Wagt mehr Schinkel
20.06.2018Wagt mehr Schinkel
Mit dem geplanten Wiederaufbau der Bauakademie sollte Berlin seinen noch immer modernsten Architekten würdigen

Karl Friedrich Schinkel war kein Fan des Barocks. Und dennoch konnte sich der bedeutendste Architekt Preußens für zwei Berliner Bauwerke aus jener Epoche begeistern. In einem Gutachten für König Wilhelm III. schrieb er 1817: „Von eigentlich klassischen Gebäuden, die in ihrer ganzen Idee etwas wirklich Eigentümliches und vorzüglich Großartiges haben, besitzt Berlin nur zwei: das Königliche Schloss und das Zeughaus. Sie stehen als Monumente der Kunst da und werden immer wichtiger, je weniger die Zeit imstande sein wird, sich auf so große und vollkommene neue Werke einzulassen.“

Als Schinkel ein Vierteljahrhundert später starb, hatte er diesen beiden von ihm so geschätzten kubischen Monumentalbauten zwei eigene Kuben an die Seite gestellt: das Alte Museum am Lustgarten und sein wegweisendes Spätwerk, die 1836 eröffnete Bauakademie gegenüber dem Berliner Schloss auf der anderen Seite des Kupfergrabens. Dieses spannungsvolle Ensemble von vier aufeinander bezogenen Meisterwerken ist seit der Rekonstruktion des Berliner Schlosses fast wieder komplett – es fehlt nur noch die Bauakademie. Obwohl sie vergleichsweise glimpflich durch den Krieg gekommen war, hatte sie 1962 dem Neubau des DDR-Außenministeriums weichen müssen, welches wiederum 1995 abgerissen wurde.
Dass die Bauakademie immer noch nicht wiederaufgebaut ist, überrascht insofern, als eine Rekonstruktion von Schinkels „rotem Kasten“ von Anfang an weniger umstritten war als jene der ehemaligen Hohenzollernresidenz. Für die Rückkehr der Bauakademie ins Stadtbild sprachen sich auch weite Teile der Architektenschaft aus, weil der Würfel aus Ziegelstein und Terrakotta kein feudales Bauwerk war, sondern mit seinen vier gleichen Fassaden, dem Raster ohne Mittelachse und der seriellen Bauweise ein frühmodernes Gebäude, das großen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Architektur hatte – bis zu den Hochhäusern der School of Chicago und dem Bauhaus. Noch dazu befand sich im obersten Geschoss der Bauakademie einst die Wohnung des Meisters selbst, in der er 1841 starb und die nach seinem Tod das erste Schinkel-Museum beherbergte. Zudem ist die Bauakademie das einzige der Meisterwerke Schinkels, das komplett verloren ging.
Über Jahre bemühten sich Vereine und Persönlichkeiten um den Wiederaufbau. Seit 2004 ist der Würfel im Stadtraum präsent – durch eine Attrappe aus bemalten Planen und eine beispielhaft rekonstruierte Musterecke. Dennoch kam kein praktikables Konzept für Nutzung und Finanzierung zustande – bis im November 2016 der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags 62 Millionen Euro für den Wiederaufbau bereitstellte.
Erneut setzte eine Diskussion ein über Form und Inhalt einer neuen Bauakademie am alten Standort, moderiert vom Bundesbauministerium mit Barbara Hendricks (SPD) an der Spitze. Sie wünschte sich eine „Denk- und Kreativfabrik“ der Baukultur, „die Wissenschaft und Kunst, Forschung und Lehre, Theorie und Praxis unter einem Dach zusammenführt“ und in der auch über das Bauen in Zeiten von „Klimawandel“ und „Integration“ geredet werden solle – ein offenes Haus für alle Akteure der Branche.
Zitat
Mit dem geplanten Wiederaufbau der Bauakademie sollte Berlin seinen noch immer modernsten Architekten würdigen.



Und natürlich müsste dort die Geschichte der Bauakademie selbst erzählt werden, u. a. durch die Präsentation von erhaltenen Fragmenten des Gebäudes. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz verfügt über Hunderte von Formsteinen, die nach dem Abriss des DDR-Außenministeriums im Boden gefunden wurden – und weitere dürften noch unter der Attrappe verborgen liegen. Das Bildprogramm der Bauakademie ist bis auf wenige Ausnahmen durch Originalteile gesichert. Fast vollständig erhalten sind die 24 bemerkenswerten Terrakottareliefs des ersten Obergeschosses: In drei Feldern unter jedem Fenster hatte Schinkel Momente aus der Entwicklung der Architektur allegorisch dargestellt, etwa „Sterbender Genius der Baukunst mit Säulentrümmern“, außerdem Grundtätigkeiten und Grundbegriffe des Bauens, z. B. „Grundsteinlegung“ oder „Endigung eines Gewölbes“. Diese Motive waren an allen vier Fassaden identisch. Unvorstellbar, dass am Schinkel-Platz eines Tages ein austauschbarer moderner Kubus stehen könnte, in dessen hinterster Ecke sich irgendwo ein Raum mit Schinkel-Büste und Touchscreens befindet.
Anhänger einer durch und durch zeitgenössischen Lösung wenden ein: Es müsse ein Gebäude „im Geiste Schinkels“ entstehen, nicht in seinen Formen. Und sie zitieren den Meister selbst: „Überall ist man nur da wahrhaft lebendig, wo man Neues schafft.“ Allerdings wissen die wenigsten, wie Schinkel an dieser Stelle fortfährt: „Dieser neue Styl wird nicht aus allem Früheren heraustreten, dass er wie ein Phantasma ist, welches sich allen aufdringen würde, im Gegenteil, mancher wird kaum das Neue darinnen bemerken, dessen größeres Verdienst die consequente Anwendung einer Menge im Zeitlaufe gemachter Erfindungen werden wird, die früher nicht kunstgemäß vereinigt werden konnten.“

Mehr zur Bauakademie
In der Mitte Berlins soll bis 2023 die Schinkelsche Bauakademie wiederentstehen. Derzeit läuft ein Programmwettbewerb des Bundesbauministeriums, der Nutzungsideen hervorbringen und im Mai 2018 abgeschlossen sein soll. Für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die Staatlichen Museen zu Berlin kann es in der wiederrichteten Bauakademie nur eins geben: Schinkel feiern!