„Washington war eine Revolution“
21.11.2018„Washington war eine Revolution“
Er gilt als Architekt der Washingtoner Konferenz. Im Interview erklärt der US‑Diplomat Stuart E. Eizenstat, was die Beschlüsse von 1998 bewirkt haben
Herr Eizenstat, Sie haben sich als Diplomat immer wieder mit brisanten Aufgabenstellungen auseinandersetzen müssen. Wie sind Sie mit dem Thema Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust in Berührung gekommen?
1968 schloss ich mich als Forschungsleiter dem Präsidentschaftswahlkampf des damaligen Vizepräsidenten Hubert Humphrey gegen Richard Nixon an. Kurz zuvor hatte mein Kollege Arthur Morse sein Buch „While Six Million Died“ veröffentlicht. Darin thematisierte er den Umstand, dass die Regierung Roosevelt bis hinauf zum Präsidenten persönlich in Bezug auf den Holocaust vergleichsweise inaktiv geblieben war. Da Roosevelt in meiner Familie aber als Ikone galt, traf mich diese Erkenntnis wie ein Schlag. Ich schwor mir damals, dass ich diesen Makel auf der ansonsten weißen Weste der Vereinigten Staaten beseitigen wollte, sollte ich je die Gelegenheit dazu bekommen.
Die Gelegenheit kam, als Sie 1993 zum US-Botschafter bei der Europäischen Union ernannt wurden und jüdischen wie anderen religiösen Gemeinschaften in Osteuropa dabei halfen, ihre Infrastruktur neu aufzubauen. Später verhandelten Sie Vereinbarungen für Anspruchsberechtigte an Schweizer Bankkonten und für Opfer von NS-Zwangsarbeit. Wie aber kamen Sie von all diesen Themenfeldern zur bildenden Kunst?
Stuart E. Eizenstat
Der Anwalt und Diplomat gehörte 1998 zu den Initiatoren der Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust. Mehrere US-Präsidenten betrauten Eizenstat mit wichtigen Aufgaben, so war er von 1993 bis 1996 Botschafter der USA bei der Europäischen Union und von 1999 bis 2001 stellvertretender US-Finanzminister. Eizenstat ist Autor des Buches „Unvollkommene Gerechtigkeit“. Zuletzt veröffentlichte er „President Carter: The White House Years“
Was sind die wichtigsten Errungenschaften der Washingtoner Erklärung gewesen?
Wie schätzen Sie darüber hinaus Deutschlands Fortschritte seit 1998 ein?
In Deutschland hat man sich wirklich bemüht. Doch ehrlich gesagt denke ich, dass man die Thematik noch nicht zufriedenstellend umgesetzt hat. Die Beratende Kommission arbeitet sehr langsam, es wurden nur sehr wenige Verfahren zugelassen, und es wäre dringend nötig, die Anstrengungen zu erhöhen. Trotzdem verdient Kulturstaatsministerin Monika Grütters großes Lob. Als ich sie vor einigen Jahren besuchte, teilte sie mir mit, dass sie den damaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble davon überzeugt habe, weitere vier Millionen Euro an deutsche Kunstmuseen freizugeben, damit diese ihre Provenienzforschung beschleunigen, vertiefen und anschließend ihre Ergebnisse publizieren können. Das ist ein erster wichtiger Schritt, um den Erben, deren Kunstwerke von den Nationalsozialisten konfisziert wurden, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. In den Vereinigten Staaten indes hat das Fehlen von finanziellen Mitteln in den Museen die Provenienzforschung zum Erliegen gebracht. Dementsprechend haben die Museen damit begonnen, Forderungen von Antragstellern zurückzuweisen. Man begründet das mit Verjährungsfristen, Versäumnissen bei der Geltendmachung von Ansprüchen und der Rechtsprechung. Das läuft dem Geist der Washingtoner Erklärung zuwider.
Zitat
„Die Washingtoner Erklärung hat dabei geholfen, hunderte Kunstwerke zu restituieren“Stuart E. Eizenstat
Hat aber nicht der Fall Gurlitt die Diskussion erneut verändern können?