Der Gipsabguss im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit

News vom 04.11.2015

Ein Symposium am 26. und 27. November 2015 erkundet die Rolle der Gipsformerei in Zeiten von Digitalisierung und 3D-Scan. Miguel Helfrich, Leiter der Gipsformerei, erzählt, was Abgüsse unverzichtbar macht.

Miguel Helfrich, Leiter der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin
Miguel Helfrich © Gipsformerei, Staatliche Museen zu Berlin / Foto: Thomas Schelper

Sie bringen Wissenschaftler, Künstler, Informatiker und Kuratoren zusammen, um die Potenziale der Gipsformerei im 21. Jahrhundert zu erkunden. Was ist das Besondere an Ihrer Institution?

Miguel Helfrich: Das ist zum einen ihre lange Geschichte. Als Königlich Preußische Gipsabgussanstalt wurde sie1819 gegründet, elf Jahre später erst öffnete das erste Königliche Museum in Berlin seine Pforte. Sie ist also die älteste Einrichtung der Staatlichen Museen zu Berlin und spiegelt ihre Sammlungsgeschichte. Und sie hat eine interessante Doppelfunktion: Sie ist sowohl ein spannendes Archiv als auch eine produzierende Kunstmanufaktur.

Was heißt das?

Wir besitzen über 7000 originale Abformungen, viele von Werken der Berliner Museen, aber auch weit darüber hinaus. Damit sind wir weltweit einzigartig. Die meisten Formen sind sehr alt, zum Teil 200 Jahre. Bei 500 Formen sind die Originale, etwa durch Kriegszerstörungen, gar nicht mehr vorhanden. Oder sie sind in einem ganz anderen Erhaltungszustand. Das macht unsere Sammlung besonders wertvoll, es macht sie zur historischen Quelle.

Was wir herstellen, entsteht meist in traditionellen Techniken, es sind aufwendige Arbeitsprozesse. Bei komplex geformten Originalen können die Abgussformen aus vielen hundert Einzelteilen bestehen. Hier sind langjähriges Wissen und Fertigkeiten notwendig, die es anderswo in dieser Form wohl nur noch selten gibt. Wir tradieren somit in unserem Haus auch ein historisches Kunsthandwerk.

Und durch Ihre Arbeiten kommen mehr Menschen in den Genuss von Kunst?

Ja, wir machen Kunst und Kultur mobil, Sie können unsere Werke in Museen auf der ganzen Welt sehen. So haben wir gerade einen umfangreichen Auftrag für die Königlichen Museen in Warschau abgeschlossen. Es umfasste unter anderem die berühmte Laokoon-Gruppe aus den Vatikanischen Museen. Im Augenblick arbeiten wir für ein neues Museum aus Puebla in Mexiko, das unter anderem die Replik der über vier Meter hohen Reiterskulptur des Großen Kurfürsten von Andreas Schlüter bei uns bestellt hat. Durch unsere Arbeiten sind wir damit gleichzeitig ein wichtiger Kunstmultiplikator.

Sie haben also ein Universum der dreidimensionalen Weltkunst unter Ihren Fittichen?

Unsere Sammlung besteht aus Mastermodellen - das sind die Erstabgüsse - und den dazugehörigen Formen. Einzigartig ist das breite Sammlungsspektrum der Gipsformerei. Aus nahezu allen Epochen der Menschheitsgeschichte lagern in unseren Depots die entsprechenden Modelle und Formen: von der Venus von Willendorf aus der Steinzeit über die großen Werke der Antike, etwa den Wagenlenker aus Delphi oder den Betenden Knaben aus der Berliner Antikensammlung bis hin zu den Werken des 19. Jahrhunderts. Es beschränkt sich aber keineswegs auf Europa. Ein Beispiel: wir haben die Form des berühmten aztekischen Sonnensteins aus der Sammlung Alexander von Humboldt, dessen Original verloren ist.

Worin besteht der Reiz Ihrer traditionellen Herstellungsweise von Gipsabgüssen im Zeitalter von 3D-Scans?

Wir arbeiten mit allen möglichen Abformungstechniken. Denn jede hat ihre Vor- und Nachteile. Bei den traditionellen Methoden erhalten wir direkte Abformungen mit einem sehr geringen Informationsverlust. Zudem gewinnen wir einen beständigen „analogen Datenträger“: mit unseren historischen Kernstückformen arbeiten wir immerhin schon seit fast 200 Jahren. Beim 3D-Scan handelt es sich um eine indirekte, berührungsfreie Abformung, was natürlich Vorteile besonders bei empfindlichen Oberflächen hat. Aber das Verfahren führt zu einem höheren Informationsverlust. Das Gute ist, beide Verfahren lassen sich kombinieren. So haben wir mit der Technischen Universität Berlin eine hybride Abformungstechnik entwickelt. Dabei wird das Kunstwerk in Bereiche unterteilt, die konventionell abgeformt werden können und solche, wo es besser ist, dies berührungsfrei zu tun.

Wie kann ich ein Stück aus Ihrer Gipsformerei erwerben?

Wir verkaufen Abformungen aus unserem gesamten Bestand. Einen Überblick über unser Angebot bieten unsere Printkataloge, die auch online einzusehen sind. Im Augenblick arbeiten wir an einem neuen Online- und Verkaufskatalog, so dass wir unsere Produkte bald  auch in kundenfreundlicher Form online vertreiben können. Wir fertigen auf Wunsch alle Stücke, die unser Formenbestand hergibt.

Und wer sind die Kunden?

Neben Museen aus aller Welt, die traditionell zu den Hauptkunden gehören, entdecken immer mehr Architekten, Hotel-Einrichter und Besitzer anspruchsvoller Immobilien den Wert und Charme der detailgetreu gearbeiteten Nachbildungen. Sie ordern oft nicht nur Einzelobjekte, sondern wünschen die Ausstattung ganzer Räume oder Objekte mit passend aufeinander abgestimmten Repliken. Ganz neu ist auch das Interesse von Privatkunden nicht, denn schon Goethe oder die Brüder Humboldt zählten zu den regelmäßigen Kunden der Gipsformerei. Auch zeitgenössische Künstler geben Arbeiten in Auftrag. So hat Jeff Koons die Abgüsse mehrerer antiker Skulpturen wie den Herakles Farnese bei uns fertigen lassen.

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