Dietrich Wildung, bis 2009 Direktor des Ägyptischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin

Nofretetes lange Reise

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Die Einheit - ein Staffellauf. Dietrich Wildung über gemeisterte Etappen und große Pläne auf der Museumsinsel.

Am 9. November 1989 rief mich meine Frau um 21.30 Uhr aus München zu Hause in der Fasanenstraße an: „Du bist zu Hause?“ „Ja, warum soll ich nicht zu Hause sein?“ „Weißt du nicht, was bei euch los ist? Mach’ mal das Fenster auf. Die Mauer ist offen.“ Ich bin raus auf den Balkon und hörte die Hupkonzerte auf dem Kudamm.

Da war natürlich klar, dass ein Weiterwurschteln in der Charlottenburger Idylle nicht mehr möglich war, dass jetzt etwas völlig Neues, ungeheuer Faszinierendes beginnen könnte. Ich hatte seit meiner Studienzeit, seit den frühen Sechzigerjahren einen sehr guten Kontakt zu den Berliner Kollegen im Ostteil der Stadt. Zur Akademie der Wissenschaften, zu den Kollegen aus der Humboldt-Universität und vor allem zu den Kollegen auf der Museumsinsel. Für einen Ägyptologen ist Berlin weltweit neben Paris die erste Adresse, vor allem der damalige Osten der Stadt: die Archive, die Bibliotheken, die Sammlungen. Vor dem Hintergrund eines sehr guten Verhältnisses zu den Ost-Berliner Kolleginnen und Kollegen waren die ersten Schritte also relativ einfach.

Es war zweierlei klar: Dass die Sammlungen so schnell wie möglich wieder zusammengeführt werden müssen und dass diese Zusammenführung nur auf der Museumsinsel stattfinden kann. Diese klare Aussage meinerseits war etwas, das mir über Jahre unerwartete Schwierigkeiten bereitet hat. Denn in der Nachkriegszeit hat sich das Ägyptische Museum in Charlottenburg dank Nofretete zu einem Identifikationsfaktor des Westens entwickelt. Ich habe völlig unterschätzt, wie stark Nofretete nach dem Mauerbau zu einem Teil der West-Berliner Identität geworden war. Der damals über 1.000 Mitglieder zählende Freundeskreis des Ägyptischen Museums war ja ein rein West-Berliner Club! Und als ich denen in unserer Hauszeitschrift eröffnete, dass durch die Öffnung der Berliner Mauer nun endlich die Möglichkeit gegeben ist, die Rückkehr des Museums auf die Museumsinsel vorzubereiten, gab es einen Sturm der Entrüstung.

Dietrich Wildung, bis 2009 Direktor des Ägyptischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin
Dietrich Wildung © SPK / Werner Amann
Mittlerer Sarg des Pa-es-tenfi aus Theben, ÄM 51, Spätzeit, ca. 664-332 v. Chr.
© Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / Sandra Steiß

Dietrich Wildung

Geboren 1941 in Kaufbeuren
Von 1989–2009 Direktor des Ägyptischen Museums (West-Berlin), später des vereinigten Hauses

Schrittweise habe ich dann versucht, meine West-Berliner – vor allem ältere Persönlichkeiten – an die Insel heranzuführen. Ich habe die abendlichen Vorträge von Charlottenburg ins Magnus-Haus gegenüber vom Pergamonmuseum verlegt. Doch die Leute haben zuerst geschimpft: Da gibt es ja nicht einmal eine Straßenbeleuchtung! Was ist das für ein finsteres Loch! Allmählich kamen sie, aber es war ein zäher, jahrelanger Prozess.

Die Kollegen in Ost und West haben dagegen bald schon eine eingeschworene Gemeinschaft gebildet – Karl-Heinz Priese, der Direktor des Museums im Osten, und ich sind immer zusammen aufgetaucht, als die ägyptischen Zwillinge. Es war uns klar, dass eine Rückkehr nur ins Neue Museum stattfinden kann, und weil alle an einem Strang zogen, gingen die Planungen für den Wiederaufbau und das Konzept für das Neue Museum unglaublich zügig über die Bühne. Trotzdem hat das alles zehn Jahre meiner Arbeitszeit in Anspruch genommen, zusammen mit dem Architekten David Chipperfield.

