Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart erhält 166 Werke zeitgenössischer Kunst als Schenkung von Friedrich Christian Flick

Pressemitteilung vom 19.02.2008

Heute haben der Kunstsammler Friedrich Christian Flick und der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Klaus-Dieter Lehmann in Berlin einen Vertrag über eine Schenkung von 166 herausragenden Werken von 44 zeitgenössischen Künstlern unterzeichnet.

Es ist das Ergebnis der konstruktiven und erfolgreichen Zusammenarbeit des Hamburger Bahnhofs – Museum für Gegenwart mit dem Sammler, die im September 2004 mit einer ersten große Überblicksausstellung zur Friedrich Christian Flick Collection begann und seither mit einer dichten Folge thematischer und monografischer Präsentationen fortgesetzt wird. Die Friedrich Christian Flick Collection ist unumstritten eine der weltweit größten und besten Sammlungen zur zeitgenössischen Kunst. Die Schenkung des Privatsammlers ist an keine besonderen Bedingungen geknüpft und kann angesichts ihres Umfangs und ihrer Qualität als einzigartig in der Nachkriegszeit bezeichnet werden. Der überwiegende Teil der Werke ist dem Publikum aus Präsentationen der Sammlung im Hamburger Bahnhof bekannt. Das Museum zählt mit 250.000 Besuchern im vergangenen Jahr zu den erfolgreichsten Häusern für zeitgenössische Kunst.

Friedrich Christian Flick erklärt: „Die Auswahl bezieht sich auf museal bedeutende Werke, meist Hauptwerke der jeweiligen Künstler. Wenn ich mich für einen Künstler interessierte und mich dann für seine Kunst entschied, so habe ich immer versucht, in die Tiefe zu sammeln und Werkblöcke zusammen zu stellen. Das wollte ich auch in der Schenkung widerspiegeln. Auch habe ich Arbeiten berücksichtigt, die in direktem oder indirektem Zusammenhang zu Berlin bzw. Deutschland stehen. Ich trenne mich von so vielen meiner Lieblingsstücke mit Freude ebenso wie mit etwas Wehmut, besonders aber mit ganz großem Vertrauen in Berlin – wissend, das Richtige zu tun für die Künstler und das Museum.“

Klaus-Dieter Lehmann äußert sich dazu: „Die Schenkung ist viel mehr als eine Geste eines Sammlers. Sie ist im Hinblick auf den vorhandenen Museumsbestand klug ausgewählt und ein besonderer Ausdruck eines gemeinsamen Verständnisses über den Aufbau einer Sammlung. Die knapp vier Jahre andauernde Zusammenarbeit mit Friedrich Christian Flick hat in wunderbarster Weise durch diese großzügige Schenkung Früchte getragen.“

Die Werke:

Allein die Namensliste ist beeindruckend. Mit Ausnahme der Fotografien von Albert Renger-Patzsch, umfasst die Schenkung Werke der letzten vierzig Jahre, also dem Sammlungsgebiet des Hamburger Bahnhofs. Namen wie Vito Acconci, Robert Barry, Marcel Broodthaers, John Cage, Nam June Paik, Dan Graham, Dieter Roth, Gordon Matta-Clark u.a. stehen für die konzeptuelle und grenzüberschreitende Kunst der 1960/70er Jahre. Die mittlere Generation der 1980er Jahre ist mit Namen wie Peter Fischli und David Weiss, Stan Douglas, Isa Genzken, Rodney Graham, Douglas Gordon, Martin Kippenberger, Axel Hütte, Pipilotti Rist, Thomas Schütte u.a. sehr gut vertreten. Andere Künstler wie Eija-Lisa Ahtila, de Rijke / de Rooij, Jason Rhoades, Christoph Büchel, David Claerbout, Andreas Hofer, Raymond Pettibon, Anri Sala und Wolfgang Tillmans zählen zu der Generation der 1990er, die bis heute das Kunstgeschehen führend mit bestimmen.

