„Genug ist genug!“: Hermann Parzinger fordert eine Rückkehr zum sachbezogenen Dialog über das neue Kulturgutschutzgesetz

News vom 21.07.2015

Oberstes Gebot sei es, die Vertrauensbasis zwischen Politik, Kunsthandel, Sammlern und Kultureinrichtungen zu stärken. Mit größter Transparenz sollte dieses für unser Land so wichtige Thema weiter diskutiert werden. Hermann Parzingers Plädoyer erschien am 18. Juli 2015 leicht gekürzt in der Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Die Bemühungen von Kulturstaatsministerin Monika Grütters um eine Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes haben in den zurückliegenden Wochen eine Auseinandersetzung in der Kunst- und Kulturwelt dieses Landes hervorgerufen, wie es sie schon lange nicht mehr gegeben hat. Von „kalter Enteignung“ war ebenso die Rede wie von einem angeblich beispiellosen Zugriff des Staates auf Privateigentum. In einem Offenen Brief des deutschen Kunsthandels vom 15. Juli 2015 ist sogar von einem „totalen Versagen deutscher Kulturpolitik“ die Rede, das „erschreckend an nationale Verordnungen der deutschen Geschichte erinnert“, und das „in Zeiten, in denen sich der europäische Gedanke gegen Angriffe aus extrem rechten und linken politischen Lagern verteidigen muss“. Darunter geht es rhetorisch wohl nicht. Hier wird in einer Weise verbal aufgerüstet, als befände man sich mitten in einer weiteren Nachrüstungsdebatte des Kalten Krieges. Und wer das aufgeregte Anschwellen der Empörung in den vergangenen Wochen aufmerksam verfolgt hat, der möchte jetzt nur noch rufen: Genug ist genug!

Worum geht es eigentlich? Die Bundesregierung hat eine Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes im Koalitionsvertrag festgeschrieben, weil sie erstens überfällig weil Deutschland zweitens verpflichtet ist, die entsprechenden EU-Regelungen bis Dezember umzusetzen, und weil dies drittens von den Kulturinstitutionen unseres Landes auch immer gefordert wurde. Diese Novellierung besteht aus zwei Teilen, die sorgsam zu unterscheiden sind: den Einfuhr- und den Ausfuhrregelungen. Hinsichtlich der Einfuhr von Kulturgütern herrscht glücklicherweise weitgehend Konsens, dass insbesondere archäologische Objekte eines klaren Herkunftsnachweises und einer Ausfuhrgenehmigung des Ursprungslandes bedürfen, um auf dem deutschen Markt angeboten werden zu dürfen, andernfalls erfolgt ihre umgehende Rückgabe. Zu offensichtlich ist, dass kriminelle Vereinigungen wie der sogenannte „Islamische Staat“ mit der Zerstörung und Plünderung von Welterbestätten im Nahen Osten ein lukratives Milliardengeschäft auf Kosten des kulturellen Erbes der Menschheit betreiben. Ausdrücklich sage ich aber, dass dieser ‚Warenstrom‘ am seriösen deutschen Kunsthandel vorbei seine illegalen Wege sucht und findet. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat deshalb gemeinsam mit einer ganzen Reihe weiterer Partner ein Projekt  mit dem Arbeitstitel ILLICID auf den Weg gebracht, um eine Dunkelfeldforschung im Umfeld des illegalen Antikenhandels zu betreiben. Es ist unser Ziel, Systematik und Struktur dieses verwerflichen Geschäfts besser zu verstehen und dadurch den Ermittlungsbehörden die Entwicklung effektiverer Gegenmaßnahmen zu ermöglichen. In der Aufgeregtheit der gegenwärtigen Diskussion geht völlig unter, dass Deutschland hier ein vorbildliches Kulturgutschutzgesetz vorbereitet, dass enorm zum Ansehen unseres Landes in der Welt beitragen wird.

