Wiedergelesen: „Kongo: Eine Geschichte“ und „Morenga“

News vom 27.07.2020

Nach der Diskussion um Raubgut und Rückgabeforderungen im vergangenen Jahr haben in den letzten Monaten Fragen des Alltagsrassismus und der Begegnung kolonialer Amnesie die Debatten geprägt. Vor diesem Hintergrund hat sich Stefan Müchler zwei Werke angeschaut, die in den letzten Jahrzehnten nichts von ihrer Aktualität verloren haben.

Buchcover „Kongo: Eine Geschichte“ und „Morenga“
© Suhrkamp, dtv

Die Aufteilung Afrikas unter den europäischen Kolonialmächten sollte auf der Berliner Kongokonferenz 1884/85 abschließend geklärt werden. Im Zentrum widerstreitender Interessen vor allem England und Frankreichs, aber auch Portugals stand das wohl rohstoffreichste Gebiet Afrikas. Als Ergebnis der Konferenz wurde es der privaten Kongo-Gesellschaft des belgischen Königs Leopold II. überlassen.

Kongo: Eine Geschichte“ von David Van Reybrouck erzählt auf über 700 Seiten die Entwicklung des riesigen Reiches von der belgischen Kolonialzeit über die 32-jährige Mobutu-Diktatur und den „großen afrikanischen Krieg“ in den neunziger Jahren bis in die damalige Gegenwart des Erscheinens des Buches vor rund 10 Jahren. Bei seinen zahlreichen Recherchereisen sprach Van Reybrouck mit Kindersoldaten und Rebellenführern, Politikern, Missionaren und staatlichen Bediensteten der unterschiedlichen Regime. Nicht zuletzt durch die zahlreichen Augenzeugenberichte entstand so eine fesselnde Darstellung der wechselhaften und viel zu oft tragischen Geschichte des Landes. Das Monumentalwerk ist streckenweise spannend wie ein Roman, driftet aber zuweilen auch sehr in eine Entdeckungsreise des Autors ab, der Stimmen wie zur Ausschmückung einflicht.

Die Darstellung endet um 2010 – nicht aber die Geschichte des Kongo. Das letzte Kapitel des Buches handelt vom stetig wachsenden Einfluss Chinas und vom schweren Stand der kongolesischen Diaspora im Reich der Mitte. Eine erweiterte Neuauflage mit einer Fortschreibung der Geschichte des Kongo, wie auch seiner ambivalenten Beziehung zu China, wäre ein großer Gewinn.

Bereits 1978 erschien Uwe Timms Roman „Morenga“, der in diesem Jahr mit einem Nachwort von Robert Habeck neu aufgelegt wurde. In einer Kollage aus historischen Dokumenten, wie Berichten des Großen Generalstabs und fiktiven Tagebuchaufzeichnungen, erzählt Timm die Geschichte des nach Deutsch-Südwestafrika entsandten Oberveterinärs Gottschalk, der sich im September 1904 auf der „Gertrud Woermann“ Richtung Swakopmund eingeschifft hatte.

Den Aufstand der Herero und Nama gerade niedergeschlagen, befand sich das Deutsche Kaiserreich in einem erbarmungslosen Kolonialkrieg gegen große Teile der einheimischen Bevölkerung. Gottschalks Aufgabe war es für die Einsatztüchtigkeit der Pferde und Zugochsen der „Schutztruppe“ zu sorgen sowie für die der lokalen Bevölkerung geraubten Rinderherden zu sorgen. Mehr und mehr gewinnt Gottschalk Sympathien für die einheimische Sache, lernt die komplizierte Sprache der Nama mit ihren Schnalz- und Klicklauten und ging eine Beziehung mit einer Nama-Frau ein. Schon bald wird ihm klar, dass sich die Einsätze nicht gegen einzelne Aufständische richten, sondern er Teil eines Vernichtungskrieges gegen die Herero und Nama wird.

Obwohl Uwe Timm „Morenga“ bereits vor mehr als vierzig Jahren geschrieben hat, hat das Buch nichts von seiner Relevanz eingebüßt. Im Gegensatz; mit seinem postkolonialen Ansatz trifft es genau die aktuellen Debatten um Rassismus und Aufarbeitung der postkolonialen Gegenwart. Mit dem Titel „Morenga“ widmet Timm den Titel seines Buches einen der bekanntesten Anführer der Herero und Nama, dem ehemaligen Minenarbeiter Jakobus Morenga. „Morenga“ ist kein einfaches Lesebuch, was nicht nur an seinem oftmals sehr bedrückenden Inhalt liegt. An der Thematik interessierte Leserinnen und Leser werden aber auch zukünftig nicht an Uwe Timms „Morenga“ vorbeikommen.

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