Der Löwe des Königs
21.11.2018Der Löwe des Königs
Ein einzigartiges Forschungsprojekt rekonstruiert die Kunstsammlung des Berliner Verlegers Rudolf Mosse
Zurück blieb unter anderem die Kunstsammlung, die der einstige „Zeitungslöwe“ Rudolf Mosse jahrzehntelang zusammengetragen hatte. Sein Stadtpalais am Leipziger Platz, ein bürgerliches Schloss, war Wohnhaus und zugleich Galerie mit 20 Sälen; es trug den Spitznamen „Mosseum“. An zeitgenössischen Malern und Bildhauern interessierte Berliner sowie auswärtige Gäste konnten das Haus nach Anmeldung und gegen eine Spende für wohltätige Einrichtungen besichtigen.
Doch bei ihrer Emigration im Frühjahr 1933 konnten die Lachmann-Mosses nichts von diesen Beständen mitnehmen, ebenso wenig wie die Werke in ihrem Rittergut Schenkendorf südöstlich von Berlin oder die Sammlung in ihrem Haus in der Schöneberger Maaßenstraße. Der größte Teil der Kunst, darunter Gemälde von Max Liebermann, Lovis Corinth und Lesser Ury, sowie des sonstigen Inventars wurde 1934/35 meistbietend, aber deutlich unter Wert versteigert. Die Immobilien wechselten ebenfalls „günstig“ den Eigentümer.
Ein klarer Fall von verfolgungsbedingtem Entzug von Vermögen – sollte man meinen. Die Voraussetzung für eine Restitution schien somit gegeben zu sein. Doch so einfach ist es nicht. Vielmehr war und ist die „Causa Mosse“ ein Beispiel für die besonderen Schwierigkeiten, die einer schnellen Umsetzung der Washingtoner Prinzipien im konkreten Fall im Wege stehen können.
Denn bevor ein Kunstwerk restituiert werden kann, muss es doppelt identifiziert werden: einerseits an seinem heutigen Standort, andererseits als ehemals einer bestimmten verfolgungsbedingt entzogenen Sammlung zugehörig. Zusätzlich müssen vor einer Restitution die Umstände der Entziehung so genau wie möglich geklärt werden.
Gerade im Fall Mosse aber war das nicht einfach. Denn seit Jahrzehnten hält sich eine Darstellung, die zumindest Zweifel wecken kann. Demnach habe sich der Mosse-Verlag bereits seit dem 13. September 1932 in der Insolvenz befunden; damit sei das Eigentum der persönlich haftenden Gesellschafter schon Monate vor der Machtübernahme der Nazis Teil einer Konkursmasse gewesen. Das hatte zwar George L. Mosse, der Sohn von Hans (1885–1944) und Felicia (1888–1972), stets bestritten – so sprach er in seinen Memoiren vom „angeblich drohenden Bankrott“ des Familienunternehmens –, dennoch findet sich die Angabe über ein 1932 eröffnetes Konkursverfahren in nahezu der gesamten Literatur über die Verlegerfamilie.
MARI
Im März 2017 hat die Mosse-Erbengemeinschaft zusammen mit der Freien Universität Berlin die Mosse Art Research Initiative (MARI) ins Leben gerufen. Erstmals kooperieren dabei deutsche Institutionen mit Nachfahren von Opfern der rassischen Verfolgung während des NS-Regimes in einer öffentlich-privaten Partnerschaft. Das Projekt wird vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, der Kulturstiftung der Länder und dem Mosse Art Restitution Project finanziert.
Mehr dazu: www.mari-portal.de
Doch im Zuge der Mosse Art Research Initiative (MARI), einer bisher einzigartigen Kooperation der Freien Universität Berlin, der Erbengemeinschaft und weiteren Partnern, darunter die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, gab es eine wesentliche Klärung: Eine rechtlich festgestellte Insolvenz des Mosse-Verlages im Herbst vor Hitlers Machtübernahme ist demnach nicht nachweisbar. Im Gegenteil: Genau ein Jahr später, am 13. September 1933, wurde im Zuge der lange bekannten Abwicklung des Verlages durch die Nationalsozialisten ein Vergleichsverfahren eröffnet. Obwohl die Berliner Akten heute nicht mehr auffindbar sind, zeigt dies eine zwei Blätter schmale Parallelüberlieferung im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig eindeutig. Zwar hatte der Mosse-Verlag im Herbst 1932 finanzielle Schwierigkeiten, aber eine formale Zahlungsunfähigkeit lag nicht vor – sie hätte sonst eingetragen werden müssen. Damit ist klar, dass der Familie Lachmann-Mosse ihr Eigentum tatsächlich verfolgungsbedingt entzogen worden ist und somit die Voraussetzung für eine Restitution vorliegt.
Doch was genau soll zurückgegeben werden? Nur für wenige Stücke ist die Herkunft aus der Sammlung Mosse bisher eindeutig nachgewiesen. Das gilt etwa für August Gauls „Liegenden Löwen“, eine etwas überlebensgroße Kalksteinplastik. Rudolf Mosse hatte sie um die Jahrhundertwende in Auftrag gegeben. 1929 ruhte der Löwe in der Skulpturenhalle des Mosse-Palais, ab spätestens 1935 ein paar Meter weiter unter offenem Himmel in der Einfahrt zum Gebäude, das nun als Berliner Sitz der nationalsozialistischen „Akademie für Deutsches Recht“ diente. Gauls Werk überstand die Zerstörung des Palais und wurde später vom Ost-Berliner Magistrat der Nationalgalerie auf der Museumsinsel übergeben. 2015 an die Erbengemeinschaft Lachmann-Mosse restituiert, wird Gauls „Löwe“ künftig die Besucher in der James-Simon-Galerie empfangen. Das Schicksal des Exponats wird umfassend dokumentiert werden, wie jetzt auch schon Reinhold Begas' Marmorskulptur „Susanna“ in der Rotunde der Alten Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin, die ebenfalls restituiert, dann aber für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz angekauft worden ist.
Mehr zur Sammlung Mosse
- „Susanna“ von Reinhold Begas aus der Sammlung Mosse
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Doch nur für wenige Stücke aus Rudolf Mosses Sammlung ist die Provenienz derartig geklärt. Gemessen an den dürren Angaben der Werkverzeichnisse und der Auktionskataloge von 1934 müssen es über 1000 einzelne Kunstwerk gewesen sein. Deshalb ist die wichtigste Aufgabe der Initiative, die Bestände zu rekonstruieren und die einst von Rudolf Mosse zusammengetragenen Werke soweit möglich in heutigen Beständen aufzufinden. Ausdrücklich steht bei der im Einvernehmen mit den Erben laufenden Arbeit die Provenienzforschung im Vordergrund; eventuelle Verhandlungen über eine Restitution finden außerhalb von MARI statt.
Doch das Projekt soll noch mehr erreichen: Die Kunsthistoriker um Klaus Krüger von der Freien Universität Berlin und die Koordinatorin Meike Hoffmann nehmen die Akteure in den Blick, die ab 1933 an der Auflösung entzogener Sammlungen beteiligt waren. Nur so lassen sich Erkenntnisse gewinnen, die über die konkrete Sammlung Mosse hinausreichen.
© SPK / Friederike Schmidt
© SPK / ART+COM / Pergamonaltar: Fraunhofer IGD, 2018