Jetzt zu den Ausfuhrregelungen, dem eigentlichen Stein des Anstoßes. Bei der Novellierung geht es auch darum, gesellschaftlich akzeptierte Regelungen zu finden, die Abwanderung von Kulturgut aus Deutschland nicht zu verhindern, aber angemessen zu regeln. Seit 1955 gibt es hierfür entsprechende Gesetze, doch gehen die Bundesländer aufgrund ihrer Kulturhoheit höchst unterschiedlich damit um. Das, was für die Ausfuhr in Staaten außerhalb der Europäischen Union schon längst gilt, muss nun für den Binnenmarkt zur Anwendung kommen, und die meisten EU-Staaten haben dies bereits umgesetzt. So weit, so gut. Details im Gesetzesentwurf von Monika Grütters haben nun zu einer allgemeinen Erregung geführt, die bereits von einer Diskriminierung, ja Vernichtung des Kunsthandels in Deutschland spricht. Lob von allen Seiten erntete unsere Kulturstaatsministerin noch, als sie ihre Stimme gegen den Verkauf der beiden Warhol-Bilder im Ausland erhob, die die NRW-landeseigene Spielbank sanieren sollten; unabhängig von juristisch eindeutigen Eigentumsverhältnissen, die jegliches legale Handeln gestatten, geht es in der Kulturpolitik schon auch immer um höhere Werte. Und genauso möchte ich hervorheben, dass die in dieser Diskussion viel zitierten Amerikanischen Reisetagebücher von Alexander von Humboldt heute nicht Eigentum der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, sondern für einen gewiss deutlich höheren Preis nach Washington oder Mexiko gegangen wären, gäbe es nicht patriotisch gesinnte Mediatoren wie Christoph Graf Douglas, die ihr Handeln ebenfalls an höheren Werten orientieren. Jeder Einzelfall ist anders gelagert und weist seine Besonderheiten auf. Einzelbeispiele sind somit wenig geeignet, die eine oder die andere Sichtweise als richtig oder falsch zu erweisen. Sie eignen sich aber sehr wohl, um deutlich zu machen, dass das, was die Kulturnation und den Kunststandort Deutschland groß gemacht hat, auf einem unausgesprochen vertrauensvollen Konsens im Handeln zwischen Staat, Kunsthandel, Sammlern und Museen beruht. Dieses Vertrauen ist brüchig geworden, aber ganz sicher nicht verloren. Für letzteres gibt es auch keinen Grund.

Die Vorgehensweise der Kulturstaatsministerin ist auf maximale Transparenz angelegt; wie sonst wäre es möglich, dass bereits ein Referentenentwurf, ich wiederhole, ein Referentenentwurf, öffentlich kursiert. Ich gebe gerne zu, Diktion und Präzision des Gesetzesentwurfes sind noch verbesserungswürdig, wie dies bei Entwürfen oft so ist. Viele Kritikpunkte scheinen berechtigt, und darüber kann und muss man reden, vielleicht auch streiten: Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung und die Eigentumsrechte dürfen nicht ohne weiteres eingeschränkt werden, auch können Dauerleihgaben von Sammlern oder Künstlern an öffentliche Museen nicht automatisch per Gesetz nach einer gewissen Zahl von Jahren für immer unter Schutz gestellt werden, und Meldepflicht und Beweislastumkehr bei Privateigentümern sind kaum vermittelbar, die Wert- und Alterskriterien scheinen zu niedrig, und die Definition von dem, was „nationales Kulturgut“ (vgl. Gesetzesentwurf) oder vielleicht besser „national wertvolles Kulturgut“ ist oder sein kann, bleibt ausgesprochen vage. All das rechtfertigt jedoch nicht den Tonfall des Empörungsgeschreis, sofern es in Wirklichkeit nicht darum geht, gleich das ganze Gesetz zu kippen. Wer daran glaubt, wird sich täuschen und hätte gleichzeitig eine große Chance verspielt, die Chance auf einen sachbezogenen Diskurs mit der Politik. In ihrer Pressekonferenz zum Kulturgutschutzgesetz vom 15. Juli 2015 hat Monika Grütters in all den wesentlichen Kritikpunkten Gesprächsbereitschaft angedeutet und einen überarbeiteten Gesetzesentwurf vorgelegt, der viele der geäußerten Kritikpunkte bereits aufgegriffen und berücksichtigt hat. Das ist ein wichtiges Zeichen, das ist gelebte Demokratie. Insofern denke ich, dass es etwas überstürzt erscheint, seine Leihgaben schon jetzt aus öffentlichen Sammlungen zurückzuziehen, sofern es sich bei solchen Aktionen nicht um eine neue Form von künstlerischer Performance handelt. Das ganze Thema braucht dringend eine deutliche Versachlichung.

