Zurück für die Zukunft: Die Simon-Schwestern in Berlin

Artikel

Lesezeit: ca.  min

Der Name jenes Mannes, dem Berlin die Büste der Nofretete und vieles mehr verdankt, ist weitgehend in Vergessenheit geraten – das neue Eingangsgebäude der Museumsinsel soll das ändern. Und auch Chris Simon, eine amerikanische Filmemacherin, möchte die Geschichte ihres Urgroßvaters James mit einem Film wieder in Erinnerung rufen. Wir haben sie und ihre Schwester Pam im November 2018 zu einem Baustellenrundgang getroffen

Dienstagvormittag im November 2018, Deutschland, Berlin-Mitte, Museumsinsel: Die beiden Amerikanerinnen Pam und Chris Simon sind doch etwas aufgeregt. Gleich betreten sie zum ersten Mal die kurz vor der Schlüsselübergabe stehende James-Simon-Galerie. Erst noch die Bauhelme aufsetzen und dann geht es auch schon los. Rein in das neue Mittelstück des David-Chipperfield-Dreiklangs (Neues Museum – James-Simon-Galerie – Haus Bastian), das ab Juli 2019 die Besucherströme der Museumsinsel in komfortable und geordnete Bahnen lenken soll. 

 

Die fast fertige James-Simon-Galerie kurz vor der Schlüsselübergabe im November 2018
Die fast fertige James-Simon-Galerie kurz vor der Schlüsselübergabe im November 2018 © SPK
Ralf Nitschke, Bauplaner bei den Staatlichen Museen, führt Chris (mitte) und Pam Simon (rechts)
Ralf Nitschke, Bauplaner bei den Staatlichen Museen, führt Chris (mitte) und Pam Simon (rechts) © SPK
Die Simon-Schwestern und Ralf Nitschke auf dem Weg ins Obergeschoss
Die Simon-Schwestern und Ralf Nitschke auf dem Weg ins Obergeschoss © SPK
Hinten links: Die Gedenkinschrift für den Urgroßvater James Simon
Hinten links: Die Gedenkinschrift für den Urgroßvater James Simon © SPK
Chris Simon hält den Moment mit dem Smartphone fest
Chris Simon hält den Moment mit dem Smartphone fest © SPK
Pam Simon vor der Inschrift für ihren Urgroßvater James
Pam Simon vor der Inschrift für ihren Urgroßvater James © SPK
Hier wird bald das Museumscafé einen wunderbaren Ausblick bieten
Hier wird bald das Museumscafé einen wunderbaren Ausblick bieten © SPK
Die Simon-Schwestern sind begeistert von dem neuen Eingangsgebäude der Museumsinsel
Die Simon-Schwestern sind begeistert von dem neuen Eingangsgebäude der Museumsinsel © SPK
Chris Simon vor dem Panoramafenster im Sockelgeschoss
Chris Simon vor dem Panoramafenster im Sockelgeschoss © SPK
Und zuguterletzt ein Blick ins Auditorium
Und zuguterletzt ein Blick ins Auditorium © SPK

Ralf Nitschke, Leiter der Stabstelle Bauplanung bei den Staatlichen Museen zu Berlin, führt durch das neue Haus, erzählt von dem Beton höchster Qualität, aus dem es gebaut wurde und dem sandigen Untergrund, der es doch zu einem kleinen Wunder mache, dass hier überhaupt gebaut wurde – was auch erst nach dem Einbringen von einem komplizierten Stützensystem möglich war.

