Die digitale Transformation in Museen vorantreiben

News vom 08.05.2017

„museum4punkt0“ heißt das Ideenlabor für digitale Anwendungen in Museen, das jüngst gestartet ist. Wir sprachen mit Markus Hilgert, dem Leiter des Verbundprojektes und Direktor des Vorderasiatischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin.

Prof. Dr. Markus Hilgert
Prof. Dr. Markus Hilgert © Staatliche Museen zu Berlin, Vorderasiatisches Museum / Olaf M. Teßmer

Welche Erwartungen haben Sie an das Projekt „museum4punkt0“?

Mit „museum4punkt0“ werden wir die digitale Transformation in Museen und Kulturinstitutionen wie der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vorantreiben. Schon jetzt sehen wir, dass die digitale Transformation enorm viel Abstimmung und Vernetzung benötigt – auch mit Bereichen, die nicht unbedingt zum Tagesgeschäft von Museen gehören. Im Projekt „museum4punkt0“ werden wir daher verbindend arbeiten und nicht nur das Marketing sowie Kommunikationsinstrumente betrachten. Auch digitale Infrastrukturen und Fragen der Datenhaltung und der Standardisierung werden zu unseren Arbeitsfeldern gehören. Ich erwarte, dass wir nach drei Jahren nicht nur neue Instrumente entwickelt haben werden. Wir werden auch sehr viel besser verstehen, was wir mittelfristig tun müssen, um digitale Transformation im umfassenden Sinne in Kulturinstitutionen vollziehen zu können.

Aus Ihrem heutigen Blickwinkel: Wie profitieren Museen und deren Besucherinnen und Besucher von digitalen Medien und der Digitalisierung?

Museen dokumentieren ihre Bestände digital. Diese digitale Dokumentation hilft Kulturgüter zu schützen und sie ist ein Forschungswerkzeug. Denn wenn Objekte dreidimensional dokumentiert sind, können Wissenschaftler ortsunabhängig und nicht invasiv mit ihnen arbeiten. Vielleicht noch viel wichtiger ist es aber, dass Museen mit digitalen Instrumenten anders auf die Besucherinnen und Besucher zugehen können, so dass diese ihren Aufenthalt anders erleben. Dazu gehören neben einer zielgruppenspezifischen Ansprache auch die Barrierefreiheit und Inklusion. Darüber hinaus besteht die große Chance, dass Museen über eine medial unterstützte Ansprache neue Gruppen ins Museum locken. Wenn ich mir das Pergamonmuseum anschaue und es beispielsweise mit dem Naturkundemuseum in Berlin vergleiche, dann stelle ich fest, dass sich die Klientel voneinander unterscheidet. Das finde ich sehr schade. Ich glaube, dass auch archäologische Museen für junge Familien interessant sind. Außerdem sollten wir uns sehr viel mehr um Personen aus bildungsfernen Milieus bemühen. Im Kontext von museum4punkt0 erhoffe ich mir, dass Instrumente entstehen, die individuelle Bedürfnisse erfüllen und neue Besuchergruppen erreichen.

Wie könnten solche Instrumente aussehen? Oder anders gefragt: Wie können digitale Medien helfen, museale Objekte "zum Sprechen" zu bringen?

Um das beurteilen zu können, müssen wir uns erst einmal vergegenwärtigen, wie der aktuelle Stand in einem Museum aussieht: In einer Vitrine befindet sich ein Objekt. Daneben steht ein kleines Kärtchen, auf dem nur die ganz grundlegenden Informationen zum Objekt Platz finden. Wenn man bei einer Keilschrifttafel oder einem Korantext oder einer aramäischen Zauberschale wissen möchte: Was steht denn eigentlich da? Wie hat das möglicherweise in der Antike geklungen? Wie übersetzt man das heute? Dann wird es schon schwierig, weil der analoge Platz nicht ausreicht. Mit digitalen Medien kann man sich dann Übersetzungen in verschiedenen Sprachen einspielen lassen. Oder man kann sich das Objekt auf seinem Smartphone im Detail oder in 3D ansehen oder per Augmented Reality unterschiedliche Verwendungsszenarien oder Kontexte für das Objekt simulieren. Künftig werden wir sicher auch in der Lage sein, mittels Virtual Reality immersive Museumserlebnisse zu schaffen. Wenn wir in einigen Jahren auch im Bereich Big Data und Artificial Intelligence weiter sind, werden wir Inhalte auch individualisiert vermitteln können. Wir werden Erwartungshaltungen und Vorwissen unserer Besucher kennen und ihnen sehr zielgenau Bildungs- oder ein Führungsangebote unterbreiten können. So werden wir beispielsweise den 15-jährigen ansprechen können, der sich für die Geschichte des Vorderen Orients interessiert. Und auch die Wissenschaftlerin kann erreicht werden, die mehr über die Forschungsgeschichte eines Objekts oder dessen materialanalytische Untersuchungen wissen möchte. Das ist eine große Chance, weil wir Besucher auf diese Weise auch ‚unterhalten‘ können, wenn Sie so wollen. Das wird sicher dazu führen, dass wir neue Zielgruppen erreichen.

In Ihrem Artikel im aktuellen SPK-Jahrbuch schreiben Sie, dass archäologische Objekte „Vielfalt verkörpern“. Wie kann diese Vielfalt durch digitale Reproduktionen noch besser vermittelt werden?

Objekte sind buchstäblich multiperspektivisch: Sie sind gleichzeitig Forschungsgegenstand, Gegenstand der Restaurierungswissenschaft oder ein Kulturgut, das ein identitätsstiftendes Moment für eine Gesellschaft ist. Alle Perspektiven auf ein Objekt sind in einer analogen Schau nur ganz schwer darzustellen, weil man sehr viel Platz bräuchte. Mit digitalen Medien kann man dies auf kleinstem Raum tun. Man kann eine Vase im Kontext von fünfzig anderen Vasen zeigen und so aus archäologischer oder kunstgeschichtlicher Sicht auf das Objekt blicken. Man kann sich aber auch vorstellen, das Objekt zu rekontextualisieren und zu zeigen, wo es gefunden wurde oder in welchen Lebenszusammenhängen es stand. Multiperspektivität heißt auch immer, dass Ihre und meine Sicht auf ein Objekt gleichermaßen wertvoll und berechtigt sind und wir auch diese Sicht  als Spur hinterlassen können und sollten. Mit digitalen Medien werden Besucherinnen und Besucher Objektgeschichten fortschreiben können – auch ein möglicher Ansatzpunkt für „museum4punkt0“.

Da die Mittel für „museum4punkt0“ nun bewilligt sind: Womit werden Sie beginnen?

Zunächst werden wir die grundlegenden Infrastrukturen schaffen. Wir werden sehr zügig die gemeinsame Plattform aufbauen, die das das zentrale Herzstück des Verbundes sein wird. Dort werden unsere Entwicklungen präsentiert und die Öffentlichkeit über das Projekt informiert. Ganz wichtig ist natürlich auch, dass wir Personal einstellen. Und ich hoffe, dass wir noch in diesem Herbst ein Symposium oder eine Konferenz veranstalten können, die sich mit dem Potential der 3D-Digitalisierung für Museen befasst und auch Fragen von Reproduktion und Forschungswerkzeugen in den Blick nimmt. Ich möchte diese Veranstaltung international und in Kooperation mit der UNESCO aufstellen.

Die Fragen stellte Julia Lerche.

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