„Es genügt nicht, das Kulturerbe nur zu digitalisieren“

News vom 08.03.2017

Die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB) bündelt das digitale kulturelle und wissenschaftliche Erbe Deutschlands. Interessierte können über die DDB derzeit rund 20,5 Millionen Bücher, Archivalien, Bilder oder Tondokumente abrufen. Frank Frischmuth, Geschäftsführer Finanzen, Recht, Kommunikation der Deutschen Digitalen Bibliothek, berichtet im Interview über Neuentwicklungen 2017, die DDB-Strategie und die Chancen offener Kulturdaten.

Frank Frischmuth
Frank Frischmuth © DDB / Reynaldo Paganelli

Welche Neuerungen haben Sie in diesem Jahr für die DDB geplant?

Im Laufe des Jahres werden wieder deutlich mehr Kulturdaten auf unserer Website verfügbar und sicher erheblich mehr Einrichtungen an der DDB beteiligt sein. Zwei Dinge haben wir außerdem geplant. Wir wollen zum einen den DFG-Viewer in die DDB-Website integrieren. Er wurde mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft eigens für die Präsentation von Daten aus Forschungs- und Kulturinstitutionen entwickelt. Momentan ist es so: Wenn Nutzer ein Objekt gefunden haben und sich dieses in hoher Auflösung anschauen wollen, dann öffnet es sich in verschieden gestalteten Fenstern – je nachdem aus welcher Institution das Objekt ursprünglich stammt. Das soll sich mit Hilfe einer standardisierten Oberfläche auf Grundlage des DFG-Viewers ändern. Zum anderen planen wir ein DDB-Journal, um den Einstieg in die DDB für Nutzer und Nutzerinnen noch interessanter zu gestalten. In diesem Journal sollen verschiedenste Beiträge rund um die Themen der DDB versammelt und attraktiv dargestellt werden. Außerdem wird es eine Reihe funktionaler Verbesserungen bei der Suche und im Frontend geben. Insgesamt wird das DDB-Portal Ende 2017 also nutzerfreundlicher sein und spannendere redaktionelle Einstiegsmöglichkeiten aufweisen.

Gibt es im Hintergrund auch technische Arbeiten an der DDB?

Bis Ende August 2017 arbeiten wir an der Modernisierung unserer IT-Infrastruktur. Die Finanzierung dafür haben wir durch ein Sonderprojekt des Bundes erhalten. Wir werden unsere Systeme auf einen aktuellen technischen Stand bringen, um die in den nächsten Jahren zahlreich neu zur DDB beitragenden Kultureinrichtungen mit deren Inhalten verwalten und alle damit zusammenhängenden Prozesse beschleunigen zu können. Auch wollen wir eine Selbstbedienungskomponente bereitstellen, mit der etwa die Datenbearbeitung und der Import von Updates verbessert werden. Für 2017 und die Folgejahre haben die Länder einen zusätzlichen Bedarf von 400.000 Euro pro Jahr für Weiterentwicklungen der DDB anerkannt.

Sie schaffen nicht nur Zugang zu den Digitalisaten der Kultureinrichtungen Deutschlands, sondern Sie vernetzen diese auch untereinander. Gibt es aktuelle Beispiele?

In unseren Online-Ausstellungen vernetzen wir nicht nur, wir stellen die Digitalisate auch in einen Kontext. Mehrere größere Ausstellungen sind für dieses Jahr geplant – etwa zum Ersten Weltkrieg, eine andere wurde kürzlich freigeschaltet: „Grimm von A bis Z – Was uns die Brüder Grimm nicht erzählten“. Anhand von Illustrationen, Grafiken, Audio-Aufnahmen und Bildmaterialien wird die Entstehungsgeschichte der Grimm‘schen Märchensammlung und das Leben der Brüder mit Inhalten aus verschiedensten Kultureinrichtungen und Sammlungen erzählt. Für unsere Online-Ausstellungen bereiten wir gerade außerdem eine neue Gestaltung vor, damit wir diese künftig noch attraktiver aufbereiten können.

Brauchen Kultureinrichtungen eigentlich noch eigene Zugänge zu ihren digitalen Beständen?