Aus dem bedeutenden Konvolut sei hier nur auf einige Werke genauer hingewiesen. Allein schon die Schenkung eines der zentralen Werke von Bruce Nauman „Room with My Soul Left Out, Room That Does Not Care“ von 1984 ist außerordentlich. Die Innenraumskulptur ist die größte und spektakulärste Arbeit in der Folge seiner berühmten Korridorskulpturen. Auch das „Saloon Theater“ von 1995-1999 des gleichaltrigen, gegenwärtig sehr erfolgreichen amerikanischen Künstlers Paul McCarthy ist im Gesamtwerk bedeutend und für die Arbeitsweise des Künstlers charakteristisch. Das Museum schätzt sich glücklich, dass die 1994/95 in Berlin entstandene Arbeit von Stan Douglas „Der Sandmann“ gemeinsam mit der ihr thematisch verbundenen Fotoserie „Potsdamer Schrebergärten“ in die Sammlung des Museums gelangt. Nicht nur ihr Berlin-Bezug ist interessant, sie ist im Oeuvre des international renommierten Künstlers ein Schlüsselwerk.

Die großformatige Gemeinschaftsarbeit von Isa Genzken und Wolfgang Tillmans ist ebenso spektakulär, wie die Schenkung von „Truth Study Center“ von Tillmans. Dieses Werk ist mit 37 Vitrinen raumfüllend, eine Materialsammlung, die als „innere“ geistige Batterie in Tillmans Schaffen gelten kann. Beide Arbeiten sind als raumbezogene Installationen Fortsetzungen der in der Nationalgalerie/Hamburger Bahnhof begonnenen Sammlung von bisher über 20 Künstlerräumen. Auch Rauminszenierungen von Franz West „PA 1“, Diana Thater „Delphine“, Roman Signer „Helikopter mit Spraydose“, von Jason Rhoades „A Few Free Years“ , Richard Jackson „5050 Stacked Paintings“, Dan Graham „Three Linked Cubes / Interior Design for Space Showing Videos“, von Peter Fischli/David Weiss „ Sichtbare Welt“, Rodney Graham „School of Velocity“ oder Christoph Büchel „Training Ground for Training Ground for Democracy“ sind in dieser Hinsicht einmalige, für das Museum außerordentlich erfreuliche Erwerbungen. In das Gesamtkonvolut gehören auch bedeutende Fotoserien von großem Wert: Die frühen Interieurs von Thomas Ruff sind Schlüsselwerke seines Oeuvres. Die Innenraumserien von Candida Höfer, die Großfotografien von Axel Hütte ergänzen ideal die Museumssammlung. 22 Zeichnungen von Raymond Pettibon gleichen ein museales Desiderat in Bezug auf die Geschichte der jüngeren Zeichenkunst aus.

Einen besonderen Platz im wahrsten Sinne des Wortes nimmt die ca. 40 Meter lange „Gartenskulptur“ von Dieter Roth ein, ein komplexes Werk, das alle Facetten seines Oeuvres in einer gewaltigen Rauminstallation mit unterschiedlichen Medien und Materialien zusammenfasst. Der Werkkomplex mit Arbeiten von Nam June Paik, zum Teil frühe Arbeiten, wie „Light Bikini for Opera Sextronique“ von 1966 oder „TV Chair“ von 1975, wie auch die Performance-Fotografien von Vito Acconci oder das „Pipe alphabet“ von Broodthaers versammeln außerordentliche Werke, die für ein Museum ein großer Zugewinn sind. „Der Hirte“, von Georg Baselitz 1966 gemalt, wurde auch oft als „Der Mauerbrecher“ bezeichnet. Das Bild hat einen ganz besonderen Bezug zu Berlin und zur jüngeren deutschen Vergangenheit und ist damit gerade auch für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz von herausragender Bedeutung.

