Vom deutschen Monolog zum Dialog auf Augenhöhe

News vom 10.11.2015

Was hat der Deutsch-Russische Museumsdialog gebracht? Eine Reihe zum zehnjährigen Jubiläum. Fragen an Manfred Nawroth, Kustos am Museum für Vor- und Frühgeschichte und Koordinator für die Russland-Projekte der Staatlichen Museen zu Berlin

Exponate der Ausstellung Bronzezeit - Europa ohne Grenzen in der Staatlichen Eremitage St. Petersburg (2013)
Ausstellung „Bronzezeit - Europa ohne Grenzen“ in St. Petersburg (2013) © SPK

Der Deutsch-Russische Museumsdialog unterstützt seit 2005 den Informationsaustausch über kriegsbedingt verlagerte Kulturgüter. Dr. Manfred Nawroth, Archäologe und Kustos am Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin, war seit Beginn der Öffnung der Fachkontakte nach der Wiedervereinigung als Experte dabei. Forschungsreisen und Grabungen führten ihn zudem nach Russland, Georgien und Kasachstan. Zurzeit koordiniert er die Russland-Projekte der Staatlichen Museen zu Berlin. Im Interview spricht er über gewachsene Netzwerke, die Arbeit in russischen Depots, und die Chancen digitaler Exponate.

Wissen Sie seit Gründung des Deutsch-Russischen Museumsdialogs nun besser, wo ehemalige Sammlungsbestände geblieben sind?

Manfred Nawroth: Der Deutsch-Russische Museumsdialog hat sich in den vergangenen 10 Jahren von einem deutschen Monolog tatsächlich zu einem Dialog auf Augenhöhe entwickelt. Verschiedene international beachtete Ausstellungsvorhaben, in deren Rahmen der Verbleib von kriegsbedingt verlagerten Objekten geklärt werden konnte, wurden vom Deutsch-Russischen Museumsdialog ideell unterstützt. Besonders wichtig ist das seit 2008 durch die Kulturstiftung der Länder durchgeführte „Transportlistenprojekt“. Zunächst wurden mehr als 8000 Dokumentseiten des „Akinscha-Koslow-Fonds“ digitalisiert, in eine Objektdatenbank eingegeben und ausgewertet. Durch diese Arbeit können wir nun gezielt nach bestimmten Gegenständen recherchieren, die 1945 nach Russland verbracht wurden. Dies ist ein immens wichtiger Schritt, um kriegsbedingt verlagerte Objekte wieder in den Fokus der Wissenschaft und der Öffentlichkeit zu bringen.  

Mit den Ausstellungen „Merowingerzeit“ (2007) und „Bronzezeit“ (2013) wurden von der SPK bereits zwei große Kooperationsausstellungen mit russischen Partnermuseen umgesetzt. Mit „Eisenzeit - Europa ohne Grenzen“ soll in den nächsten Jahren nun eine weitere Auflage zur Welt der Skythen, Kelten und anderer Völker folgen. Könnten Sie ohne die Bestände in St. Petersburg und Moskau die Geschichte dieser Zeit adäquat erzählen?

„Merowingerzeit“ und „Bronzezeit“ wurden vor allem deshalb so erfolgreich umgesetzt, weil in diesem Zusammenhang die aus Berlin nach Russland verlagerten Objekte jener Epochen umfassend lokalisiert und publiziert wurden. Wir dehnen diese Zusammenarbeit nun auf die Eisenzeit aus. Mit der Ausstellung werden wir beispielsweise alle Goldgegenstände aus dem Vorkriegsbestand des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte in Russland öffentlich präsentieren können. Es ist uns auch gelungen, heute auf verschiedene Museen in Berlin, Moskau und St. Petersburg verteilte Fundkomplexe in den Ausstellungen wieder zusammen zu führen. Dies ist eine wichtige Grundlage für eine moderne wissenschaftliche Erschließung der Objekte, von denen in Berlin zahlreiche wichtige Stücke fehlen. Ein Beispiel sind die bereits im 19. Jahrhundert geborgenen Goldfunde aus einem Grab bei Dieskau in Sachsen-Anhalt. Heute liefern moderne Ausgrabungen dort neue Erkenntnisse. Die nach Russland verlagerten Goldobjekte spielen dabei eine zentrale Rolle und lassen den schmerzlichen Verlust auch aktuell erkennen.

Spüren Sie bei den Vorbereitungen, dass Sie nun auf gereifte Netzwerke zurückgreifen können?

Die Zusammenarbeit zwischen den deutschen und russischen Museen hat sich in den letzten Jahren sehr intensiviert. Wir haben eine vertrauensvolle Basis zwischen den Fachleuten geschaffen. Dies ist sozusagen das „Rückgrat“ für eine erfolgreiche Umsetzung von Projekten – auch in politisch schwierigen Zeiten. Die Vielzahl der neu initiierten Kooperationen, die nun auch im Kunstbereich stattfinden können, zeigt dies deutlich. Das ist auch in der konkreten Arbeit spürbar. Die deutschen Fachvertreter erhalten im Vergleich zu früheren Projekten relativ schnell und unbürokratisch Zugang zu den Objekten in russischen Museen. Nur so können wir die Arbeiten vor Ort durchführen und die Gegenstände fotografieren, beschreiben, vermessen und wiegen, damit sie in Berlin in die Objektdatenbanken eingegeben werden können. Solche Schritte bilden die Grundlage einer wissenschaftlichen Neubewertung. Den Zugang ermöglichen uns die russischen Partner, die auch bei der Dokumentation aktiv mitarbeiten.

Gibt es Pläne, den Dialog auch schon auf der Ebene des museologischen Nachwuchses zu fördern?

Die deutsch-russische Zusammenarbeit wird seit Jahren von erfahrenen Mitarbeitern getragen. Um auch zukünftig gemeinsam die Arbeit fortzuführen, ist es natürlich notwendig, jüngere Generationen von Wissenschaftlern und Museologen in die Arbeit einzubinden. Dazu integrieren wir sie fortlaufend auf beiden Seiten in Projekte. Wir nutzen auch andere Instrumente zum Austausch von Fachleuten, wie z.B. Stipendien des Deutschen Akademischen Austauschdiensts. Damit führen wir Nachwuchskräfte an die Zusammenarbeit heran. Die Staatlichen Museen zu Berlin haben ein eigenes Stipendiaten-Programm. Im Rahmen dessen sind auch jüngere russische Spezialisten bis zu drei Monate an unseren Einrichtungen tätig. So können sie eine „emotionalere“ Bindung zur deutschen Seite aufbauen. Das gegenseitige persönliche Verständnis ist für die Zusammenarbeit das A und O.

Bietet die Digitalisierung auch Chancen für die Arbeit mit verlagerten Sammlungsteilen?

Die Digitalisierung von Kulturgütern wird zukünftig eine immer wichtigere Rolle spielen. Dies zeigen uns deutlich die Zerstörungen von Denkmälern im Nahen Osten. Digitalisiert blieben sie zumindest „virtuell“ erhalten. Auch für die kriegsbedingt verlagerten Gegenstände ergeben sich neue Chancen: Beschreibungen und Fotos lange verlorener Objekte können wir in Datenbanken einspeisen und so wieder in die Dokumentationssysteme und den internationalen wissenschaftlichen Kreislauf bringen. Ein gutes Beispiel ist die 3D-Digitalisierung. Wir haben beispielsweise den in Russland lagernden Eberswalder Goldschatz erstmals dreidimensional eingescannt. Mit den Daten haben wir eine neue Basis für die wissenschaftliche Arbeit. Ausstellungen lassen sich so auch anders konzipieren. Sind heute Objekte aus einem Fundkontext noch auf mehrere Museen verteilt, könnten wir sie – zumindest digital – künftig auch wieder in Deutschland präsentieren. Auch die Vasen der Antikensammlung oder die Skulpturen Donatellos wären durch eine 3D-Digitalisierung virtuell wieder in einer Berliner Ausstellung präsent.

Die Fragen stellte Silvia Faulstich

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