Die DDB kann die Selbstdarstellung einer Kultureinrichtung ergänzen, aber keinesfalls ersetzen. Kultureinrichtungen definieren sich über ihre Sammlungen und möchten diese selbstverständlich auch im Kontext ihrer digitalen Kommunikation sichtbar werden lassen. Das Besondere an der DDB ist, dass wir die Inhalte, die aus unterschiedlichen Einrichtungen kommen, in ganz neue Zusammenhänge stellen können. So ermöglichen wir eine Gesamtschau auf das kulturelle Erbe, die eine einzelne Kultureinrichtung alleine nicht bewerkstelligen könnte – auch spartenübergreifend übrigens. Denn in der DDB finden sich nicht nur Inhalte aus Museen, Bibliotheken und Archiven, sondern auch von Mediatheken, Denkmalpflege- und Forschungseinrichtungen.

Wie grenzt sich die DDB von der bpk-Bildagentur ab, in der sich ja auch Daten aus Museen, Bibliotheken und Archiven befinden?

Die bpk-Bildagentur vermarktet Digitalisate – auch urheberrechtlich geschützte – für kommerzielle Zwecke. Während die Kunden der bpk-Bildagentur Verlagsmedien und die Medienbranche sind, stellen wir unsere Daten der Öffentlichkeit und der Wissenschaft für eine nicht-kommerzielle Nutzung zur Verfügung. Das ist auch eines der Alleinstellungsmerkmale der DDB: Die bestechende Idee, das kulturelle Erbe Deutschlands kostenfrei für alle Bürgerinnen und Bürger zugänglich zu machen, ohne die Notwendigkeit, Erlöse oder Profite erzielen zu müssen.

Welche Chancen bieten offene Kulturdaten aus Ihrer Sicht?

Die DDB unterstützt Initiativen, die offene Kulturdaten für jedermann nachnutzbar ins Netz stellen wollen – soweit dies das Urheberrecht und die Rechteinhaber erlauben. Diese Daten kommen in der Regel aus öffentlichen Sammlungen. Diese Sammlungen sind erstellt und erschlossen worden mit öffentlichen Geldern und ihre Digitalisate und Nachweisinformationen sollten deshalb auch frei zur Nachnutzung zur Verfügung stehen.

Welche Rolle spielt die DDB bei der Bereitstellung offener Daten?

Die DDB stellt eine offene Programmierschnittstelle zur Verfügung, eine API, mit der Dritte auf die Daten zugreifen und sie für eigene Anwendungen weiterverwenden können. Einzige Voraussetzung ist es, sich mit einem Schlüssel zu registrieren, damit wir einen möglichen Missbrauch der Daten unterbinden können. Um junge Entwicklerinnen und Entwickler an offene Kulturdaten heranzuführen, haben wir zusammen mit Wikimedia, der Open Knowlegde Foundation und digis Berlin, der Servicestelle Digitalisierung des Landes Berlin, das Format „Coding da Vinci“ konzipiert. Während dieses Kultur-Hackathons können junge Entwickler und Designer mit offenen Daten aus verschiedenen Kultureinrichtungen neue Anwendungen programmieren. Sie erinnern sich sicherlich an den Zwitscherwecker, der erst verstummt, wenn man den Gesang dem richtigen Vogel zugeordnet hat. Hier wurden Tierstimmen aus dem Museum für Naturkunde Berlin in einem völlig neuen Kontext verwendet. Im letzten Jahr stellte das Siegerteam des Wettbewerbs eine App vor, mit der zu einem Selfie per Gesichtserkennung sekundenschnell das bestpassende Portrait aus der Kunstgeschichte präsentiert wird.

Findet der Hackathon in diesem Jahr wieder statt?

Die ersten beiden Kultur-Hackathons haben wir in Berlin veranstaltet und im letzten Jahr einen „Coding da Vinci Nord“ in Hamburg ausgerichtet. Für 2017 sind mehrere Hackathons in verschiedenen Städten in Vorbereitung. Durch „Coding da Vinci“ werden immer mehr Kultureinrichtungen ebenso wie Entscheider in der Politik auf die DDB und das Thema offener Kulturdaten aufmerksam. Das ist insgesamt eine sehr gute Entwicklung, denn nun besteht nicht nur die Chance, den Kultur-Hackathon finanziell nachhaltig abzusichern, es besteht auch die Möglichkeit, dass mehr und mehr Kultureinrichtungen ihre offenen Kulturdaten der Öffentlichkeit in neuer Form präsentieren können.