Zur bisherigen Zusammenarbeit des Hamburger Bahnhofs mit dem Sammler Friedrich Christian Flick – die Ausstellungen:

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der Sammler schlossen 2003 einen zunächst auf sieben Jahre begrenzten Vertrag über die Präsentation der Sammlung. Die erste Überblicksausstellung „Friedrich Christian Flick Collection“ in 2004/05 war die größte Museumsausstellung zur zeitgenössischen Kunst in einem europäischen Museum und umfasste etwa die letzten vierzig Jahre in ausgesuchten Werken höchster Qualität. Einbezogen war die Fläche des gesamten Hamburger Bahnhofs einschließlich der Rieck-Halle, die auf Kosten des Sammlers eigens als Museumsanbau umgestaltet worden war. Die auf 13.000 qm ausgebreitete Präsentation gab einen ersten, thematisch gegliederten Einblick in die Sammlung, die bis dahin als Gesamtkomplex noch nicht zu sehen gewesen war. Friedrich Christian Flick hat dabei dem Museum die größtmögliche Freiheit im Umgang mit seiner Sammlung eingeräumt. Es war die erklärte Absicht Flicks, ein neuartiges Verhältnis zwischen Sammler und Museum herzustellen. Die Ausstellungen haben diese aus Sicht des Museums modellhafte Beziehung zum Sammler eindruckvoll dokumentiert.

Nach der ersten großen, an Materialfülle kaum zu überbietenden Ausstellung, wurde anschließend im Kontrast dazu mit dem Thema „Fast Nichts“ die Frage nach der Reduktion künstlerischer Produktion gestellt. Sie war, wie die nachfolgende Ausstellung „Jenseits des Kinos – die Kunst der Projektion“ ein hervorragendes Beispiel für thematische Ausstellungen aus der Sammlung. „Jenseits des Kinos – die Kunst der Projektion“, die das aktuelle Thema Film in der bildenden Kunst aufgriff, wurde gemeinsam mit dem kanadischen Künstler Stan Douglas und Christopher Eamon, Kurator einer amerikanischen Privatsammlung, von den Mitarbeitern des Hamburger Bahnhofs erarbeitet. Die Einbeziehung eines Künstlers der Sammlung bei der Ausstellungsgestaltung war einer der neuen Wege, die hier erfolgreich mit der Unterstützung des Sammlers beschritten wurden. 2007 hat das Museum anlässlich des frühen Todes des amerikanischen, mit Hauptwerken in der Sammlung vertretenen Künstlers Jason Rhoades eine thematische Ausstellung unter dem Titel „there is never a stop and never a finish“ kuratiert, die sich der Verwendung verworfener bzw. vorgefertigter Materialen in der aktuellen Kunst als Reflex auf die inflationäre Massenproduktion westlicher Gesellschaften widmete.

Die monographischen Ausstellungen stellten Künstler vor, die in Berlin noch keinen größeren Auftritt hatten. Urs Fischer, ein jüngerer, international beachteter und heute in Los Angeles arbeitender Schweizer Künstler, wurde 2005 in seiner ersten Ausstellung in Berlin präsentiert. Ihm folgte 2006 Richard Jackson, ein amerikanischer Künstler der Generation von Bruce Nauman und Paul McCarthy, der in Deutschland zuvor nur wenigen bekannt war. Der aus der Schweiz stammende Künstler Roman Signer, einer der beliebtesten „Künstler-Künstler“, fand 2007 mit der bisher umfangreichsten Ausstellung seines Werkes in Deutschland ein positives Echo bei den Medien und dem Publikum. Die Reihe der monographischen Ausstellungen wird im März 2008 mit dem ersten deutschen Turner-Preisträger Wolfgang Tillmans fortgesetzt. Ein Höhepunkt wird sicherlich die für Herbst 2009 geplante Retrospektive von Bruce Nauman werden.

Informationen zum Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart auf der Website

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