Hier begreife ich, was es heißt, Mensch zu sein

09.04.2019Hier begreife ich, was es heißt, Mensch zu sein

Das Staatliche Institut für Musikforschung mit dem Musikinstrumenten-Museum geht neue Wege der Vermittlung – Conny Restle und Thomas Ertelt über klingende Objekte, Freelancer Beethoven und den Parkplatz.

Die Fragen stellte Ingolf Kern

Conny Restle und Thomas Ertelt
Conny Restle und Thomas Ertelt © SIMPK / Jörg Joachim Riehle

Der Digitale Museumsguide im Musikinstrumenten-Museum des Staatlichen Instituts für Musikforschung ist ein Renner. Das Haus neben der Berliner Philharmonie wird auf völlig neue Weise erfahrbar, und es wird auch jenseits der vielen Konzerte im Haus zu einem klingenden Museum. Am 5. Mai 2019 startet dann das multimediale Projekt „Magische Musikinstrumente (und wo sie zu finden sind)“, das von der Berliner Kulturverwaltung gefördert wurde. Dahinter verbirgt sich eine Kinder- und Erwachsenentour in fünf Sprachen, die die Magie historischer Instrumente erklären soll. Grund genug für ein Gespräch mit Conny Restle, Direktorin des Musikinstrumenten-Museums, und Thomas Ertelt, Direktor des Staatlichen Instituts für Musikforschung, über Wege der Öffnung.

Das Musikinstrumenten-Museum steht vor einer Neubestimmung. Neue Vermittlungswege, andere Zugänge, modernere Ansprache der Besucherinnen und Besucher. Wohin wird der Weg führen?

Conny Restle: Die Dauerausstellung des Museums stammt aus dem Jahr 1984, als das Haus eröffnet wurde. Heute haben wir dreimal so viele Objekte in der Schausammlung wie damals. Und es gibt neue Erkenntnisse und Erfahrungen in der Vermittlungsarbeit und Museumspädagogik. Wir sind seit einem Jahr dabei, eine Neukonzeption zu erarbeiten, wobei wir die positiven Aspekte der jetzigen Ausstellung schon beibehalten wollen, aber statt der eines chronologischen Bilderbogens viel mehr auf die Zusammenhänge eingehen werden. Wie hat sich die höfische Musik entwickelt, wie die bürgerliche Musikkultur des 19. Jahrhunderts, welchen Weg hat die Filmmusik genommen. Das sind Themen, die wir behandeln möchten. Ich denke, dass wir eine Kombination aus Chronologie und Szenographie haben werden. So etwas gibt es in vergleichbaren Häusern noch nicht.

Der digitale Museumsguide ist auf einem Smartphone geöffnet.
Digitaler Museumsguide des Musikinstrumenten-Museums © SIMPK / Anne-Katrin Breitenborn

Sie haben von neuen Erkenntnissen in der Vermittlungsarbeit gesprochen. Was meinen Sie damit?

Restle: Wenn wir jüngere Besucher für uns gewinnen wollen, dann müssen wir sehen, wie selbstverständlich sie mit Tablets oder Smartphones umgehen. Unser Digitaler Museumsguide, entwickelt von dem jungen Berliner Startup-Unternehmen shoutr labs, setzt genau da an. Vieles, was wir an Informationen über unsere Sammlung geben können – Tonbeispiele, Patente, Dokumente, Einblicke in Werkstätten von Instrumentenbauern – lässt sich mit diesem webbasierten Guide abrufen. Jeder Besucher kann uns seine Ideen, seine Eindrücke mitteilen und auch Fragen zu Objekten stellen, die von unseren Wissenschaftlern so schnell wie möglich direkt beantwortet werden.

Reicht so ein Guide als Instrument der Vermittlung aus?

Restle: Natürlich nicht. Unser Vermittlungsprogramm ist sehr breit. Wir müssen die Faszination, die Freude an den Objekten vermitteln. Das tun wir schon lange erfolgreich mit Konzerten und Workshops. Ich glaube, dass das Museum einer der wenigen Orte ist, wo wir erfahren können, was es bedeutet, Mensch zu sein. Es geht hier nicht nur um Arbeit, Essen und darum, einen Tag zu überstehen, sondern darum, was es bedeutet, mit einem Instrument umzugehen, also Musik zu machen, kreativ zu sein. Auf der Seite der Instrumente ist da zum einen die Frage des Materials. Wo komme ich denn heute noch mit so vielen organischen Materialien in Berührung? Es geht um seltene Hölzer und Elfenbein. Und dann sind die Instrumente zum Spielen gebaut worden, was vielfältige Emotionen auslöst. Das Musikinstrumenten-Museum wird attraktiv bleiben, wenn wir nicht nur zurückschauen, sondern auch fragen, wie Instrumentalmusik entsteht. Wie ist sie früher entstanden und wie entsteht sie heute? Und, das darf man nicht vergessen, wir sind durch das Kulturforum herausgefordert. In ein paar Jahren wird das Museum des 20. Jahrhunderts der Nationalgalerie eröffnet, die Philharmonie verändert sich gerade und auch die Staatsbibliothek wird in fünf oder zehn Jahren vom Angebot her anders strukturiert sein.

