Ein Leben im Dienste der Museen – Günter Schade zum 90. Geburtstag

News vom 23.02.2023

Im Januar feierte Günter Schade, der langjährige Generaldirektor der Staatlichen Museen (Ost-Berlin) und stellvertretende Generaldirektor nach der Wende, seinen 90. Geburtstag. Günther Schauerte erinnert sich in einer Laudatio an die erste Begegnung und die gemeinsame Arbeit bei der „musealen Zusammenführung“.

Porträt von zwei Männern im Anzug
© SPK / Werner Amann

Ein Text von Günther Schauerte

„Schon vor dem Mauerfall haben wir darüber gesprochen, wie es wäre, wenn die Museen vereinigt wären. Das war der Traum, dem wir nachhingen.“ (Zitat G. Schade 2015 im Gespräch mit W.-D. Dube)

Hat man als Person des öffentlichen Interesses mit bedeutenden Verdiensten den 90. Geburtstag erreicht, dann sollte über sie oder ihn so ziemlich alles Wissenswerte gesagt und geschrieben sein. So ist es bei meinem Kollegen und Vorgänger im Amt als Stellvertretender Generaldirektor in den Jahren nach der Wiedervereinigung ganz sicher der Fall, insbesondere da er sich selbst als Chronist jener Jahre, besonders des Jahrzehnts von 1985 bis 1995, verdient gemacht hat.

Das sollte mir gestatten, mich in den folgenden Zeilen auf einige wenige entscheidende, wenn nicht kritische Lebens- und Karrierestationen Günter Schades zu konzentrieren und den Versuch einer Laudatio zu wagen.

Einigkeit bereits am Morgen des 10. November

Es gibt Ereignisse, die man sein Leben lang nicht vergisst. Ein solches Ereignis verbinde ich mit den drei Stichworten „Fall der Mauer“, „Wiedervereinigung der SMB“ und „erstes Zusammentreffen mit Günter Schade“. Gleich am Morgen des 10. November 1989 kamen der Generaldirektor der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Wolf-Dieter Dube, ich als sein Persönlicher Referent sowie seine Sekretärin zu einer Lagebesprechung zusammen. Wir kamen zu der Überzeugung, dass wir sofort den Kontakt mit unserem Kollegen in Ost-Berlin, Günter Schade, suchen sollten. Um 11:00 Uhr – nach zwei Stunden und Dutzenden Versuchen, einen Telefonkontakt herzustellen ­– gelang dies.

Die beiden Generaldirektoren kannten sich seit einem ersten Treffen 1986 in Budapest persönlich, schätzten und vertrauten sich nach einem weiteren Treffen im Sommer 1989 in Wien. Beide waren sich einig darin, dass die Ereignisse des Vorabends Geschichte geschrieben und unrevidierbare Fakten geschaffen haben. Im Klartext bedeutete dies: Die ideologisch und politisch motivierte und administrativ und geheimdienstlich kontrollierte Trennung bei den Einrichtungen würde über kurz oder lang fallen müssen. Die Sammlungen, die letztlich nur als eine gemeinsame Sammlung zu verstehen und zu Forschungs- und Bildungszwecken zu nutzen waren, müssten ihre Potentiale durch enge Kooperation steigern und ihrer Bedeutung angemessen ausschöpfen.

Auch bei kleinen Dingen groß

Der Zerfall des DDR-Regimes entwickelte sich im Galopp. Eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten und damit verbunden eine Wiedervereinigung der über Jahrzehnte getrennten Museen, gerade noch für reine Fantasie gehalten, galt für die nähere Zukunft als wahrscheinlich. Freie Wahlen, Währungsunion, Wiedervereinigung. Alles in weniger als 9 Monaten. Rasend schnell und friedlich.

So auch bei den Staatlichen Museen – mit atemberaubender Geschwindigkeit. Schon in der auf den Mauerfall folgenden Woche erfolgte die erste persönliche Kontaktaufnahme nach dem 9 November. Wolf-Dieter Duwe beauftragte mich, seinem Kollegen Günter Schade einige Unterlagen zu bringen. Gesagt, getan. Ich setze mich ins Auto und passierte die Grenze in der skurrilen Situation, dass die eine Hälfte der Bevölkerung mit Staatsangehörigkeit der DDR die Grenze ohne Kontrolle und ohne Visum passieren konnte, dagegen die andere Hälfte mit Staatsangehörigkeit der BRD einen Visumsantrag im Schnellverfahren an der Grenze stellen musste und ohne jede weitere Kontrolle passieren konnte.

