Lars-Christian Koch: Von Indien ins Berliner Schloss

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Wie gut kann man andere Kultur verstehen? Wie sehr kann man sich in sie hineinversetzen? Das sind nicht nur die Fragen, die für die Arbeit des Humboldt Forums von höchster Wichtigkeit sein werden, sie waren es auch stets für den beruflichen Lebensweg von Lars-Christian Koch. Fast als höhere Fügung erscheint es da, dass er im März zum ersten Sammlungsdirektor des Humboldt Forums berufen wurde. Koch ist seit 2003 Abteilungsleiter für Medien- und Musikethnologie, Visuelle Anthropologie und das Phonogramm-Archiv am Ethnologischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin, dessen Gesamtleitung er außerdem Ende 2017 kommissarisch übernommen hat. Nun wird er Direktor des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin im Humboldt Forum.

Deren Sammlungen will er so präsentieren, dass sie die Menschen faszinieren, aber auch auf aktuelle Fragen Antwort geben. Geboren 1959 in Peine, hat Koch sein Studium in den Fächern Ethnologie und Musikwissenschaft in Bonn absolviert – und beide miteinander verschmolzen. 

 

Lars-Christian-Koch © Max Zerrahn
Blick in die von Koch kuratierte Ausstellung “[Laut] Die Welt hören” © Max Zerrahn
Gibt noch bis 2019 mit Ausstellungen einen Vorgeschmack auf das Humboldt Forum: Die Humboldt Box © Max Zerrahn
Blick in die von Koch kuratierte Ausstellung “[Laut] Die Welt hören” © Max Zerrahn
Blick in die von Koch kuratierte Ausstellung “[Laut] Die Welt hören” © Max Zerrahn

Als seine besondere Vorliebe stellte sich der asiatische Raum und hier speziell Indien heraus. Schon bevor er erstmals das Land seiner Träume bereiste, entschloss sich Koch dazu, voll und ganz in dessen musikalisches Universum einzutauchen. Sein Ziel: die theoretischen Hintergründe und die praktische Arbeit zu vereinen: „Ich wollte richtig drin stecken!“ Die Musik hatte ihn schon vorher begeistert: Koch spielte in einer Kirche Orgel und außerdem in einer Rockband. Jetzt sollte es die Sitar sein. In Bonn fand er tatsächlich eine indische Lehrerin, die ihm Unterricht auf dem wohl bekanntesten indischen Instrument erteilte und nicht nachtrug, dass er ihre sonstigen Bildungsangebote – zum Beispiel in Sachen indischer Sprachen und Küche – energisch ablehnte. „Sanskrit lernte ich längst an der Uni und Kochen war damals für mich überhaupt nicht interessant“, sagt er und lacht über seine jugendliche Ahnungslosigkeit.

Auf Studienreisen erfuhr er dann, wie eng in diesem Land die verschiedenen Lebensbereiche miteinander verbunden sind. In Indien nahm er Musikunterricht, war sogar mit einheimischen Musikern auf Konzerttourneen – und durfte in Kalkutta überdies einem Instrumentenbauer über die Schulter schauen. Das traditionelle Lehrer-Schüler-Verhältnis bringt es mit sich, dass man sich oft im Haus des Lehrers aufhält, gemeinsam isst und abends zusammen kocht. Das heißt, Lars-Christian Koch wollte Indien kennenlernen und sich auf der Sitar fortbilden – und saß plötzlich essend und trinkend mitten in einer Großfamilie? „Ja“, strahlt er. „Genau das ist es, was wir Ethnologen machen! Wir wollen das Ganze verstehen.“ Der Gesamtkontext ist für die Interpretation der Details wesentlich, und der Blick darf nicht bloß von außen, sondern muss desgleichen von innen erfolgen: „Man muss intensiv in die Kulturen eintauchen. Dabei hilft es, wenn man länger bei und mit den Leuten lebt und echtes Vertrauen zu ihnen aufbauen kann.“

Wie die auf diesem Weg erhaltenen Informationen, wie Ton und Bildaufnahmen im Archiv behandelt werden, ist ein zentrales Kriterium für die Ausstellungskonzeption des Humboldt Forums. Im Idealfall nämlich sind alle Partner in „kooperativer Arbeit“ verbunden, wie Koch dies nennt, der in gemeinsamer Abstimmung zu „geteiltem Wissen“ kommen will. Was er damit genau meint, zeigt die aktuelle Ausstellung „[laut] Die Welt hören“ in der Humboldt Box. In einem schmalen Raum etwa ist gar nichts zu vernehmen, obwohl hier eigentlich alte Aufnahmen von Heilungszeremonien der Navajos vorgeführt werden sollten. Das aber lehnten die kontaktierten Vertreter dieses indigenen Stammes ab. Die ihnen heiligen Klänge nämlich dürften nur vor Eingeweihten abgespielt werden. Doch waren sie einverstanden damit, dass diese auch künftig vom Ethnologischen Museum aufbewahrt werden. „Wer darf wessen Klänge aufzeichnen, aufbewahren und weiterverwenden?“ – das ist die entscheidende Frage für die von Koch kuratierte Ausstellung. Darin geht es auch um Leitbegriffe wie Provenienzforschung, Kontextualität und immaterielles Kulturerbe.

Töne nämlich kann man nicht ergreifen, wohl aber begreifen. Das dürfte das Humboldt Forum zu dem pulsierenden „Ort der Debatte“ machen, den sich die Gründungsintendanten wünschten, und Lars-Christian Koch ist glücklich über das breite thematische Spektrum, das er dank der Archivschätze, der Größe des Gebäudes und der Kapazitäten für neue Erwerbungen wird abdecken können. Er will die einzelnen Bereiche stärker miteinander verzahnen, dem Haus eine stabile Identität geben und in Sachen Präsentation so etwas wie Zukunftsmusik anstimmen: „Ich möchte, dass das Humboldt Forum mehr als ein Museum wird – es soll mit seinem Programm darüber hinausgehen!“