Thomas Ertelt: Wir sind ein Forschungsinstitut für Musik, und die Musikwissenschaft gilt traditionell als Orchideenfach. Gleichwohl sind wir an einem Ort, wo das Musikleben, in das ja viel Geld fließt, pulsiert. Ich denke, dass sich Musikwissenschaft und Konzert gut zusammendenken lassen und wir mit unserem Museum das ideale Forum haben, dies unter Beweis zu stellen. Vorträge allein braucht heute niemand mehr, aber Experimente und die Lust am Ausprobieren eben schon.

Heißt das, dass die Forschungsarbeit noch vielmehr im Museum präsent sein wird, das Museum eben auch zu einer noch größeren Bühne des Instituts wird?

Ertelt: So ist es. Wir wollen nicht nur mit unseren immer noch sehr erfolgreichen Bänden zur „Geschichte der Musiktheorie“ wahrgenommen werden, die in Fachkreisen hohes Ansehen genießen und für die wir keine Werbung machen müssen. Uns geht es auch um breitere Kreise von Musikinteressierten. Diese Zielgruppe können wir nicht mit einem schönen Traktat von Guido von Arezzo erreichen, sondern mit Veranstaltungen zur Aufführungspraxis, zur Interpretation von Musik, zu Fragen von Transparenz und Tempi. Oder denken Sie an die Experimente zur Wahrnehmung in unserem „Virtuellen Konzertsaal“. Unsere Idee ist, im Musikinstrumenten-Museum einen Hör-Raum oder ein Hör-Labor einzurichten, wo wir dauerhaft die Ergebnisse solcher Forschung präsentieren können.

Der Eingang zum Musikinstrumenten-Museum
Besuchereingang zum Musikinstrumenten-Museum an der Ben-Gurion-Straße © SPK / Benne Ochs

Sie publizieren viel. Erinnert sei nur an den Briefwechsel der Wiener Schule oder die Bibliographie des Musikschrifttums.

Ertelt: Ja, es geht weiter und es läuft gut. Bei der Bibliographie des Musikschrifttums (BMS online), sei nur erwähnt, dass wir seit Jahren zugleich der Hauptlieferant für unseren Konkurrenten und Partner RILM (Répertoire Intenational de Littérature Musicale) sind. Wir haben stellen dem RILM mehr Input zur Verfügung, noch vor China und deutlich vor den Vereinigten Staaten. Das ist alles andere als selbstverständlich.

Lassen Sie uns noch auf zwei Jubiläen zu sprechen kommen, die Ihr Haus in Atem halten werden: Bauhaus 2019 und Beethoven 2020. Was ist da geplant?

Ertelt: Am 5. September 2019 werden Mitglieder des Deutschen Symphonie-Orchesters im Curt-Sachs-Saal Schönbergs „Pierrot Lunaire“ und Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“ aufführen. Mit Schönberg fand am Bauhaus eine aktive Hinwendung zur zeitgenössischen Musik statt, Strawinsky wurde 1923 im Rahmen der Bauhauswoche aufgeführt, in der neben ihm auch andere Größen der Moderne wie Ferruccio Busoni und Paul Hindemith vertreten waren.  Außerdem sind wir im Gespräch mit der Kunstbibliothek, die ja eine Ausstellung zu Moholy-Nagy und der Neuen Typographie vorbereiten. Moholy hat bestimmte Vorstellungen entwickelt, die sich auf übergreifende Tendenzen bei der Mechanisierung der Künste beziehen. Es gab zum Beispiel Experimente mit Schallplatten, die live geritzt und zu Gehör gebracht wurden. So wie das heute DJs tun. Da kommen wir ins Spiel und können aus dem Teilnachlass des Musikkritikers Hans Heinz Stuckenschmidt, der mit Moholy gut bekannt war, einiges darüber beisteuern, wie Musik in die anderen Künste hineinspielt.