Heißt das auch, dass das Bedürfnis riesig ist, Kulturdaten nachzunutzen?

Ja, das Bedürfnis wächst kontinuierlich. Denn es gibt nicht nur sehr spannendes Datenmaterial, auch die Öffentlichkeit, die sich dafür interessiert, ist breiter geworden. Denken Sie beispielsweise nur an die immer größer werdende Makerszene. Die Tatsache, dass wir in „Coding da Vinci“ nun eine Kontinuität hineinbringen konnten, wird uns auch die Möglichkeit geben, ganz neue Kreise anzusprechen – Schulen zum Beispiel. Darauf freue ich mich schon, denn in Kulturdaten steckt ein riesiges Potential.

Ist es durch so eine positive öffentliche Wahrnehmung auch leichter neue Einrichtungen zu gewinnen, die bereit sind, ihre Daten der DDB zu Verfügung zu stellen?

Natürlich. Gleichzeitig stehen wir mit der Digitalisierung in Deutschland noch relativ am Anfang. Manche Sparten sind schon sehr gut aufgestellt, wie etwa die Bibliotheken und verschiedene Museen. Andere Sparten haben noch Nachholbedarf. Ich schätze, dass in Deutschland bislang weniger als 10% des kulturellen Erbes digitalisiert sind. Es sind zwar schon sehr viele Daten vorhanden, aber in den Sammlungsmagazinen ist noch Vieles verborgen. Das bedeutet aber auch, dass wir zu einer Strategie gelangen müssen: Was machen wir eigentlich mit diesen vielen Daten, die hier neu entstehen?

Wie kann die DDB zur Beantwortung dieser Frage beitragen?

Die DDB muss hier eine zentrale Rolle übernehmen. Sie kann die Kultureinrichtungen einerseits unterstützen, die Digitalisierung voranzutreiben. Andererseits kann sie dafür sorgen, dass zunehmend standardisierte Datenformate angewendet und Formate zur Nachnutzung der neu entstandenen Daten entwickelt werden. Es genügt nicht, das Kulturerbe nur zu digitalisieren. Im Sinne der digitalen Transformation müssen wir auch Anwendungsmöglichkeiten schaffen, die über die Zugänglichmachung hinausgehen. Dies tun wir bereits recht erfolgreich – im Rahmen der derzeit bestehenden Möglichkeiten – und in enger Zusammenarbeit und Kooperation mit Europeana, der europäischen Digitalen Bibliothek.

2015 haben Sie eine Strategie für die DDB veröffentlicht. Was haben Sie bisher umgesetzt?

Offen gesagt: Die Maßnahmen, die wir in der Strategie priorisiert haben, befinden sich derzeit in der Konzeptphase, die Umsetzung konnte bisher nur ansatzweise beginnen. Derzeit stehen uns nur die finanziellen Mittel zur Verfügung, die den Betrieb der DDB sicherstellen. Wir werden die Umsetzung der Strategie erst intensivieren können, wenn die dafür notwendigen Gelder auch bereitgestellt sind. Dafür benötigen wir eine stufenweise Mittelanhebung auf knapp fünf Millionen Euro pro Jahr.

Was ist besonders wichtig für die Zukunft der DDB?

Auf der DDB-Website sehen wir, strukturiert und bearbeitet, die Oberfläche eines riesigen Datenozeans. Es ist eine große Herausforderung, diese Daten so aufzubereiten, dass sie fehlerfrei, dauerhaft und bleibend aufgefunden werden können. Wir arbeiten jedoch nicht nur daran, die DDB weiterzuentwickeln und auszubauen. Es liegt auch in unser aller Interesse, die DDB mit den entsprechenden finanziellen Mitteln dauerhaft zu betreiben und rechtlich unabhängig in eine eigene Rechtsorganisation zu überführen. Nur so kann sie dazu beitragen, dass die Digitalisierung und Zugänglichmachung unseres gemeinsamen kulturellen Erbes nicht allein den Marktkräften überlassen bleibt.

Die Fragen stellte Julia Lerche.

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