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Von Jerewan bis Berlin: Schriftgut retten!
News from 02/12/2019
Seit 2010 gibt es die Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK). Barbara Schneider-Kempf, Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin, erzählt im Interview, wie es dazu kam und was ihr Haus in diesem Bereich sonst noch macht – unter anderem geht es um eine ganz besondere Kooperation mit Armenien.
Frau Schneider-Kempf, die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts spielt in der Staatsbibliothek eine wichtige Rolle. Wie ist dieser Schwerpunkt entstanden?
Barbara Schneider-Kempf: Eine Reihe von Direktoren großer deutscher Bibliotheken und Archive gründete Anfang der 2000er Jahre die Allianz zur Erhaltung des schriftlichen Kulturguts. Sie alle waren verantwortlich für wertvolle Bestände und standen vor der Frage, wie es weitergehen soll, denn die Erhaltung des Schriftguts kostet sehr viel Geld, fachliche Ressourcen und gute Planung. Nachdem ich Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin geworden war, haben wir unter meiner Federführung in der Allianz eine Denkschrift zum künftigen Umgang mit dem schriftlichen Kulturgut verfasst. Als im Jahr 2009 das Kölner Stadtarchiv einstürzte, überreichten wir dem damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler eben diese Denkschrift. Der Bundespräsident nahm das Thema sofort auf und gab es an den damaligen Kulturstaatsminister Bernd Neumann weiter. Wir hatten den Stein ins Rollen gebracht, denn als Nächstes konzipierte eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit Vertretern des Bundes, der Länder und der großen Bibliotheken und Archive die Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK). Diese wurde bei der Staatsbibliothek zu Berlin angesiedelt und arbeitet seit 2010 mit wachsendem Erfolg. Wir sind auf einem guten Weg.
Was macht die Staatsbibliothek selbst? Welche Restaurierungen laufen im Hause?
Unsere eigene Restaurierungswerkstatt, die gut ausgestattet ist, ist natürlich mit Arbeiten an den eigenen Beständen beschäftigt. Trotzdem müssen wir immer wieder auch extern Aufträge vergeben, weil wir nicht alles bei uns erledigen können. Die Werkstatt ist auch als Folge des Umbaus des Hauses Unter den Linden sehr großzügig untergebracht, mit eigenen Räumen für die Bearbeitung von Papier und Pergament wie auch einer Klimakammer. Die Kollegen, die dort arbeiten, sind unter anderem versiert im Papierspalten, einer Technik, die bei der Konservierung unserer Bach-Handschriften zum Einsatz kam.
Wie steht es derzeit um den konservatorischen Zustand der Bestände der Staatsbibliothek?
Es gibt viel zu tun und wir gehen Schritt für Schritt vor. Gelegentlich haben wir etwas Spektakuläres, zum Beispiel die Bach-Handschriften oder aktuell eine wunderschöne Handschrift der niederländischen Herzogin Maria von Geldern, die in katastrophalem Zustand war. Die Handschrift durfte überhaupt nicht mehr benutzt werden, weil sie gleich auseinandergefallen wäre. Daraufhin hat die Radboud Universität Nijmegen, aus der Heimatregion Maria von Gelderns, Geld für die Konservierung gesammelt und ein Forschungsprojekt ins Leben gerufen. Im Moment läuft eine Ausstellung in Nijmegen, wo einige der restaurierten Blätter bereits präsentiert werden.
Im Bereich der Schriftguterhaltung unterhält die Staatsbibliothek auch weitere Kooperationen, etwa mit mehreren Einrichtungen in Armenien …
Unsere Kooperation mit Armenien hat mehrere Facetten. Eine wichtige ist der alle zwei Jahre stattfindende Workshop, bei dem zwei Restauratorinnen aus unserem Haus zum Handschriftenzentrum Matenadaran fahren – dieses ist übrigens als Ganzes Weltkulturerbe – und mit den dortigen Kollegen einen sehr schönen Austausch über Fragen der Bestandserhaltung haben. Das Besondere an dem Austausch ist, dass unsere sehr erfahrenen Restauratorinnen mit ihren Kolleginnen anhand der dort herrschenden klimatischen Bedingungen und Lichtverhältnisse gemeinsam erarbeiten, welche Methoden für welchen Zweck angewendet werden sollen. In diesem Jahr ging es zum Beispiel um die Vorbereitung von Beständen für Ausstellungen, das hatten sich die armenischen Kolleginnen gewünscht. Neben dieser Zusammenarbeit mit dem Matenadaran gibt es auch einen fachlichen Austausch mit der armenischen Nationalbibliothek.
Sie haben auch einen Ehrendoktor von der Universität in Jerewan, der armenischen Hauptstadt, erhalten.
Ich habe mich darüber enorm gefreut, es ist eine schöne Anerkennung.
Haben Sie in den letzten Jahren auch eine persönliche Verbindung zu Armenien aufgebaut?
Ja, da ist eine Verbindung entstanden. Ganz deutlich habe ich es gemerkt, als ich vor zwei Jahren das Mahnmal für den Genozid an den Armeniern besucht habe. Ich habe auch die dazugehörige Ausstellung besucht und meine Kollegin Meliné Pehlivanian, die armenische Wurzeln hat und stellvertretende Leiterin unserer Orientabteilung ist, hat mir Einzelheiten über den Genozid erzählt. Während dieses Aufenthalts im Jahr 2016 erkannte der Deutsche Bundestag den Völkermord als solchen offiziell an. Als ich dann den damaligen Workshop eröffnete und über Restaurierungen und Fachliches sprach, hat die Leiterin der dortigen Restaurierungswerkstatt zu allererst über die Anerkennung des Genozids durch Deutschland gesprochen und ist erst dann auf das gemeinsame Fachliche eingegangen. Das war in dem Moment das wichtigere Thema.
Ich bin eigentlich nicht so schnell zu Tränen gerührt, aber in diesem Moment, vor dem Hintergrund des Besuchs der Gedenkstätte, habe ich schon um Haltung gekämpft. Ich habe mich danach auch für weitere Aspekte der armenischen Kultur interessiert und zum Beispiel im Internet die Trauerfeier des weltweit beliebten französisch-armenischen Chanson-Sängers Charles Aznavour in Paris verfolgt. Sie fand im Innenhof des Invalidendoms statt, der französische Präsident Macron war auch da, und es wurde eine Musik der armenischen Duduk-Flöte gespielt. Die hat einen sehr charakteristischen, traurigen Klang. Diese Duduk-Flöte kommt übrigens auch in der sehr eindringlichen Eröffnungsszene des Hollywood-Films „Gladiator“ vor. Also Sie merken, ich weiß inzwischen schon ein bisschen mehr über Armenien, insofern beantworte ich Ihre Frage mit: Ja.
Die Fragen stellte Jonas Dehn.