Umgegraben: Wie Berlin und das Schloss wirklich zusammenhängen
News vom 21.12.2016
Seit Jahren steht das Berliner Schloss im Zentrum zahlreicher Debatten. Dabei ging es – neben dem Humboldt Forum – vor allem um die Frage: Wiederaufbauen oder nicht? Kritiker des Wiederaufbaus argumentieren, dass dabei die Spuren der jüngeren Vergangenheit – Drittes Reich, Zweiter Weltkrieg, DDR – verwischt werden würden. Rekonstruktionsdebatte hin oder her, sicher ist, die Bautätigkeiten in Berlins historischer Mitte haben die ältere Vergangenheit wieder sichtbar gemacht. Unter anderem dadurch, dass der dortige Boden archäologisch untersucht wurde. Was dabei an bahnbrechenden Entdeckungen gemacht wurde, beschreibt die neu erschienene Publikation „Das Berliner Schloss. Geschichte und Archäologie“, herausgegeben von Michael Malliaris und Matthias Wemhoff. Wir haben mit Matthias Wemhoff, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin und Landesarchäologe, gesprochen.
Herr Wemhoff, inwiefern verändert das Buch den Blick aufs Berliner Schloss?
Das Buch ist ein Perspektivwechsel. Es schaut nicht auf das Schloss als Solitär, nach dem sich die Stadt ausrichtet – Es schaut von der Stadt auf das Schloss. Bis dato gab es in Berlin die weitverbreitete Vorstellung, die Wolf Jobst Siedler besonders prägnant formuliert hat: das Schloss war nicht in Berlin, Berlin war das Schloss. Das Schloss definiert als Herrschaftsmitte, auf die sich das ganze Stadtwesen ausrichtet. Dieses Bild hat sicherlich eine gewisse Zugkraft und mochte auf dem Höhepunkt der Kaiserzeit wohl auch stimmen. Trotzdem vergisst man dabei, dass dieses Schloss eingebettet war in die Genese einer Stadt. Dass die Stadt Berlin vor dem Schloss war. Und dass man das Schloss in seiner Stellung und auch das gesamte Werden von Berlin nur versteht, wenn man das Davor betrachtet. Daran arbeiten wir und das legt in exemplarischer Weise dieses Buch das erste Mal umfassend vor.
Und das Buch beruht auf Grabungen am Schlossplatz?
Genau. Das Landesdenkmalamt hat in Berlin in den letzten Jahren riesige Grabungen durchgeführt, weil das historische Zentrum von Berlin in die Aufmerksamkeit rückte und die Baumaßnahmen dort stattfanden. Es gab drei große Grabungen: Am Petriplatz, am Roten Rathaus und am Berliner Schloss im Vorfeld des Neubaus des Humboldt Forums. Das sind immerhin über 20.000 qm, die da in fünf Jahren untersucht worden sind. Der gesamte östliche Teil des Schlosses war allerdings schon mit dem Bau des Palastes der Republik unwiederbringlich zerstört worden. Da wurde tief ausgekoffert, und in dieser sogenannten „Palastwanne“ ist nichts Archäologisches mehr da. Wir haben also im Prinzip nur noch den westlichen Teil des Schlosses und den Bereich zwischen Staatsratsgebäude und dem Schloss, also den eigentlichen Schlossplatz untersucht. Die Schauseite des Schlosses ist nämlich nicht von Unter den Linden her zu verstehen, sondern von der anderen Seite, von der Breiten Straße. Das ist der Punkt, auf den das Schloss ausgerichtet ist. Das ist die Schauseite.
Warum war das so, was lag in dieser Richtung „Breite Straße“?
Berlin ist eine Doppelstadt. Wir haben den Stadtkern Berlin um die Nicolaikirche, etwas später erweitert um den Bereich der Marienkirche. Und auf der anderen Seite ist Cölln. Das Schloss liegt also eigentlich in Cölln. Das Zentrum von Cölln ist der Petriplatz, wo einst die Petri-Kirche stand. Der Bereich des Schlosses liegt zunächst etwas am Rand. Wir haben bei den Ausgrabungen feststellen können, dass dieser Bereich schon relativ früh besiedelt wurde. Es gibt viele Hinweise darauf, dass dort bereits schon im 12. Jahrhundert erste Gebäude errichtet worden sind. Dieses Viertel am Rand von Cölln hat dann nochmal eine ganz starke Veränderung um 1300 erfahren, als das Dominikaner-Kloster dort gebaut wurde. Das Dominikanerkloster ist heute völlig vergessen ist, und kann nun durch die Ausgrabungen und unser Buch in seiner Entwicklung und seiner Bedeutung nachvollzogen werden. Dieses Kloster war eine Stätte, die von der pulsierenden Stadtgesellschaft des Mittelalters zeugt.
Eine Kernaussage der Archäologie der letzten Jahre aber auch unseres Buches ist nämlich: Um das 13. Jahrhundert ist Berlin kein ärmliches Dörfchen im märkischen Sand – das ist wieder ein Siedler-Zitat – sondern eine pulsierende mittelalterliche Stadt, die sich in ganz kurzer Zeit sehr erfolgreich entwickelt hat. Davon zeugen auch repräsentative Bauten wie das Rathaus, die Klöster und auch die steinernen Bürgerhäusern, die in dieser Zeit entstehen. Deswegen muss der Kurfürst in die erfolgreiche Stadt kommen und nicht umgekehrt. Das ist erstmal eine andere Perspektive: Der Kurfürst baute das Schloss gegen den Willen der Berliner in der Mitte von Berlin, um zu profitieren vom Wachstum und vom Erfolg dieser schon damals wichtigsten Stadt in seinem Land.
Wieso hat Wolf Jobst Siedler eigentlich gesagt, Berlin sei ein ärmliches Dörfchen auf märkischem Sand?
Das ist zu verstehen aus der Sehnsucht nach dem verlorenen Schloss. Jemand, der das Schloss und Berlin vor dem Krieg gesehen hat, begreift es wohl tatsächlich als Mitte und auch Herzstück der Stadt. Aber indem man dieses Schloss immer größer und immer wichtiger gemacht hat, hat man eigentlich alles, was davor war, abgewertet und nivelliert. Man hat sich auf diese Größe des 18. und 19. Jahrhunderts bezogen und alles andere nicht gesehen. Das ist ein Fehler, den wir korrigieren müssen, auch im Hinblick auf die zukünftige Stadtgestaltung und Stadtentwicklung. Berlin muss sich auch verstehen als eine von Bürgern getragene Stadt. Berlin ist nicht nur die Stadt des Königs. Berlin ist zunächst einmal aus seinen Wurzeln heraus eine erfolgreiche europäische Handelsstadt gewesen. Das gilt es auch wieder zu entdecken und es gilt auch, die Zeugnisse aus dieser Epoche wertzuschätzen. Und auch letztlich in moderne Stadtplanung einfließen zu lassen.
Für die Rekonstruktion welchen Schlosses hat man sich eigentlich entschieden?
Wir schauen im Wesentlichen auf das Schloss der Barockzeit, das der Rangerhöhung der preußischen Kurfürsten zu Königen im Jahr 1701 sichtbar Ausdruck verleiht. Genau diesen Moment spiegeln die drei rekonstruierten Fassaden wider. Es ist eigentlich schade und auch ganz typisch für das dahinterstehende Denken, dass man sich nicht die Mühe gemacht hat, eine Auseinandersetzung mit der Ostfassade zu suchen – denn das ist eigentlich die Fassade, die die historische Tiefe angedeutet hat, die zurückging bis ins 15. Jahrhundert. Gerade da die Ostfassade jetzt so monolithisch wirkt, spielt das Gegenüber der Stadt noch weniger eine Rolle. Da merkt man vielleicht, dass sich eine verfestigte Denkweise durchaus auch in realen Bauten ausdrückt und dass es unsere Aufgabe ist, solche festgefahrenen Bilder aufgrund einer sorgfältigen historischen archäologischen Arbeit aufzubrechen. Um einfach das Denken wieder zu ein bisschen zu weiten.
Wie können Sie eigentlich anhand dessen, was sie in der Erde finden, rekonstruieren, was gewesen ist?
