Kupferstichkabinett und die Aktion „Entartete Kunst“ 1937: Neue Publikation erinnert an die Rettungsaktion des Willy Kurth

Pressemitteilung vom 10.10.2023

Der Kustos rettete hunderte Meisterwerke von Kirchner, Heckel, Picasso oder Beckmann vor dem Bildersturm der Nazis – und schwieg Zeit seines Lebens darüber – Jetzt wird erstmals an ihn erinnert und seine wagemutige Rettungsaktion umfassend rekonstruiert

Sommer 1937: Im Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, seinerzeit der bedeutendsten Sammlung zur Graphik der Moderne in Deutschland, werden von den Nationalsozialisten über 800 Arbeiten als „entartet“ konfisziert. Dieser Bildersturm trifft ebenso rund 100 weitere deutsche Museen mit dem Verlust von insgesamt etwa 21.000 Werken der modernen Kunst, von denen ein Teil in der diffamierenden Wanderausstellung „Entartete Kunst“ über mehrere Jahre im ganzen Land gezeigt wird. Dennoch verblieben dem Berliner Kupferstichkabinett einige Hundert der verfemten Werke – darunter Hauptblätter von Ernst Ludwig Kirchner und seinen „Brücke“-Gefährten Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein und Otto Mueller, auch von Emil Nolde, Max Beckmann, Ernst Barlach, Wilhelm Lehmbruck, Pablo Picasso, Wassily Kandinsky neben weiteren Modernen –, und zwar deshalb, weil der zuständige Kustos Willy Kurth (1881–1963) mit bewundernswerter Zivilcourage und wagemutigen Tricks den Zugriff der NS-Beschlagnahmekommission unterlief. 
Die Teilung der Berliner Museumslandschaft nach dem Zweiten Weltkrieg und die damit verbundene willkürliche Trennung von Sammlungsbeständen und Erwerbungsunterlagen wie auch der Kriegsverlust der Geschäftsakten des Kupferstichkabinetts verhinderten bis zur Wiedervereinigung Deutschlands eine gültige Aufarbeitung des historischen Geschehens. 

Die Berliner Kunsthistorikerin Anita Beloubek-Hammer, die bis 2015 im Kupferstichkabinett tätig war, beleuchtet nun erstmals diesen Vorgang und würdigt die Rolle von Willy Kurth in einem Buch, das im Lukas Verlag, Berlin, erschienen ist. Die Ferdinand-Möller-Stiftung hatte die Forschungen sowie die neu erschienene Publikation maßgeblich unterstützt. 2003 initiierte und finanzierte (bis 2017) die Stiftung die Forschungsstelle „Entartete Kunst“ an der Freien Universität Berlin.

Das Kupferstichkabinett widmet zudem im kommenden Jahr dem Themenkomplex unter dem Titel „Die gerettete Moderne. Meisterwerke von Kollwitz bis Kirchner“ (1.2. bis 21.4.2024) eine eigene Ausstellung.

Der 1881 in Berlin geborene Willy Kurth war Sohn eines Beamten. Er besuchte von 1887 bis 1897 das Sophien-Realgymnasium in Berlin. Von 1901 bis 1903 studierte er Malerei an der Berliner Akademie für Bildende Künste. Später legte er das Abitur am humanistischen Leibniz-Gymnasium ab. Von 1908 bis 1912 studierte er Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Geschichte an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität und wurde dort 1912 promoviert. Ein Jahr später trat er in die Dienste der Staatlichen Museen zu Berlin, 1924 wurde er Kustos im Kupferstichkabinett. 

Dem NS-Regime stand Willy Kurth immer ablehnend gegenüber. Die Rettung der Werke geschah auf eigene Faust. Der damalige Direktor des Kupferstichkabinetts, Friedrich Winkler, laut Dokumentenlage ein Anhänger der Nationalsozialisten, ahnte nichts von Kurths Aktion. Nach Kriegsende, bis zu seinem Tod 1963, war Kurth Generaldirektor der Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci und Vertrauter des ersten Staatspräsidenten Wilhelm Pieck. Außerdem hatte er eine Professur für Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin inne. (Ein Beitrag von Jürgen Becher ist diesem Wirken Kurths nach Kriegsende gewidmet.) Nur mit diesen Funktionen wurde Kurth in der Öffentlichkeit bekannt, denn angesichts der erneuten Verfemung der modernen Kunst in der DDR durch die Formalismus-Diskussion in den fünfziger Jahren zog es Kurth vor, über seine couragierte Rettungstat zu schweigen.

Dagmar Korbacher, Direktorin des Kupferstichkabinetts, sagt: „Anita Beloubek-Hammer hat mit ihrer von ebenso viel Herzblut wie Akribie getragenen Forschungsarbeit eine wesentliche Lücke in der Geschichte des Kupferstichkabinetts geschlossen und viele neue Erkenntnisse zu unserem Haus und den entscheidenden Akteuren während des NS gewinnen können. Die Zivilcourage von Willy Kurth sollte uns allen ein Vorbild sein.“

Wolfgang Wittrock, Vorstand der Ferdinand-Möller-Stiftung, ergänzt: „Seit wir die Stiftung 1995 gegründet haben, engagieren wir uns dafür, Klarheit und Differenzierung in die Aufarbeitung der NS-‚Kulturpolitik‘ zu bringen. Dank der Forschungsarbeit von Frau Beloubek-Hammer wurde jetzt eine wichtige Facette der Zeit sichtbar.“ 

Hinweis zum Buch:
Anita Beloubek-Hammer: „Die Aktion »Entartete Kunst« 1937 im Berliner Kupferstichkabinett. Kustos Willy Kurth rettet Meisterblätter der Moderne“
409 Seiten, 118 Abb., 240 x 300 mm, durchgängig vierfarbig. Festeinband, teils farbige Abbildungen, Preis: 40 Euro
ISBN 978-3-86732-426-7

Link zum Buch im Lukas Verlag

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