Die Generaldirektion der Staatlichen Museen zu Berlin befand sich im Alten Museum. Ich meldete mich beim Vorzimmer an und wurde von der Sekretärin hineingebeten. Kaum war die Tür zum Chefzimmer geöffnet, bat Herr Schade mich hinein. Und begrüßte mich mit den Worten: „Wie Sie sehen, esse ich gerade zu Mittag. Da ich annehme, dass Sie noch nicht zu Mittag gegessen haben, möchte ich Ihnen anbieten, dass wir uns das Essen teilen.“ Wenig später saßen wir gemeinsam zu Tisch. Das lehrt einen: Große Menschen sind auch bei kleinen Dingen groß. Und unprätentiös. Und wissen, dass Distanz selten Nähe und Vertrauen schafft.

Aus dieser ersten Begegnung entwickelte sich über die nächsten Jahre eine enge Zusammenarbeit in höchst kollegialer und freundschaftlicher Weise. Und bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand Anfang 1998 war unsere Zusammenarbeit geprägt von einer entspannten menschlichen Art, die weit weg von einer bedeutungsschweren Attitüde war, die manch andere Kollegen einem so gerne vorlebten.

Liebe zur Kunstgeschichte – auch gegen Restriktionen

Um Günter Schade, der dieser Tage seinen 90. Geburtstag im Kreise der Familie und Freunde verlebte, verstehen zu können, sollte man in seiner Biografie weit zurückgehen. 1933 in Frankfurt an der Oder geboren, wuchs er in einem von Kleinbürgertum, Handwerker- und Arbeiterschaft geprägten Milieu auf und absolvierte im Betrieb seines Vaters eine Tischlerlehre. Seine schulischen und auch sozialen (ich vermeide bewusst das Wort gesellschaftlichen) Leistungen führten bei seinen Eltern, Lehrern und sonstigen Ausbildungsleitern zu der Überzeugung, dass Günter Schade einen höheren Bildungsabschluss verdiente. Die Verbindung von all diesem führte ihn 1950 an die Arbeiter -und Bauernfakultät in Potsdam, die er mit einem Abschluss 1953 verließ. Darauf folgte von 1953 bis 1957 ein Studium der Kunstgeschichte und der frühchristlich-byzantinischen Kunst an der Humboldt-Universität Berlin. Ab 1957 arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent an der Staatlichen Galerie Moritzburg in Halle, von wo aus er 1959 als Leiter der Sektion Kunst an das Museum für Deutsche Geschichte in Berlin wechselte.

1962 erhielt Günter Schade den Ruf an die Staatlichen Museen (Ost-Berlin). Die Chance seines Lebens bot sich ihm, als er erst mit der Planung, dann mit der Durchführung des Umzugs des Kunstgewerbemuseums in das Schloss Köpenick beauftragt wurde. Die Leitung des Museums hatte er 10 Jahre inne. Zu Anfang – so wird sich erzählt – kam es zu argen Problemen mit der Staatssicherheit, weigerte er sich doch, Berichte insbesondere von Auslandsreisen anzufertigen und damit unter Umständen jemanden ans Messer zu liefern. Die Quittung ließ nicht lange auf sich warten. Günter Schade wurde äußerst restriktiv bei der Genehmigung von Auslandsdienstreisen behandelt. Dieses durchaus systemkritische und unbequeme Verhalten hatte aber nicht zufolge, dass dies auf lange Sicht seiner Karriere abträglich gewesen wäre. 1983 erhielt er nach dem gesundheitsbedingten Ausscheiden seines Vorgängers das Angebot, den Posten des Generaldirektors der Staatlichen Museen (Ost-Berlin) zu übernehmen. Dabei kam ihm – nicht ganz unähnlich seinem West-Berliner Kollegen Wolf-Dieter Dube – der eigene Schatz an Erfahrungen mit Baumaßnahmen und Museumseinrichtungen zugute, galt es doch, die Museumsinsel von den Kriegsfolgen zu befreien und ruinöse Bauten wie das Neue Museum wieder instand zu setzen. Dessen Grundsteinlegung für den Wiederaufbau fiel in den September 1989 und damit in das Umfeld des 40-jährigen Jubiläums der Gründung der DDR. Die Halbwertzeit dieser Maßnahme sollte nur wenige Monate betragen.