Die Planungen gingen aber auch weit über das Neue Museum hinaus. Es hatte schon vor dem Mauerfall Überlegungen gegeben, wie man die Museumsinsel wieder zu etwas Integralem machen könnte. Max Kunze, der Direktor des Pergamonmuseums, Arne Effenberger, der Direktor für Spätantike und Byzantinische Kunst, und mein Ägyptenkollege Karl-Heinz Priese hatten den Plan, dass die einzelnen Museen sich viel stärker vernetzen sollten und als ich nach dem Fall der Mauer dazustieß, gründeten wir eine „AG-Arch“. In dieser „Arbeitsgemeinschaft Archäologie“ hat sich die Idee entwickelt, vom Bode-Museum über das Pergamonmuseum und das Neue Museum bis zum Alten Museum eine Verbindung zu schaffen, nicht nur konzeptionell, sondern auch architektonisch. Eines Tages fiel mir der Terminus „Archäologische Promenade“ ein und dieser Terminus ist seither Teil des Masterplans der Museumsinsel.

Wenn Sie heute ins wiederaufgebaute Neue Museum gehen, ins Untergeschoss, dann sehen Sie im Anschluss an den ägyptischen Hof mit dem Thema „Jenseits und Ewigkeit“ eine Treppe, die vom Untergeschoss noch einmal hinunterführt und an einer großen, heute verschlossenen Tür endet. Von dieser Tür wird es künftig weitergehen – ins Pergamonmuseum und Bode-Museum. Der Plan ist: vom Alten Museum über das Neue Museum, über das Untergeschoss des Pergamonmuseums, dann unter der S-Bahn durch, wo ein großer Saal zum Thema Verkehrsverbindungen in der Antike entstehen wird.

Es wird möglich sein, die gesamte Antike in einem Durchgang zu durchwandern. Und jeder der Räume hat ein Thema, das von den verschiedenen antiken Kulturen dargestellt wird. Jahrtausende treffen sich in diesen Räumen unter einem thematischen Stichwort. Die Kooperationsbereitschaft zwischen den einzelnen Museen war toll. Das war etwas, was die Jahre nach der Vereinigung geprägt hat.

Mit dem Umzug der Nofretete ins wiederaufgebaute Neue Museum habe ich nicht bis zum Oktober 2009 warten wollen. Ich habe deshalb in Abstimmung mit Herrn Dube und später mit Peter-Klaus Schuster eine Zwischenstation im Alten Museum ab August 2005 arrangiert. Und um es noch ein bisschen schneller zu machen, haben wir Nofretete Anfang 2005 für einige Monate ans Kulturforum gebracht. Als die Nofretete dafür Charlottenburg im Februar des Jahres 2005 verließ, kam der zweite, aber auch der letzte Aufschrei meiner Freunde. Aus West-Berlin. Das Museum in Charlottenburg macht dicht! Furchtbar!

Dieser Punkt ist wichtig, denn er zeigt, dass die Animositäten zwischen den beiden Teilen der Stadt sehr groß waren. Ich würde fast sagen: Die West-Berliner haben dem Osten die Nofretete nicht gegönnt. Das hat sich im Lauf der Jahre gelegt; heute ist die Museumsinsel für alle Berliner wieder der einzig stimmige Ort für das Ägyptische Museum.

Ägyptisches Museum und Papyrussammlung

Die eindrucksvolle Sammlung des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung ist im Neuen Museum zu bestaunen. Sie umfasst Meisterwerke unterschiedlicher Epochen Altägyptens: Kunstvolle Statuen, farbige Reliefs und filigrane Objekte der Kleinkunst, empfindliche Papyri, tonnenschwere Steinsarkophage sowie monumentale Werke der ägyptischen Architektur legen Zeugnis von 3000 v. Chr. bis in die Zeit der Römer ab. Neben der weltberühmten Büste der Königin Nofretete, deren Bemalung sich seit der Amarna-Zeit ohne Restaurierung erhalten hat, sind die Porträtköpfe der Königsfamilie und der Mitglieder des Königshofes einzigartig.

Website des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung