Curt Sachs, vermutlich 1934

Die Vertreibung des Curt Sachs

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Mit einer Gedenktafel und zwei Publikationen erinnert das Staatliche Institut für Musikforschung in seinem 100. Jubiläumsjahr an einen wichtigen Wegbereiter: Curt Sachs, Begründer der wissenschaftlichen Instrumentenkunde und ab 1919 Leiter der Sammlung alter Musikinstrumente – bis er 1933 wegen seiner jüdischen Herkunft seines Amtes enthoben und aus Deutschland vertrieben wurde.

Der große, von heller Holztäfelung und Wisniewskis organischer Architektur geprägte Konzertsaal des Staatlichen Instituts für Musikforschung ist nach ihm benannt, und zum 100. Jubiläum des Instituts wird nun auch eine Gedenktafel für den Namensgeber im Musikinstrumenten-Museum angebracht : Curt Sachs. Geboren 1881, Kulturwissenschaftler, Instrumentenkundler, Musikhistoriker. Aber wer war Curt Sachs eigentlich und warum sollte mit tiefem Respekt an ihn erinnert werden, wie die Plakette – hoffentlich für alle Zeiten – festschreibt?

 

Curt Sachs, vermutlich 1934
Curt Sachs, vermutlich 1934 © Aida, Madrid / SIMPK, Berlin: Re 8886
Peruanische Holzschelle, Seite aus Curt Sachs "Geist und Werden der Musikinstrumente (1929)"
Peruanische Holzschelle, Seite aus Curt Sachs "Geist und Werden der Musikinstrumente (1929)"
Curt Sachs an der Glasharmonika des Musikinstrumenten-Museums, 1920er Jahre
Curt Sachs an der Glasharmonika des Musikinstrumenten-Museums, 1920er Jahre © Musikinstrumenten-Museum Berlin SIM PK / Foto: Z. Kluger
Curt Sachs
Curt Sachs © Privatbesitz Martin Elste
Curt Sachs vor der Bibliothek seiner New Yorker Wohnung, Ende 1950er Jahre
Curt Sachs vor der Bibliothek seiner New Yorker Wohnung, Ende 1950er Jahre © SIMPK Berlin: Re 12 889

1917, als in Bückeburg das Fürstliche Institut für Musikwissenschaftliche Forschung gegründet wird, arbeitet Curt Sachs als Privatgelehrter ohne feste Anstellung; für das Bückeburger Institut wird er später den Vorsitz des Fachausschusses für Instrumentenkunde übernehmen. Der promovierte Kunsthistoriker mit großen musikwissenschaftlichen Neigungen hat zu diesem Zeitpunkt bereits einige seiner wichtigsten Schriften geschrieben: Von der „Musikgeschichte der Stadt Berlin bis zum Jahre 1800“ über das „Real-Lexikon der Musikinstrumente“ zu „Die Musikinstrumente Indiens und Indonesiens“. 

1919 habilitiert Sachs mit dem „Handbuch der Musikinstrumentenkunde“ an der Berliner Universität und wird ein Jahr später Leiter der Sammlung alter Musikinstrumente bei der Staatlichen Hochschule für Musik in Berlin-Charlottenburg, dem heutigen Musikinstrumenten- Museum. Neben der Sorge um Erhaltung und Darbietung des reichen und kostbaren Bestands von mehr als 3000 Objekten, bemühte sich Sachs erfolgreich um den Zugang weiterer Seltenheiten. Sein Bestreben war es aber vor allem, die Instrumente der Wissenschaft zugänglich und nutzbar zu machen. Dies tat er umfassend und innovativ, wie Martin Elste, Herausgeber des Sammelbandes „Vom Sammeln, Klassifizieren und Interpretieren“ zusammenfasst:

„Im Unterschied zu vielen seiner Kollegen beschritt Curt Sachs neue Pfade, in der Musikethnologie, der Musikinstrumentenkunde, hinsichtlich der Klassifizierung und, last but not least, der medialen Präsentation von Forschungsergebnissen: Er war die treibende Kraft hinter Schallplattenproduktionen von Alter Musik, zu einer Zeit, als diese nur ein Schattendasein fristete. 

Einige seiner Schriften haben lexikographischen Charakter, andere sind summarische, aber treffende Einführungen. Sie alle haben gemeinsam, dass Sachs in ihnen keine Kompositionen analysiert, sondern gemeinsame Charakteristika in den unterschiedlichen musikalischen Phänomenen herausarbeitet und sie im Sinne einer phänomenologischen Überschau systematisiert.“

Curt Sachs dachte groß und zusammenhängend: sowohl zeitlich (2000 Jahre zurück, wie seine Schallplattenserie zeigt) als auch universal, die ganze Welt der Musikinstrumente, später auch des Tanzes („Eine Weltgeschichte des Tanzes“) miteinander in Beziehung setzend.  Wenn man also einen Alexander von Humboldt der Musikwissenschaft suchte, könnte man ihn in Curt Sachs finden.

