Lebenswerk Berliner Schloss

News vom 03.11.2022

Der Hamburger Kaufmann Wilhelm von Boddien erzählt in seinen Memoiren, wie er sich einen Jugendtraum erfüllte – überrascht hat ihn das selbst

Zwei Männer schütteln sich die Hand
© SPK/photothek/Xander Heinl

Von Rainer Haubrich

Seit mehr als zwei Jahren steht das Berliner Schloss wieder im Herzen der Hauptstadt. Und wie bei vielen Bauwerken dieser Größenordnung hat sich schneller als gedacht eine Gewöhnung eingestellt. Der monumentale Kubus der einstigen Hohenzollernresidenz steht dort auf der Spreeinsel einfach gut im Stadtraum, er zwingt die umliegenden Gebäude, die einst auf ihn ausgerichtet waren, wieder zu einer Einheit zusammen. Schon bald werden die meisten Passanten nicht mehr wissen, welche Metamorphosen dieser Ort in den vergangenen hundert Jahren durchlaufen hat und wie lange und heftig nach dem Fall der Mauer um die angemessene Gestaltung der historischen Mitte Berlins gerungen wurde.

Aber wer künftig ein wenig in die Geschichte des Humboldt Forums mit den historischen Barockfassaden eintaucht, wird immer wieder auf eine Persönlichkeit treffen, die ganz am Anfang dieses Projektes stand und die über 30 Jahre den Wiederaufbau entscheidend vorantrieb: der Hamburger Kaufmann Wilhelm von Boddien. Ohne ihn, da sind sich Anhänger wie Gegner ausnahmsweise einmal einig, gäbe es das Bauwerk nicht. Jetzt hat er seine Memoiren veröffentlicht: „Abenteuer Berliner Schloss. Erinnerungen eines Idealisten“ (Wasmuth & Zohlen). Wer nachlesen und nacherleben will, wie es möglich war, dass aus einem Jugendtraum Boddiens – gegen große Widerstände – das Humboldt Forum werden konnte, der kommt an diesem Buch nicht vorbei.

Es ist eine unglaubliche Geschichte. Der 19 Jahre alte Schülerzeitungsredakteur aus Reinbek bei Hamburg sieht 1961 in Ost-Berlin den verödeten Schlossplatz (damals: Marx-Engels-Platz). Ein Erlebnis, das ihn so nachhaltig prägen wird, dass er alles über den 1950 von den SED-Machthabern gesprengten Barockbau lesen wird, Erinnerungsstücke sammelt und anfängt, vom Wiederaufbau zu träumen. Nach dem Fall der Mauer gründet der 49 Jahre alte Kaufmann den Förderverein Berliner Schloss. Und mit 79 Jahren steht er schließlich bei der Eröffnung des fertigen Bauwerks in der rekonstruierten barocken Pracht des Schlüterhofes.

Man liest sich fest, wenn Boddien erzählt, wie er nach 1989 in Ost-Berliner Archiven nach Bauplänen und Messbildern des Schlosses suchte, wie er auf Deponien und in Kleingärten Fragmente des Barockschmuckes aufspürte. Man erfährt, wie das Architekturbüro Stuhlemmer daraus millimetergenaue Fassadenpläne errechnete und wie Boddien 1993 die Schoss-Attrappe organisierte, die zum entscheidenden Meinungsumschwung beim Publikum führte. Man geht mit ihm aber auch durch die schwierigen Phasen nach dem Wiederaufbau-Beschluss des Bundestages 2002, als das Projekt immer mal wieder auf der Kippe stand. Schon ein Jahr später war das wegen der angespannten Haushaltslage der Fall, auch im Zuge der Finanzkrise wurde ein Moratorium verkündet und es passierte jahrelang gar nichts. Nicht zu vergessen die falschen Vorwürfe, Boddien habe Spendengelder veruntreut, was seinen Ruf und das ganze Projekt zu ruinieren drohte.

Anschaulich schildert er, wie er versuchte, einflussreiche Persönlichkeiten von Henry Kissinger bis Gerhard Schröder für das Schloss-Projekt zu gewinnen. Zum Beispiel Helmut Kohl. Die Büroleiterin des damaligen Bundeskanzlers, Juliane Weber, hatte Boddien in Aussicht gestellt, sie könne am Rande des CDU-Bundesparteitags 1993 in Berlin eine Begegnung arrangieren. Als Boddien dann erschien, wimmelte ihn Weber ab. Er hatte Glück, dass Hanna-Renate Laurien, die Präsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses, ihre Hilfe anbot und ihn durch alle Sicherheitskontrollen bis in die erste Reihe schleuste. Sie sagte ihm, er solle den Kanzler so lange mit seinem Blick fixieren, bis der ihn wahrnehme. Das gelang, und Kohl winkte Boddien aufs Podium, hörte ihm gut zu, machte ihm aber wenig Hoffnung: Die CDU stehe gerade nicht gut da im Osten des Landes, da könne er sich nicht gegen den Palast der Republik aussprechen.

Aber Wilhelm von Boddien war mit dem Talent gesegnet, solche Rückschläge stets in neue Ideen zu verwandeln. Er knüpfte weiter Kontakte in die Politik, er gewann viele große und unzählige kleine Spender in Berlin, im Bundesgebiet und im Ausland, mit deren Hilfe er das anfangs utopisch anmutende Ziel von 110 Millionen Euro für die Rekonstruktion der Barockfassaden erreichte. Einen Eindruck von seinem Pensum gibt auch die Schilderung der Reisen in die Vereinigten Staaten, wo er von der Ost- bis zur Westküste Vorträge hielt und um Spenden warb, unterstützt vom deutschen Medizin-Nobelpreisträger Günter Blobel und dessen „Friends of Dresden“.

Man hätte sich ja vorstellen können, dass Boddien eine Gegenbewegung auslöst, dass sich Mäzene zusammenfinden und bekannte Galeristen, die eine Initiative „Moderne Mitte Berlin“ gründen und zusammen mit führenden Architekten einen glänzenden Gegenentwurf zum Berliner Schloss finden. Aber eine solche Initiative ist nie zustande gekommen, und es gab keinen nachhaltig inspirierenden Gegenentwurf zur Wucht und Schönheit der Architektur von Andreas Schlüter. Ähnliches wiederholt sich bei der aktuellen Debatte um die Rekonstruktion der Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel gegenüber dem Schloss, wo bisher ebenfalls keine überzeugende Alternative zum äußerlich originalgetreuen Wiederaufbau aufgetaucht ist.

Die Fachdiskussion über das Humboldt Forum im barocken Gewand hält an, auch wenn sie inzwischen fast vollständig vom Thema Kolonialismus dominiert wird. Wilhelm von Boddien hat von Anfang an die Idee unterstützt, dort die außereuropäischen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin zu zeigen, und er bedauert, dass über die Weltgeltung der Objekte so viel weniger geschrieben wird als über die Restitutionsdebatte. Ob der Bundestag heute nochmals ein solches Projekt beschließen würde? Wohl kaum. Nach der Lektüre von Boddiens Erinnerungen wird deutlich, dass für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses gilt, was auch für die deutsche Einheit zutrifft: Es gab nur ein begrenztes Zeitfenster, in dem die Vision Wirklichkeit werden konnte. Wilhelm von Boddien hat es genutzt.

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