Das Kerngeschäft der Archäologie, ob hier, im Orient oder in Griechenland oder wo auch immer auf der Welt, ist letztlich immer die Klärung der relativen zeitlichen Abfolge von Befunden und ihre möglichst genaue absolute Datierung. Wir haben inzwischen ein so starkes methodisches Gerüst, dass wir Verbindungen zwischen den Befunden über einen großen Platz ziehen und dann wirklich sagen können: Das ist gleichzeitig, das ist älter, dann ist das passiert, das hat sich verändert. Insofern machen wir im Prinzip Zeitschnitte und zeigen so in einer Staffelung hintereinander die Entwicklung.
Das Geheimnis der Archäologie ist, dass jeder Eingriff in den Boden, der jünger ist, über den anderen, den älteren, liegt. Im nächsten Schritt geht es darum, diese Schichten zu datieren, um sie möglichst konkret fassen zu können. Wir können Scherben und andere Hinterlassenschaften über Vergleiche datieren. Hinzu kommen inzwischen sehr viel stärker noch naturwissenschaftliche Daten. Die C-14-Datierung oder die Dendrochronologie geben uns ganz konkrete Hinweise, wann z.B. das Baugeschehen stattgefunden hat. Insofern können wir in Epochen vordringen, die schriftlich nicht überliefert sind. Man muss sich deutlich vor Augen führen, dass die schriftliche Überlieferung gerade für die ersten Jahrzehnte bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts sehr dünn ist. Die älteste Urkunde, in der Berlin/Cölln genannt wird stammt erst aus dem Jahr 1237 – doch es gab bereits 50, 60, vielleicht sogar 70 Jahre früher erste Siedlungstätigkeiten hier. Diese Zeiträume können wir nur archäologisch ergründen. Durch schriftliche Überlieferungen wird in den folgenden Jahrhunderten manches historische Geschehen ganz konkret, z.B. gibt eine alte Rechnung einen Hinweis darauf, dass Berliner Roggen nach Hamburg geliefert wurde. Aber man bekommt nicht unbedingt so viel statistisches Material, dass man darüber eine Aussage über die Bevölkerungsdichte, die Siedlungsintensität, über die Stoßzeiten der baulichen Entwicklung eine Stadt schaffen kann. Das gewährleistet auf Dauer eigentlich nur eine intensive, ganz kontinuierliche archäologische Erforschung.
Werden die Ergebnisse der Grabung eigentlich im Humboldt Forum ausgestellt?
Wir haben im Humboldt Forum in dem Bereich südlich des Eosander-Portals eine relativ große archäologische Zone von 1200 qm. Dort sind noch alte Kellerräume des Schlosses erhalten geblieben und der Besucher wird in einen Keller des Dominikanerklosters schauen können, der noch stand und in Nutzung war, bis das Schloss um 1700 gebaut wurde. Insofern gehen die Zeugnisse wirklich zurück bis ins Mittelalter. Ich glaube, das ist ganz wichtig, um den Eindruck zu zerschlagen, dieses Schloss sei aus dem Nichts entstanden. Hinzu kommt, dass die erhaltenen Reste eines Lichtschachtes in die neue Fassade eingebaut wurden, die exakt an der Stelle steht, an der vorher auch das Schloss stand. Die Besucher werden durch die Kellerbereiche gehen und an Ort und Stelle ein Gefühl für die Nutzungsdauer und die Art der Nutzung des Schlosses bekommen. Man geht durch Räume, die von der Schlosswache genutzt worden sind, man sieht die Heizungskeller, inklusive der wilhelminischen Veränderungen in der Heizung dort, und man endet beim Blick in einen großen Gang unter dem Eosander-Portal, wo noch die Sprengkrater der Sprengung des Schlosses 1950 zeugen. Ich bin überzeugt, Geschichte wird dort sehr konkret nachvollziehbar.
Die Fragen stellte Gesine Bahr-Reisinger
Seit dem 20. Dezember 2016 gibt es im Museum für Vor- und Frühgeschichte übrigens den Barbarenschatz von Neupotz dauerhaft zu sehen. Der größte Hortfund der Römerzeit nördlich der Alpen wird neben dem anderen bekannten Fundstück aus den Fluten des Rheins im Bacchus-Saal präsentiert: dem Xantener Knabe.