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Ein bilaterales Vermächtnis
News vom 04.11.2015
50 Meisterwerke der Moderne aus der Neuen Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin sind im Israel Museum in Jerusalem zu Gast. Die Ausstellung „Twilight over Berlin: Masterworks from the Nationalgalerie, 1905–1945“ zeigt seit dem 20. Oktober 2015 bahnbrechende Werke der deutschen klassischen Moderne von Künstlern wie Otto Dix, Paul Klee, Wassiliy Kandinsky, Max Beckmann oder Ernst Ludwig Kirchner – Arbeiten, zu deren Geschichte die Diffamierung als „entartet“ durch die Nationalsozialisten ebenso gehört, wie oftmals die Vertreibung ihrer Urheber ins Exil. Umso symbolischer nun also die Idee, Vertreter dieser wichtigen Epoche anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel in einer Ausstellung im Israel Museum in Jerusalem zu zeigen – und so gleichzeitig das 50-jährige Bestehen des Israel Museums zu feiern. Im Interview berichtet Kuratorin Dr. Adina Kamien-Kazhdan über die Ausstellung, die Migrationspfade der Moderne und die Resonanz in Israel.
Wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen dem Israel Museum und der Nationalgalerie?
Dr. Adina Kamien-Kazhdan: „Twilight over Berlin: Masterworks from the Nationalgalerie 1905-1945“ ist eine große, gemeinsame Unternehmung von Jerusalem und Berlin, die von James Snyder, dem Direktor des Israel Museums, dem Präsidenten der SPK Hermann Parzinger, dem Generaldirektor der Staatlichen Museen Michael Eissenhauer und Udo Kittelmann, dem Direktor der Nationalgalerie ins Leben gerufen wurde. Neben dem fünfzigjährigen Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel ist der 50. Geburtstag des Israel Museum ein weiterer feierlicher Anlass für die Ausstellung. 2011 besuchten James Snyder und die Chefkuratorin Mira Lapidot die von Dieter Scholz kuratierte Ausstellung Moderne Zeiten in der Neuen Nationalgalerie in Berlin und waren höchst beeindruckt. Ich bin dann 2014 zur Folgeausstellung von Moderne Zeiten ins Museum Würth in Schwäbisch Hall gefahren, um 50 Arbeiten für die Präsentation in Jerusalem auszusuchen. Zur gleichen Zeit gingen dann auch die Organisation der Ausstellung und die Vorbereitung der begleitenden Publikation los.
Welche Bedeutung hat die Ausstellung für das Israel Museum? Und inwiefern passt sie in das Programm des Museums?
Die fünfzig gezeigten Arbeiten in „Twilight over Berlin“ stammen aus einem Zeitraum, der mit der deutschen Klassischen Moderne um 1905 beginnt und mit dem Beginn der Nachkriegszeit 1945 endet – darum reflektieren diese Werke den Wandel der sozio-politischen Bedingungen und den Effekt dieser Veränderungen auf die Kunst. Sie repräsentieren ein breites künstlerisches Spektrum, das von den intensiven Arbeiten des Expressionismus über die beißende Sozialkritik in der Weimarer Zeit bis zu den Bildern voller Verzweiflung angesichts des aufkommenden Nationalsozialismus reicht. Die Bestände der Nationalgalerie an Moderner Kunst kamen in der Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen und vermitteln deswegen sowohl Brüche als auch Kontinuität. Gleichzeitig spiegeln sie ein Bekenntnis zur historischen Verantwortlichkeit wider, indem die komplexe Geschichte der Sammlung thematisiert wird. Diese Präsentation von deutschen Meisterwerken in Jerusalem beleuchtet eine zutiefst einflussreiche kulturelle Epoche, und würdigt vor allem ein künstlerisches Vermächtnis, das sich am Ende gegen Zensur und Verfolgung durchsetzen konnte.
Welchen Einfluss hatte die in der Ausstellung gezeigte Kunst aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf die Kunst in Israel?
In der Nazi-Zeit wurden Expressionismus und andere moderne Avantgarderichtungen brutal attackiert. Viele der in der Ausstellung gezeigten Künstler wurden als “entartet” diffamiert und viele verließen Deutschland – so entstand eine weltweite Diaspora der avantgardistischen Kreativität. Viele der Schlüsselpersonen des Bauhaus befeuerten die internationale Moderne in unterschiedlichsten Disziplinen. In den Dreißigerjahren sind rund 25 Bauhäusler – Studenten und Graduierte – ins Britische Mandatsgebiet Palästina emigriert. Hier entwickelten sie jenen modernen Stil, der grundlegend für den Staat Israel in seinen Gründungsjahren war. Wichtige Beiträge wurden in den Bereichen Fotografie, Grafikdesign, Bildende Kunst und besonders in der modernen Architektur von Tel Aviv und den Gestaltungen der Kibbuz-Strukturen erbracht. Auch das Israel Museum wurde im Internationalen Stil gebaut und reflektiert so ebendieses künstlerische Erbe, indem sich hier die Schlüsselideen und Ideale der europäischen Moderne manifestieren. Ein anderes Beispiel ist Jacob Steinhardt, einst Mitglied bei der Künstlergruppe “Die Pathetiker”, ebenso wie Ludwig Meidner, dessen Selbstporträt in der Ausstellung gezeigt wird. Steinhardt emigrierte nach Israel und brachte den Deutschen Expressionismus mit. Mordechai Ardon, der bei Paul Klee am Bauhaus studiert hatte, kreierte eine einzigartige künstlerische Sprache, die Moderne mit Jüdischen Mystizismus verschmolz.
Was ist Ihr Eindruck als Kuratorin: Wie ist die Resonanz in Israel auf die Ausstellung?
Die Ausstellung wurde im Beisein von mehr als 600 Besuchern feierlich eröffnet und bereits jetzt besichtigt jeden Tag eine Vielzahl von Interessierten die Schau. Während der „Gallery Talks“ (bei denen beispielsweise heute Abend mehr als 100 Zuhörer waren) spüre ich eine enorme Begeisterung und den großen Wunsch, über jede der gezeigten Arbeiten mehr zu erfahren – und ebenso über die historisch-politischen Bedingungen unter denen die Werke geschaffen wurden, als auch ihre spätere Rezeption. Während der sechs Tage, die die Ausstellung jetzt läuft, gab es überdies reichlich Besprechungen, sowohl in Radio und Fernsehen, als auch in Zeitungsartikeln. So schreibt beispielsweise die Jerusalem Post von einer „geradezu überwältigenden Ausstellung“, die „der Öffentlichkeit einen wahren Überfluss an verblüffenden, ästhetisch beeindruckenden und augenöffnenden Stücken anbietet“. Das Material scheint heutzutage immer noch von hoher Relevanz zu sein, stellt immer noch wichtige Fragen und weckt das Interesse der Menschen.
Die Fragen stellte Gesine Bahr-Reisinger.