„Sachs war einer der vielseitigsten und produktivsten Musikologen, ein analytisch denkender und die gedankliche Synthese suchender Wissenschaftler. Seine Schrift ‚Geist und Werden der Musikinstrumente‘ (1929) bietet mit ihrem historisch-hermeneutischen Ansatz als eines der wichtigsten Beispiele der sog. Kulturkreislehre eine kulturgeografisch argumentierende, die universalgeschichtlichen Zusammenhänge betonende Chronologie der Musikinstrumente von der Steinzeit bis zum Mittelalter“ – so Martin Elste weiter in der Neuen Deutschen Biographie.

Und dann kam 1933  und die Vertreibung des Curt Sachs nahm ihren Lauf. Alfred Berner, ein Schüler von Sachs und nach dem 2. Weltkrieg Direktor des Musikinstrumenten-Museums, hat diesen in seinen letzten Monaten im Amt getroffen:

„Sachs war noch in der Sammlung tätig, als ich im Juli 1933 nach Berlin zurückkehrte und ihn alsbald dort aufsuchte. Doch er wusste natürlich, dass seines Bleibens nicht mehr lange sein würde, und ich spürte den Schmerz und die Verbitterung in ihm. Er hatte sich immer als Deutscher gefühlt, und Deutsch war seine ureigene Muttersprache. Und nun sagte er mir mit einer inneren Erregung, die ich nie vergessen werden, dass es unten im Vorraum der Hochschule einen Anschlag gäbe, auf dem stände, ‚wenn der Jude Deutsch spricht, dann lügt er.‘ […] Ein Mann, der uns auch sprachlich so viel gegeben hat, dessen anregende, anschauliche und stets glänzend formulierte Vorlesungen gesucht waren, musste jetzt einen solchen Satz hinnehmen, ohne sich ihm offen widersetzen zu dürfen.“

Sachs geht nach Paris, wo er mit Hilfe eines Rockefeller-Stipendiums und der Alliance Israélite Universelle am Musée d’Ethnographie du Trocadéro als wissenschaftlicher Mitarbeiter arbeitet. Seine Familie verbleibt zunächst in Berlin, wohin er 1935 für kurze Zeit noch einmal zurückkehrt. 1937 siedelt Familie Sachs nach New York über, wo Curt Sachs Lehrbeauftragter an der New York University wird. Er starb 1959 im Alter von 78 Jahren in New York. 

In der Publikation, die das Staatliche Institut für Musikforschung zur Erinnerung an Curt Sachs herausgibt, schreibt Annette Otterstedt zu den Auswirkungen des Antisemitismus  auf den Forscher Sachs und seine Arbeit folgendes:

 „Seine ungeheure Arbeitsleistung ist niedergelegt in zahlreichen Grundlagenwerken, wie sie kaum ein anderer Musikwissenschaftler vorzuweisen hat. Dennoch erscheint er zu seiner Zeit als ein Außenseiter und kaum ‚linientreu‘ in den Reihen der eigenen Kollegen. Dazu passt, dass er nach dem Krieg nicht nach Deutschland zurückkehrte. Seine Art der Wissenschaft und diejenige, wie sie dann in Deutschland praktiziert wurde, passten nicht zusammen.

Das Beispiel Curt Sachs zeigt aber auch, dass Juden, selbst wenn sie Hochleistungsgelehrte waren, auch vor der Nazi-Ära wenig Chancen hatten, und selbst wenn er nicht hätte emigrieren müssen, hätte er in dem damaligen antisemitischen Klima wohl schwerlich die Rolle eines Bahnbrechers einnehmen können.“

Seine Ideen und sein Werk kamen durch die Emigration zwar weiter in die Welt, für Deutschland aber gelte, so Otterstedt: „Wir haben die ‚große Chance Curt Sachs‘ leider vertan.“ Gerade diese „vertane Chance“ macht das heutige Erinnern umso wichtiger.

Zwei Publikationen des SIM zu Curt Sachs

2000 Jahre Musik auf der Schallplatte – Two Thousand Years of Music

Alte Musik anno 1930. Eine diskologische Dokumentation zur Interpretationsgeschichte.

Eine kritische Edition der 1930 von Sachs herausgegebenen Schallplattenreihe. Mit einem diskologischen Essay, Biografien der beteiligten Musiker und einer Diskographie, außerdem Faksimiles der verwendeten Notenausgaben und der die Originalausgabe begleitenden Aufsätze.

Vom Sammeln, Klassifizieren und Interpretieren. Die zerstörte Vielfalt des Curt Sachs

Aufsätze von Martin Elste, Frauke Fitzner, Gabrielle Forrest, Heike Fricke, Florence Gétreau, Ignace De Keyser, Renato Meucci, Andreas Meyer, Annette Otterstedt, Gabriele Rossi Rognoni, Markus Zepf und Curt Sachs selbst. Die behandelten Themen kreisen um die Museologie und die Musikinstrumentenkunde, um die Epochengliederung des musikalischen Barocks sowie Sachs und seine Zeitgenossen. Außerdem: Eine von Stefan Münnich erstellte, umfassende Bibliografie der Schriften von und zu Curt Sachs.

Am 23. Juni um 18 Uhr präsentiert Martin Elste im Curt-Sachs-Saal beide Bücher im Rahmen der 100. Jubiläumsfeier.