Die Zwillingsbrüder müssen zusammenkommen

Für mich rahmen zwei Ereignisse die aufregende Zeit um den Fall der Mauer herum. Das erste war eine internationale, hochrangig besetzte Konferenz im Kunsthistorischen Museum Wien. Deren Ziel war es, einen breiten international organisierten Widerstand zu erzeugen gegen die Absichten von Museumträgern, allen Ernstes Haushaltsdefizite durch die umfängliche Veräußerung von Museumsbeständen auszugleichen. Gegenüber Journalisten äußerten Dube und Schade die Absicht, die Kooperation zwischen den Museen in West-Berlin und in Ost-Berlin zu verstärken, man wäre doch „Zwillingsbrüder mit gleichen Zielen und Zwecken“. Dass dies insbesondere in Ost-Berlin zu Komplikationen führen würde, lag auf der Hand, war aber mit eingepreist. Es widerlegt die Unterstellung, die Generaldirektoren der beiden Staatlichen Museen seien mit ihren Einrichtungen nur Austraghäuser der Ideologie und Kulturpolitik ihrer jeweiligen politischen Systeme gewesen.

Das zweite Ereignis, diesmal nach dem Fall der Mauer, war die erste gemeinsame Direktorenkonferenz der Staatlichen Museen zu Berlin (Ost-Berlin) und der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz (West-Berlin) am 7. Februar 1990 in der Gemäldegalerie des Bode Museums auf der Museumsinsel. Weit vor den ersten freien Wahlen, weit vor der Währungsunion und noch weiter vor der faktischen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 zeigten damit die Generaldirektoren der Staatlichen Museen mit ihrer fortschrittlichen und mutigen Haltung, dass die Übernahme einer herausgehobenen Funktion nicht bedeuten muss, dass man den Schneid beim Eintritt an der Garderobe abgeben muss. Gerade für Günter Schade gilt, dass er sich nicht an den Dogmen der Politik festklammerte, sondern eigenständige, mutige Positionen entwickelte.

Als Quittung für diese zukunftsorientierte, engagierte Haltung platzte Günter Schade im Juli 1990 die Kündigung ins Haus. Begründet wurde dies mit dem Argument, für die nun absehbare Wiedervereinigung beider deutschen Staaten müsse man an den Spitzenpositionen Platz schaffen. Zur großen Überraschung des DDR-Kulturministers Schirmer und seiner Staatssekretärin Mischte fand diese Initiative nicht den erwarteten breiten Beifall, sondern stieß auf entschiedenen Widerstand, so dass dieser Versuch eines Kahlschlages nur als Randnotiz in die institutionellen Akten einging.

Engagierter Gestalter der Kultur

Aus diesen zarten Anfängen entwickelte sich eine solide Arbeitsbasis, die notwendig war für die Zusammenführung, die inhaltliche und bauliche Ertüchtigung und die Weiterentwicklung der Staatlichen Museen zu Berlin. Und die als Grundlage diente für die von den beiden Generaldirektoren formulierte und verantwortete Denkschrift zu den zukünftigen Standorten und zur Struktur der Staatlichen Museen zu Berlin aus dem September 1990, quasi dem Side Letter zum Einigungsvertrag. An diesem grundlegenden Papier wirkte ein Kreis von international renommierten Kollegen mit, die zum Teil schon in der Wiener Runde vom Juli 1989 anzutreffen waren. Die Denkschrift bildete die Grundlage für ein späteres Bündel von strukturellen und strategischen Entscheidungen des Stiftungsrates der SPK, das aus dem Masterplan Museumsinsel, dem Masterplan Kulturforum und schließlich und letztlich den Plänen für den Standort Dahlem bestand.

Günter Schade hatte seinen Dienstsitz während der Jahre der Wiedervereinigung bis Ende 1991 im Sockelgeschoss des Alten Museums, was seinem Verständnis von der Rolle eines Generaldirektors als dem Diener der Einrichtung völlig entsprach, zog dann aber nach der organisatorischen Vereinigung von SMB und SMPK in die Stauffenbergstraße in die vormalige SMPK-Generaldirektion. Ein deutliches Signal für die gemeinsam getragene Leitung der größeren und breiter agierenden SMB.

Im Laufe der Folgejahre wurde der Politik, der Kollegenschaft und auch einem breiten Teil der Bevölkerung bewusst, welche Bedeutung Günter Schade für die Berliner Kultur und weit darüber hinaus hatte. Im Juni 2000 wurde er zum Stadtältesten von Berlin ernannt, eine der am seltensten verliehenen Ehrungen im Land Berlin. Im Jahre 2009 wurde ihm für seine Leistungen der Verdienstorden Erster Klasse der Bundesrepublik Deutschland verliehen, das sogenannte Bundesverdienstkreuz. Beide Ehrungen sind beredtes Zeugnis für die Integrität und Vorbildfunktion, die Günter Schade zu eigen sind, für seine aufrechte Haltung, seine gelebte Bescheidenheit.

Lieber Herr Kollege Schade: Angesicht einer solchen Lebensleistung möchte ich Ihnen meinen größten Respekt ausdrücken und auf das Herzlichste gratulieren!

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