Von zentraler Bedeutung ist, wie wir den Begriff „national wertvolles Kulturgut“ definieren wollen und wie exklusiv eine solche Kategorisierung wirklich sein soll; jedenfalls sind dies Fragen, die sich breit zu diskutieren lohnen, weil es dabei auch um unser Selbstverständnis als Kulturnation geht. Genau dazu hat die Kulturstaatsministerin auf ihrer Pressekonferenz aufgefordert. Natürlich geht es dabei nicht um „nationale“ Kategorien im engeren Sinne, denn Nofretete ist heute eine wunderbare Botschafterin altägyptischer Kultur in Berlin, gleichzeitig ist sie aber auch ein Icon für die Museumsinsel oder für Weltkulturerbe schlechthin geworden, Bedeutungszusammenhänge können sich erweitern und verändern. Klar ist, dass ein Kunstwerk wie Nofretete heute nicht mehr aus Ägypten ausgeführt werden könnte, weil Fundteilungen nicht mehr üblich sind. Ebenso sind die Zeiten vorbei, in denen bedeutende Werke von Caravaggio aus Italien für die Berliner Museen oder Dürer-Bilder aus Deutschland etwa für den Prado in Madrid erworben werden konnten. All das ist für uns längst selbstverständlich. Insofern wäre möglicherweise eine Substanzerhaltungsverpflichtung auch des Staates unmissverständlicher als ein Maßnahmenkatalog gegen drohende Abwanderung; unter dem Strich kommt es freilich auf dasselbe heraus.

Neben der Begriffsklärung ist ferner Transparenz oberstes Gebot, um das brüchig gewordene Vertrauen wiederzugewinnen. Eine Entscheidung über „national wertvolles Kulturgut“ darf nicht von Verwaltungsbeamten und unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen werden, sondern es braucht sachkundige Expertenkommissionen unter Einbezug von Vertretern des Kunsthandels, um solche Entscheidungen zu treffen, wie dies die Kulturstaatsministerin auch für sinnvoll anempfohlen hat. Das Procedere muss ja auch Einspruchsmechanismen vorsehen, wie dies in einer Demokratie bei jeder staatlichen Entscheidung der Fall ist. All dies fällt jedoch in die Zuständigkeit der Bundesländer, und vielleicht sind es gerade die dort zum Teil sehr uneinheitlichen Verfahrenswege, die zusätzliche Unsicherheit verbreiten. Und noch etwas: Selbst wenn bestimmte Kunstwerke nur mehr im Inland verkauft werden könnten, würde dies gewiss nicht bedeuten, dass sie dann in öffentliche Museen gelangten; die Ankaufsetats reichen in der Regel doch selbst dafür nicht mehr.

Wie auch immer. Das Thema ist zu wichtig für unser Land, um es allein den Emotionen preiszugeben. Es ist jetzt das oberste Gebot, die Vertrauensbasis zwischen Politik, Kunsthandel, Sammlern und Kultureinrichtungen zu stärken. Die Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes wird kommen, doch sie kann nur dann allen begründeten Einwänden gerecht zu werden versuchen, wenn das sachbezogene Gespräch miteinander wieder im Vordergrund steht. Genau dazu hat die Kulturstaatsministerin aufgefordert. Es ist die Sache wert.

Der Beitrag „Genug ist genug! Plädoyer für eine Rückkehr zum sachbezogenen Dialog über das neue Kulturgutschutzgesetz“ erschien leicht gekürzt in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18.07.2015.

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