Und es geht eben doch!

News vom 28.11.2024

Die Neue Nationalgalerie diskutiert über Kunst und Aktivismus in Zeiten der Polarisierung: Nach dem Eklat ist vor dem friedlichen Diskurs

Ausstellungsraum mit Video, an der Scheibe Hinweis: "The exhibition will open when a ceasefire and hostage release agreement is reached"
Pavilion of ISRAEL, (M)otherland, 60th International Art Exhibition - La Biennale di Venezia, Photo by: Matteo de Mayda, Courtesy: La Biennale di Venezia

Haltet etwas aus! Das schien der heimliche Leitsatz des Symposiums „Kunst und Aktivismus in Zeiten der Polarisierung“ am 26. November im Otto-Braun-Saal der Staatsbibliothek zu sein. Niedergebrüllt worden war zwei Tage vorher der Direktor der Neuen Nationalgalerie, Klaus Biesenbach, als er der sehr einseitigen, israelkritischen Rede der Künstlerin Nan Goldin widersprach. Sie, die zwischen Kunst und Aktivismus nicht zu trennen vermag, war gekommen, um die Eröffnung ihrer Retrospektive nicht für Ansichten über ihre Kunst sondern über den Nahost-Konflikt zu nutzen. Mutig stellte sich Biesenbach gegen ihre antiisraelische Brandrede und musste zweimal ansetzen, weil niedergeschrien wurde, was er zu sagen hatte. „Das ist nicht unsere Vorstellung von Meinungsfreiheit“, sagte SPK-Präsident Hermann Parzinger dazu.

Am Sonntag danach sollte nun debattiert werden. Dazu mussten die Teilnehmenden erstmal die Maßnahmen einer für ein Symposium in Berlin ziemlich harten Tür aushalten: Lange Schlange, Ausweiskontrolle, keine Jacken oder Getränke, abgeklebte Handys. Auch von sozialen Medien ungestört, wollte man diskutieren. Schließlich werden Diskurse besser in echt geführt als bei Instagram, wo Debatten eher polarisiert und verflacht werden. Hito Steyerl hätte dazu Kluges zu sagen gehabt, sah sich aber bei Instagram verunglimpft und sagte ab. Ebenso wie viele andere potentielle Teilnehmende, aus diversen Gründen.

Zum Glück scheinen die Organisatoren Saba-Nur Cheeba und Meron Mendel Großmeister*innen im Aushalten zu sein. Sie hielten allem zum Trotz an der Veranstaltung fest, fanden Ersatzstimmen, verteidigen die Kraft des Diskurses. In ihrem Eingangsstatement, für das sie Nan Goldin eingeladen hatten, die aber in keiner vorgeschlagenen Form teilnehmen wollte, weil sie im Symposium eine Nivellierungsveranstaltung ihres Aktivismus sah, betonten sie, es gehe nicht darum, Konsens zu erzielen, sondern wirklich nur darum, sich gegenseitig zu Wort kommen zu lassen – und wenn möglich, sich mit Empathie für den Schmerz des anderen zu begegnen. Auszuhalten waren also Vagheit, Ambivalenz und Konsenslosigkeit. Im durch Einlegezettel auf immer wieder geändertes Podium aktuell gehaltenen Programmheft befand sich – schwarz auf weiß – der Code of Conduct. „Pluralität der Stimmen, Toleranz, Vielfalt und gegenseitiger Respekt sind die Grundlage einer demokratischen Gemeinschaft“ stand dort.

Elke Buhr stellte auf dem ersten Panel zum Thema „Welche Rolle spielt der Nahostkonflikt in der Kunstwelt“ den Diskutanten die Frage, warum gerade dieses Thema die westliche Kunstwelt so in Aufruhr versetzt. Von Projektionen ist die Rede, Antisemitismus in der Kunst, kolonialen Strukturen und falsch verstandenem Postkolonialismus, von Antizionismus zu DDR-Zeiten bis zu Foucaults Lob der Iranischen Revolution, aber auch davon, dass diese Frage eigentlich ein Affront sei, wie Maria Ines Plaza Lazo sagt.

Bevor es im zweiten Panel um kulturellen Boykott ging, berichtete Regisseurin Sharon On von der eher leise schleichenden Isolation – beruflich und privat – jüdischer Künstler*innen nach dem 7. Oktober – und den Gefahren, die drohen, wenn man in der U-Bahn hebräisch spreche.

Ihr „Gegenpart“, der Fotograf Raphael Malik, hatte doch noch abgesagt, Saba-Nur Cheema versuchte, seine Position wiederzugeben und erzählte von seiner nach dem 7. Oktober gecancelten Ausstellung. Remsi Al Khalisi erzählte wiederum im Panel, warum sein Theater in Münster mit großem Erfolg einen Text von Annie Ernaux – Nobelpreisträgerin und BDS-Anhängerin, die eigentlich Deutschlands Kultureinrichtungen bestreiken wollte – auf die Bühne brachte, statt sie zu boykottieren. Ein Kunstwerk sei halt manchmal schlauer als die Künstlerin.

Am Ende des zweiten Panels kam dann der Moment, der dem Saal die Kraft der Kunst verdeutlichte: Ruth Patir zeigte ihr Werk „(M)otherland“, der Saal applaudierte, die Künstlerin hatte Tränen in den Augen. Ruth Patir hatte im Frühling 2024 den von ihr bespielten israelischen Pavillon auf der Biennale in Venedig geschlossen – mit einem plakatierten Hinweis an der Tür, dass diese Aufstellung erst öffne, wenn es einen Waffenstillstand gebe und alle Geiseln freigelassen worden seien. Die Besucher*innen konnten durch die große Glasfront nur die Video-Arbeit „(M)otherland“ sehen: eine digital zum Leben erweckte Masse an prähistorischen, weiblichen Tonfiguren, teils ohne Kopf oder Arm, die in einer virtuellen Stadtlandschaft eine Protestdemonstration veranstalten. Basieren tun diese Art Protest-Golems auf archäologischen Funden aus dem Nahen Osten, Funden aus einer Zeit, als auf dem Stück Erde, das sie jahrtausendelang barg, weder von einem Israel noch einem Palästina die Rede war.

Patir hatte dann auch das Schlusswort. Sie halte es für das Minimum, im Gespräch zu sein und alle sprechen zu lassen. Und: „We can all do better!“

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