„Wir müssen noch besser werden“
07.12.2020„Wir müssen noch besser werden“
Am 3. Oktober 2020 wurden vier Häuser der Museumsinsel Opfer eines Akts des Vandalismus, bei dem über 60 Kunstwerke beschmutzt wurden. Stefan Simon, Direktor des Rathgen-Forschungslabors, war einer der ersten, die informiert wurden. Im Interview erzählt er, wie sein Labor reagierte und wie der Spagat zwischen Dialog und Sicherheit in Museen gelingen kann.
Am 3. Oktober 2020 hat es einen Akt des Vandalismus an Kunstwerken der Museumsinsel gegeben – was passiert in so einem Fall hinter den Kulissen? Gibt es einen Notfallplan?
Stefan Simon: Es gibt Notfallpläne für verschiedene Eventualitäten und es gibt Anrufketten, die hier gut funktioniert haben. Wir wurden sehr früh informiert und ich habe auch direkt mit Michael Eissenhauer, dem Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, und weiteren Kolleg*innen auf der Museumsinsel gesprochen. Der 3. Oktober war ein Samstag und wir können uns, das hat diese Erfahrung gezeigt, darauf verlassen, dass in so einem Fall natürlich auch am Wochenende alle schnell einsatzbereit sind. Großes Lob gilt an dieser Stelle insbesondere unseren kompetenten und engagierten Aufsichten, die die Schäden frühzeitig bemerkt und gemeldet haben – das ist keine Selbstverständlichkeit.

Was genau passierte, nachdem alle informiert waren?
Ich war an dem Tag nicht in Berlin, deswegen habe ich meinen Stellvertreter Stefan Röhrs gebeten, an meiner Stelle vor Ort zu sein und sofort Proben zu nehmen. Die Proben waren abends bei uns im Rathgen-Forschungslabor, wo sie zeitnah analysiert wurden. Am darauffolgenden Montag hatten wir mittags ein Meeting mit der Polizei und den Direktoren der Museen und konnten bereits sagen, um was für eine Substanz es sich handelte und dass es in allen betroffenen Häusern dieselbe war.
Das heißt, Sie konnten mit Ihrer Arbeit direkt der Polizei helfen?
Von Hilfe kann man natürlich erst sprechen, wenn die Informationen auch zu einem Ermittlungserfolg führen. Aber wir arbeiten gut und eng mit der Polizei zusammen und wenn wir irgendetwas herausfinden, stellen wir diese Informationen sofort den Ermittlern zur Verfügung. Wir haben im Übrigen auch Proben aus dem Potsdamer Schloss Cecilienhof und aus dem Kreismuseum Wewelsburg in Paderborn analysiert, wo es dieses Jahr ähnliche Vorfälle gegeben hat. Neben der guten Zusammenarbeit mit der Polizei geht es uns aber natürlich auch um Fragen, die für die Museen besonders dringlich sind: handelt es sich eventuell um Substanzen, die für Besucher*innen oder Kolleg*innen gefährlich sind und wie lässt sich der Schaden schnell und sicher beheben?
Der Vorfall in Potsdam wurde erst Ende November öffentlich bekannt, deuten Ihre Ergebnisse auf einen Zusammenhang zwischen den Fällen hin?
Wir haben die Proben aus Potsdam und auch aus Paderborn analysiert und können sagen: In allen Fällen wurden für die Attacken ölige Flüssigkeiten verwendet. Es gibt also auf jeden Fall eine Gemeinsamkeit – was das genau bedeutet, ist Inhalt der polizeilichen Ermittlungen.

Es gab nach den Vorfällen auch eine Diskussion, inwieweit sie vermeidbar gewesen wären – gibt es überhaupt sinnvolle Möglichkeiten der Prävention, solange die Werke weiterhin offen für alle Besucher*innen zugänglich sein sollen?
Natürlich gibt es weitgehende Möglichkeiten der Prävention. Wenn wir weiterhin unseren Besucher*innen Kunst und Kultur zugänglich und erlebbar machen wollen, und das ist ja eine zentrale Aufgabe von Museen, müssen wir aber mit einem gewissen Risiko solcher Anschläge umzugehen lernen ... Dafür gibt es Werkzeuge, ein holistisches Risikomanagement nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft steht da ganz im Vordergrund. Dieses beinhaltet auch eine möglichst genaue Ermittlung der betroffenen Werte, vom einzelnen Objekt über die Ausstellungsräume bis hin zur Gebäudehülle und darüber hinaus. Schließlich zählt die Museumsinsel als komplexes Ensemble auch seit 1999 zum UNESCO Welterbe.
Im Vergleich zu anderen berühmten Kunst-Übergriffen sind die Museen auf der Museumsinsel ja noch vergleichsweise glimpflich davon gekommen …
In der Tat – die Schäden vom 3. Oktober sind reversibel, aber der Vorfall hat natürlich eine Verletzlichkeit offengelegt, die wir mit vielen öffentlichen Einrichtungen teilen und mit der wir uns befassen müssen. Es war dem oder den Täter*innen möglich, mehr als 60 Kunstwerke zu beschmutzen. Eine direkte Folge des Anschlags war die Gründung einer speziellen SPK-Taskforce durch den Stiftungspräsidenten Hermann Parzinger. Gemeinsam mit Hans-Jürgen Harras, dem Sicherheitsbeauftragten der Staatlichen Museen zu Berlin, machen wir uns jetzt auf den Weg, neben den ohnehin bestehenden Sicherheitskonzepten ein ganzheitliches Risikomanagement in den Einrichtungen der SPK aufzubauen. Wir treffen uns ab sofort regelmäßig und arbeiten quer durch die gesamte Stiftung mit vielen Kolleg*innen an Lösungsansätzen.

Haben Sie und Ihr Team am Rathgen-Forschungslabor etwas aus den Vorfällen gelernt?
Wir haben auf jeden Fall beweisen können, dass das Rathgen-Forschungslabor auch als kleines Labor, das, wie der Wissenschaftsrat in seinen Strukturempfehlungen unlängst attestiert hat, nicht angemessen mit Personal- und Haushaltsmitteln ausgestattet ist, dennoch einen Beitrag in solchen Notfällen leisten kann. Über das in uns gesetzte Vertrauen auch bei der Aufklärung vergleichbarer Fälle in Deutschland freuen wir uns. Und wir haben auch gelernt, wie wichtig die Vernetzung und der Informationsaustausch mit anderen Einrichtungen, national und international, zum Thema Sicherheit ist. Noch im September dieses Jahres hatte ich auf einer Tagung des deutschen Museumsbundes zum Thema Sicherheit gesprochen, kurz danach waren wir dann selbst betroffen. Das Thema Sicherheit ist ein sich ständig ändernder Prozess, da wir es nicht mit einer statischen Bedrohungslage zu tun haben. Es gibt also noch viel zu tun, Konzepte sind ständig zu überprüfen und Risiken sollten ganzheitlich in den Blick genommen werden.
Das Rathgen-Forschungslabor
Als naturwissenschaftliche Einrichtung der Staatlichen Museen zu Berlin berät das Rathgen-Forschungslabor nicht nur dessen Sammlungen, sondern arbeitet mit nationalen und internationalen Partnern an kunsttechnologischen, archäometrischen und konservierungswissenschaftlichen Projekten zusammen. Dabei steht die materialanalytische Untersuchung von Museumsobjekten im Mittelpunkt. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte können allerdings auch naturwissenschaftliche Fragestellungen zur Denkmalpflege und zum besseren Verständnis sowie der Erhaltung archäologischer Stätten sein.