Wider den langsamen Fraß von Innen: Die KEK und ihre Arbeit

News from 03/22/2016

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Seit 2011 gibt es die Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts – kurz KEK. Aber was macht diese Einrichtung eigentlich genau? Im Gespräch berichtet Ursula Hartwieg, Leiterin der KEK, von folgenreichen Katastrophen, den Herausforderungen des Föderalismus und innovativen Modellprojekten.

Ursula Hartwieg, Leiterin der Koordinierungsstelle zum Erhalt des schriftlichen Kulturguts
© Staatsbibliothek zu Berlin / Foto: Carola Seifert

Katastrophen fördern Kulturgutschutz

Jene Grubenarbeiten, die im März 2009 das Historische Archiv der Stadt Köln einstürzen ließen, leisteten gleichzeitig einer wichtigen Menschheitsaufgabe Vorschub: der Bewahrung schriftlichen Kulturguts. 90 Prozent der Inkunabeln, Handschriften und anderen unersetzbaren Archivgüter waren verschüttet worden – und erst so ins öffentliche Bewusstsein gelangt. Ähnlich wie bei dem Großfeuer in der Weimarer Anna-Amalia-Bibliothek 2004, dessen Flammen sich durch 50.000 historische Originalbände fraßen und gleichzeitig das Problem des bedrohten, weil vergänglichen Schriftguts lodernd erhellten. Mit der Katastrophe von Köln war der Stein endgültig ins Rollen gekommen: Die Erhaltung schriftlichen Kulturguts wurde als wichtige Aufgabe im Koalitionsvertrag von 2009 verankert und die Denkschrift der 2001 gegründeten Lobbygruppe für Archive und Bibliotheken „Allianz schriftliches Kulturgut Erhalten“ verschwand nach Erscheinen nicht im Regal, sondern diente als Orientierung für drei Runde Experten-Tische.

63,2 Mio. Euro für den Kampf gegen die Vergänglichkeit

Klar war zu diesem Zeitpunkt: Man muss etwas tun, man will etwas tun. Was man hingegen nicht wusste: Was braucht man strukturell dafür und wieviel Geld ist nötig? Damit war der Handlungsauftrag der 2011 von Bund und Ländern gegründeten Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kultusguts – kurz KEK – klar. Ursula Hartwieg, die Leiterin der an der Staatsbibliothek zu Berlin angesiedelten KEK erklärt: „Anhand unserer bundesweiten Bestandsaufnahme konnte nun berechnet werden, dass jährlich 63,2 Mio. Euro erforderlich wären, um pro Jahr mindestens ein Prozent des gefährdeten oder geschädigten schriftlichen Kulturguts konservatorisch und restauratorisch bearbeiten zu können. Aber Geld allein hilft nicht – es muss auch umgesetzt werden können.“ Darum gilt es für die KEK herauszubekommen, in welcher Höhe Gelder in den kommenden Jahren „erforderlich sind und zielführend eingesetzt werden können. Zu berücksichtigen waren dabei die Möglichkeiten und Begrenzungen der vorhandenen Infrastrukturen: Kapazitäten in den Bereichen Personal, Werkstätten und Dienstleister“, so Hartwieg.

Die einzelnen Bundesländer sind in der Frage der Erhaltung schriftlichen Kulturguts sehr unterschiedlich aufgestellt: „Manche Länder wie Baden-Württemberg fahren schon seit den Achtzigerjahren landeseigene Programme für den Originalerhalt, andere stehen noch sehr am Anfang.“ Letzteres war 2012 bei der Causa Stralsund zu beobachten: Das Stadtarchiv hat wertvolles Kulturgut verkauft, das auch noch verschimmelt war – „Ein echtes Negativbeispiel dafür, was die Folgen fehlender Fachkompetenz vor Ort sein können“, so Hartwieg. Ein Gutes hatte diese Schockerfahrung: In Mecklenburg-Vorpommern hat man sich nun auf die Verantwortung für die Wahrung des Kulturguts besonnen.

Vor der Ewigkeit stehen Tintenfrass, Schimmel und Ignoranz

Doch was bedroht eigentlich das schriftliche Kulturgut? So öffentlichkeitswirksam die Katastrophen von Köln und Weimar waren, so untypisch sind sie in ihrer Abruptheit und Bekanntheit. Die Gefährdung schriftlichen Kulturguts geschieht für gewöhnlich heimlich, still und leise. Ursula Hartwieg spricht von den „endogenen und exogenen Schäden. Sprich, wenn in saurem Papier der Zerfall bereits angelegt, also materialimmanent ist, oder wenn äußere Faktoren wie schlechte Lagerung zu Schäden führen. Aber auch fehlende Fachkompetenzen und -kapazitäten können eine Gefährdung darstellen.“

Ein wichtiges Instrument für die Erstellung der 2015 veröffentlichten Bundesweiten Handlungsempfehlungen war die seit 2010 stattfindende, jährliche Modellprojektförderung. Auch 2016 will die KEK damit wieder Projekte unterstützen, die innovativ, modellhaft und öffentlichkeitswirksam zum Erhalt des schriftlichen Kulturerbes in Archiven und Bibliotheken beitragen. Zwischen Modellprojekten und Handlungsempfehlungen gibt es eine wichtige Wechselwirkung: Erfahrungen aus den Modellprojekten flossen in die Empfehlungen ein, gleichzeitig sind die Projekte praktische Probebühnen für die Handlungsempfehlungen. Ob es darum ging, die strapazierten Rücken riesiger Chorbücher zu stärken, durch Hitze und Löschwasser verformte Gewebeeinbände aus der Anna-Amalia-Bibliothek wieder in Form zu bekommen, verblassende Schrift sichtbar zu machen, die leider auf saurem Papier ausgedruckte erste E-Mail zu erhalten, oder eine vergessene Kirchenbibliothek in Barth für die Forschung zu sichern: Alle diese Modellprojekte waren kleine, aber wichtige Schritte der niemals enden wollenden Daueraufgabe Bestandserhaltung. Dieses Jahr sind Projekte zum Thema „Erste Wahl“ gesucht, bei denen es um Priorisierungsfragen geht: Was ist am meisten gefährdet, womit fängt man an? Denn, so Ursula Hartwieg „Prävention ist besser als Reaktion“. Da ist es mit Büchern wie mit der Endlichkeit des Menschen: „Es gibt kein Stoppen, nur ein Verlangsamen. Materie zerfällt. Für die Ewigkeit hält sehr wenig.“

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