Ausstellungsraum des Musikinstrumenten-Museums
Das Innere des Musikinstrumenten-Museums © SPK / Tina Willim

Und Beethoven?

Restle: Beethoven hat sich intensiv auch mit Instrumenten auseinandergesetzt. Er ist als Geiger und Pianist und Organist in Bonn erzogen worden. Wir haben hier glücklicherweise in der Sammlung drei spielbare Hammerflügel, die sehr gut in diese Zeit passen. Dann gibt es die Bläsermusik. Beethoven hat als junger Mann in Wien großartige Bläsermusik für höfische Ensembles geschrieben. Außerdem hatte er viele Bekannte, wie einen böhmischen Mandolinenspieler, für den er auch Kompositionen geschrieben hat. All dies wird in unserem Programm auftauchen. Und dann gibt es da noch das Beethovensche Streichquartett: Es sind vier Streichquartett-Instrumente, die Beethoven vom Fürsten Lichnowsky geschenkt bekommen hat. Diese Instrumente befinden sich seit der Gründung des Beethoven-Hauses in Bonn als Dauerleihgabe dort. Wir werden diese Instrumente aus unserem Bestand für rund sechs Wochen in Berlin zeigen, und sie werden auch bei einem Konzert zum Einsatz kommen.

Aber ich habe auch von einer Beethoven-Lounge gehört.

Restle: Das ist unser Vermittlungsprogramm „B and me“. Diese Lounge bietet viele Möglichkeiten, sich mit Beethoven auseinanderzusetzen. Es wird einen Komponistenschreibtisch als Selfie-Motiv geben, eine Tafel, auf die man schreiben kann, warum man Beethoven liebt oder hasst, eine Multimediastation, Kompositionsworkshops usw. Es geht uns darum, Hemmschwellen abzubauen. Sich mit Musik auseinanderzusetzen, macht Spaß. Man muss kein Genie dafür sein. Außerdem war ja Beethoven aus heutiger Sicht ein Freiberufler. Was das in der damaligen Zeit bedeutet hat, auch das wollen wir vermitteln.

Kommen zu Ihnen eigentlich vor allem Kinder und Jugendliche, die schon musikalisch vorgebildet sind?

Restle: Das ist sehr unterschiedlich. heutzutage ist es ja oft so, dass der Musikunterricht in der Sekundarstufe so gut wie gar nicht mehr stattfindet. Demzufolge müssen wir viel auffangen. Ich merke immer wieder, wieviel Begeisterung in den Augen der Kinder und Jugendlichen ist, wenn sie erklärt bekommen, wie Musik entsteht und wie die verschiedenen Instrumente funktionieren. Und welches Gefühl es ist, einmal eine Geige in der Hand zu haben.

Eine Frage zum Kulturforum. Wie vernetzen Sie sich – zum Beispiel mit den Berliner Philharmonikern?

Ertelt: Wir haben ja nicht nur eine gedankliche, sondern eine echte Verbindungstür zur Philharmonie. Die möchten wir eigentlich noch viel mehr öffnen. Gerade auch, damit wir noch mehr im Bereich von Bildung und Vermittlung gemeinsam auf die Beine stellen können. Auch innerhalb der Stiftung Preußischer Kulturbesitz kann man viel machen. Wir haben zum Beispiel in diesem Jahr auch noch eine Ausstellung zur Geschichte des Bandoneon mit dem Ibero-Amerikanischen Institut. Ein nächstes Projekt mit dem IAI könnte vielleicht der Triumphzug der Drehorgel sein. Die hat ja auch einen Export aus Europa nach Mexiko erlebt, und wird dort noch heute gespielt. Und wenn unsere braven Vorstellungen von Musikkultur auf die transkulturellen Erfahrungswelten der IAI-Kollegen treffen, wird es sicher spannend.

Restle: Wir sollten am Kulturforum strategischer und nicht nur punktuell denken. Wer eine Ausstellung plant, bezieht die anderen Sammlungen und Archive und Bibliotheken gleich mit ein. Ich bin guten Mutes, dass wir das innerhalb der Stiftung erreichen werden.

Haben Sie auch noch einen Traum, Herr Ertelt?

Ertelt: Und ob! Ich möchte gern, dass wir auch visuell im Stadtbild, als Teil des Kulturforums sichtbar werden. Wenn Sie jetzt hierherkommen, dann sehen sie diese schöne Buchenhecke und dahinter einen sehr nützlichen, aber doch hässlichen Parkplatz. Mein Traum wäre, dass das alles wegkommt und die abendlichen Passanten, die Besucher der Philharmonie merken, dass es hier etwas zu entdecken gibt.

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