„Der Islam gehört zur Museumsinsel“, Artikel von Hermann Parzinger, erschienen am 11. Februar 2015 in der SZ

News vom 12.02.2015

Wie man das verschüttete Wissen über gemeinsame Geschichte und Kultur freilegen kann.

Blicken wir auf die derzeitigen Ereignisse in unserem Land wie auch in vielen Teilen der Welt, insbesondere im Nahen Osten, so kann von dem unbedingten Willen zu einem Dialog der Kulturen und der Religionen wahrlich keine Rede sein. In Teilen Syriens und des Irak verfolgt der so genannte „Islamische Staat“ (IS) Christen und andere islamische Glaubensrichtungen, die sich nicht dem Diktat seiner eigenwilligen Religionsauslegung unterwerfen. Die Verheerungen machen dabei selbst vor der eigenen Kultur nicht halt: So sprengte der IS eine Moschee in Mossul, zerstörten vor nicht allzu langer Zeit islamistische Gruppen im Norden Malis islamische Heiligengräber und wertvolle mittelalterliche Handschriften.

Bei uns in Deutschland ist die sich allmählich in rechtsextreme Hardliner und scheinbar weniger radikale Gruppierungen selbst zerlegende Pegida-Bewegung nicht nur Ausdruck von Ängsten, sondern befördert diese noch in skurriler Weise. Es steht nicht die „Islamisierung des Abendlands“ bevor, wie in Dresden gerufen wird, es gilt, endlich Konsequenzen aus der gescheiterten Integration jahrzehntelanger Zuwanderung zu ziehen. Der Anschlag auf das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ und die Polizeiaktionen in Belgien zeigen, dass hier auch in anderen europäischen Staaten Handlungsbedarf besteht.

Wir wissen längst, dass es ein Fehler war, die Zuwanderung in Europa nicht mit einem Durchmischen der Gesellschaft zu verbinden. Es kam zu gegenseitigem Abschotten und zur Entstehung von Problembezirken, die im Falle von Berlin-Kreuzberg vielleicht noch als Touristenattraktion von sich reden machen. Vielfach jedoch bildeten sich genau hier knallharte Brennpunkte. Solche Fehlentwicklungen lassen sich nur schwer rückgängig machen, weil sie aus den Versäumnissen von Jahrzehnten resultieren. Die Multikulti-Gesellschaft ist nicht zuletzt deshalb gescheitert, weil sie eine Fiktion toleranter Intellektueller ohne konkrete Strategien blieb, die eine solche Gesellschaft hätten entstehen lassen können.

Und solche Strategien sind umso wichtiger, weil die eigene Kultur und Religion gerade in der Fremde noch einmal einen ungleich höheren Stellenwert erreicht. Die Menschen, die wir ins Land holten, waren keine bildungshungrigen Touristen, sondern überwiegend Angehörige eher bildungsferner Schichten aus ländlich geprägten Gesellschaften, die ein besseres Leben suchten. Gerade sie brauchen in einer fremden Umgebung ihre Kultur und ihre Religion, weil sie ihnen Halt geben. Nach außen wirkt dies oft wie Integrationsunwilligkeit, bisweilen ist es das auch. Doch gilt dieses gängige menschliche Verhaltensmuster auch für uns Deutsche. Ich selbst habe in anderen Ländern immer wieder Auslandsdeutsche beobachten können, die gerade in der Fremde ihr Deutschsein in einem Maße kulturell ritualisierten, wie sie es zuhause nie tun würden. Und das, obwohl es sich dabei überwiegend um Menschen handelte, die sich aus guten beruflichen Gründen auf ein Leben im Ausland einließen und gewiss nicht zu den bildungsferneren Schichten unserer Gesellschaft gehörten.

Wenn es nun aber so ist, dass die eigene Kultur für den Menschen gerade in der Fremde noch wichtiger wird, warum setzen wir nicht genau dort an? Die Kultureinrichtungen in Deutschland können eine Menge dazu beitragen, und seit vielen Jahren gehört kulturelle Bildung zu den Kernaufgaben von Museen und Bibliotheken. Das Heranführen von Kindern und Jugendlichen an die Werte von Kunst und Kultur ist ein ungemein wirkungsvolles Mittel zur Förderung von Wissen, Toleranz und Respekt vor anderen. Dadurch entsteht ein Stück Vertrautheit fernab der Heimat. Es erleichtert die Integration in eine neue und mit anderen Werten ausgestattete Gesellschaft. Kulturelle Bildung wird hier zur interkulturellen Befähigung.

Die Einrichtungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz haben die gesellschaftspolitische Notwendigkeit erkannt, Orte neugierigen Begegnens und interkulturellen Lernens zu sein. Am 1. April 2015 wird im Bode-Museum auf der Berliner Museumsinsel eine von den Staatlichen Museen zu Berlin initiierte Ausstellung mit dem Titel „Ein Gott – Abrahams Erben am Nil“ eröffnet, die das Zusammenleben und die gegenseitige Durchdringung der drei Weltreligionen Islam, Judentum und Christentum in Ägypten beschreibt. Keine der drei Religionen wäre heute ohne die lange gemeinsame Geschichte das, was sie ist. Gerade die jüngsten Ereignisse haben diesem Thema ungewollte Aktualität verliehen. Mit Hilfe von eigens entwickelten Vermittlungsprogrammen sollen die Besucher und insbesondere Jugendliche angeregt werden, durch die Beschäftigung mit der Vergangenheit auch ihre Gegenwart zu reflektieren und besser verstehen zu lernen.

Das Bode-Museum ist immer wieder Ort interkultureller Experimente. Beim Projekt „Museum der Gefühle“ wurde Berliner Schulklassen mit einem hohen Anteil von Jugendlichen aus türkisch- oder arabischstämmigen Familien auf eine ganz neue, emotionale Art und Weise Zugang zu christlicher Kunst vermittelt. Empfanden sie den wilhelminischen Prachtbau anfangs noch als fremd und abweisend, so wurde dieses Museum im Laufe des Projekts zu ihrem Haus, das ihnen vertraut und heimisch geworden war, und in das sie dann auch ihre Familien und Freunde mitbrachten. Wenn interkultureller Bildung das gelingt, hat sie ihr Ziel erreicht. Neben dem Bildungsprogramm „Kulturgeschichten aus der islamischen Welt“ hat das Museum für Islamische Kunst auch spezielle Unterrichtsmaterialien für die 5. und 6. Klasse entwickelt, die heute in über 600 Schulen im gesamten Bundesgebiet zum Einsatz kommen. Über Museumsobjekte erfahren die Schüler mehr über die reiche Geschichte und Kultur des Islam und können dabei Gegenwartsbezüge herstellen, damit die Lust am anderen Denken auch in das heutige Leben Eingang findet.

Politiker können heute scheinbar schnell reüssieren, wenn sie – je nach avisierter Zielgruppe – Aussagen treffen, wonach der Islam einmal zu Deutschland gehört (Wulff), dann aber wieder nicht zu Sachsen (Tillich). Ob wir wollen oder nicht, durch einen nicht unbeträchtlichen Teil unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger ist der Islam nun einmal in Deutschland präsent. Wollen wir diese Menschen nicht ausgrenzen, dann gehört ihre Religion auch zu Deutschland, Sachsen inklusive. Doch selbst ohne die Zuwanderung der vergangenen Jahrzehnte ist der Islam Teil unserer abendländischen Kulturgeschichte. Dafür steht auch die bereits im 19. Jahrhundert entwickelte Vision der Museumsinsel, die den Islam als eine der großen Zivilisationen sieht, die Europa geprägt haben. Das Pergamonmuseum wird nach Abschluss seiner Sanierung mit der Hinzufügung des vierten Flügels auf seiner Hauptebene einen weltweit einzigartigen Rundgang durch die Architekturgeschichte der Antike bieten, beginnend mit Sahuré-Tempel und Kalabscha-Tor aus Altägypten, sich über die Prozessionsstraße und das Ischtar-Tor von Babylon fortsetzend, in den Sälen der griechisch-römischen Antike mit dem Pergamon-Altar im Zentrum einen Höhepunkt findend und anschließend im Nordflügel mit der frühislamischen Mschatta-Fassade endend. Der Besucher wird begreifen, dass die europäische Kultur der Antike ohne ihre nahöstlichen Wurzeln undenkbar wäre, dass aber auch die islamische Kunst und Kultur das Erbe der griechisch-römisch geprägten Antike in sich trägt. Nicht ohne Grund ließ Wilhelm von Bode zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als das neue Pergamonmuseum noch nicht vollendet war, die frühislamische Mschatta-Fassade mit ihrer reichen Bauornamentik in dem später nach ihm benannten Bode-Museum zeigen, um die gegenseitige Durchdringung von islamischer, byzantinischer und mittelalterlicher Kunst vor Augen zu führen. Alles ist Wechselwirkung, damals wie heute.

Wir haben schon immer unsere Geschichte und unsere Kultur mit Anderen geteilt. Insofern geht es weniger um die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, als vielmehr darum, wie er mit der abendländischen Kulturgeschichte verbunden ist. Hier ist viel Wissen verloren gegangen, von Intoleranz verschüttet, doch die großen Museen können es wieder freilegen und Millionen von Menschen vermitteln. Jedenfalls stand gerade die islamisch geprägte Welt für ein Jahrhunderte währendes friedliches Zusammenleben von Christen, Juden und Muslimen. Hier wie dort sind Offenheit und ethnische und religiöse Toleranz die entscheidenden Bausteine einer zukunftsfähigen Gesellschaft. Offenheit und Toleranz kann es ohne Wissen und Bildung jedoch nicht geben.

Weiterführender Link

News „Friedliches Nebeneinander der drei Weltreligionen“ (19.01.2015)

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