlich Museen und Kultureinrichtungen, beispielsweise zur Sammlungserweiterung oder für Restaurierungen. Wir konzentrieren uns dabei nicht auf Deutschland, sondern arbeiten stark international – Mexiko, Schweiz, China, Katar, etc. In letzter Zeit werden auch einige Künstler auf uns aufmerksam. Neben Jeff Koons zum Beispiel auch Isa Genzken. Architekten gehören ebenfalls zu unserem Kundenkreis, wie auch professionelle Einrichter, die zum Beispiel die Innenausstattung für historische Immobilien überarbeiten.

Und die erhalten dann eine Tour durch die Werkstätten?

Genau das ist unsere Achillesferse. Pro Sammlungsgebiet haben wir zwar Kataloge. Die sind aber ehrlich gesagt selbst schon wieder museumsreif. Es sind schwarz-weiß-Hefte mit teils winzigen Abbildungen, die wir lange nicht neu auflegen konnten. Das heißt, bislang müssen Kunden immer direkt zu uns in die Gipsformerei kommen, um sich ein richtiges Bild der Auswahl und der Qualität der Abgüsse zu machen. Das ist natürlich nicht immer möglich. Deshalb haben wir uns nun für einen Online-Katalog entschieden, den wir mit den Zuschussmitteln des Bundes  und des Kuratoriums Preußischer Kulturbesitz aufbauen.

Werden in dem Online-Katalog auch alle Werke erhältlich sein?

Definitiv. Wir machen unseren gesamten Formbestand für jedermann verfügbar. Das hat auch Konsequenzen für uns: Wir müssen unterschiedliche Techniken lebendig halten, um unser Angebot anbieten zu können. Daher schulen wir uns stetig in unterschiedlichen Fertigungstechniken. Dazu gehören sehr alte, traditionelle Verfahren wie etwa das Arbeiten mit Kernstück- oder Gelatineformen, das heute nur noch wenige beherrschen. Wir nutzen aber auch die etwas neueren Silikonformen. Um ein Beispiel zu nennen: Der „Große Kurfürst“ beruht auf einer alte Kernstückform, die wir heute noch für Repliken benutzen können. Wenn wir von dem Großen Kürfürsten nur eine Silikonform hätten,  wäre sie nach 10 Jahren abgenutzt.

Wie wäre es mit 3D-Scans?

Scans sind berührungsfreie Verfahren, die wir uns auch zu Nutze machen. Gemeinsam mit der Technischen Universität Berlin digitalisieren wir schon länger solche Stücke aus unserer Sammlung, bei denen das Original nicht mehr erhalten ist oder die besonders empfindlich sind. Wir untersuchen auch, wie sich analoge und digitale Verfahren am besten kombinieren lassen – denn nicht immer kann der Scan den Informationsgrad der Gussform erreichen.

Sie sagten, die Gipsformerei verkauft seit jeher. Können Sie an Ihren Verkaufsbüchern einen bestimmten Zeitgeschmack ablesen?

Eine lückenlose Geschichte zu erzählen ist schwierig, weil unsere historischen Bücher leider nicht vollständig sind. Aber man kann schon anhand der Unterlagen sehen, wann was in Mode war. Als beispielsweise die Amarna-Sammlung in den 1920ern erstmals in Berlin ausgestellt wurde, fertigte die Gipsformerei plötzlich Abgüsse von sehr vielen ägyptischen Objekten. Ein Nachteil ist, dass nicht alle unserer über 7000 Stücke im Detail publiziert sind. Wir haben zum Beispiel eine große Sammlung an Abformungen von Objekten aus Lateinamerika. Dazu gibt es noch nicht einmal einen schwarz-weiß-Katalog, sondern nur eine Liste in einem alten Ordner. Es ist einer meiner dringenden Wünsche, auch diese Werke richtig aufzuarbeiten und der Welt zu zeigen. Wir haben den Anspruch, die nationale und internationale Wahrnehmung dieser einzigartigen Sammlung zu erhöhen und sie der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen – auch als Studiensammlung.

Die Fragen stellte Silvia Faulstich.

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