Diese Schwierigkeiten liegen zum Glück in der Vergangenheit: Die James-Simon-Galerie ist fertig gebaut, nur noch die Inneneinrichtung fehlt. Vorbei an den Ticketschaltern in spe im Erdgeschoss geht es die Treppe hoch in die Beletage: Hierhin führt die beeindruckende Freitreppe an der Südseite, von hier hat man eine wunderbare Sicht auf das Humboldt Forum. Gleich vorne links im Foyer ist in großen Lettern zu lesen:

JAMES SIMON 
(17.9. 1851 -22.5. 1932)

James Simon war Berliner Unternehmer, Kunstsammler und Mäzen. Seine ungewöhnlich großzügigen Schenkungen an die Berliner Museen bereichern diese bis heute in höchstem Maße. Zur Eröffnung des Kaiser-Friedrich-Museums (heute Bode-Museum) schenkte er ihnen 1904 seine umfangreiche Renaissancesammlung und 1918 seine Sammlung altdeutscher Plastik. Er war Mitbegründer der Deutschen Orient-Gesellschaft, beteiligte sich maßgeblich an der Finanzierung von Ausgrabungen in Mesopotamien und Ägypten und übereignete den Berliner Museen 1920 unter anderem die Büste der Nofretete. 

Die Staatlichen Museen zu Berlin sind James Simon zu größtem und ewigem Dank verpflichtet.

Die Simon-Schwestern zücken die Smartphones, um den Moment festzuhalten. Ralf Nitschke liest vor und übersetzt, Pam und Chris wischen sich über die Augen. Besonders der letzte Satz der Widmung bewegt sie. Als Nitschke die Einsprachigkeit anspricht, winken sie ab - es sei gut, dass die Widmung auf Deutsch sei – schließlich sollen ja Deutsche es lesen, finden die Simons.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes wird künftig übrigens der "Liegende Löwe" von August Gaul zu sehen sein: eine imposante Kalksteinskulptur, eine wiederangekaufte Restitution aus dem Besitz des Berliner Verlegers Rudolf Mosse, dessen Namen ebenfalls von den Nationalsozialisten vergessen gemacht wurde. Die Staatlichen Museen zu Berlin machen in ihrem neuen Empfangsgebäude an zentraler Stelle deutlich, dass sie versuchen, auch die Unrechtsgeschichten ihrer Vergangenheit zu erzählen – und nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Genau darum geht es auch Chris Simon, die erst vor Kurzem überhaupt etwas über die Geschichte ihres Urgroßvaters James erfahren hat. Und die aus der Spurensuche einen Film machen möchte. Im Februar 2016 war sie deswegen das erste Mal in Berlin, kurz vor dem Richtfest der James-Simon-Galerie. Nun ist sie in Begleitung ihrer Schwester Pam zurück – nach der Führung haben beide einige Fragen beantwortet: 

Vor zwei Jahren waren Sie in Berlin, um Ihren Film zu planen. Was ist seitdem passiert?

Chris Simon: Ich hatte eine Reihe anderer Verpflichtungen, denen ich mich noch widmen musste, darum nehme ich erst jetzt wieder die Arbeit an dem Film auf – und die Suche nach Förderung. Letztere ist immer ein Problem, insbesondere für unabhängige Filmemacher in den USA. 

Ich bin also wieder da, um weiterzudrehen, zusammen mit Olaf Matthes, unserem James-Simon-Experten. Diesmal filme ich in der ganzen Stadt, um unterschiedlichere Bilder zu bekommen. Als ich zum ersten Mal hier war, habe ich vor allem Interviews mit Menschen in Museen gefilmt. Für einen Film braucht es aber mehr als Interviews.

Hat sich ihr Blick auf James Simon während der Arbeit an dem Film verändert? 

Chris Simon: Wir sind total überrascht und überwältigt – man muss wissen, dass wir bis vor kurzem überhaupt nichts über James Simon wussten. Unser Vater, Peter, sprach nicht über Deutschland. Wir wussten, dass er James geliebt hat, aber wir wussten nichts über dessen Rolle. Für uns war er einfach „Grandpa“. Wir hatten von Nofretete gehört, das war aber auch das Einzige. Unser Vater sprach nie über seine Erlebnisse in Deutschland. 

Letztes Mal erzählten Sie, dass Ihre Großmutter Kittie Ihnen einen Brief zeigte, in dem es um James Simon ging?

Chris Simon: Genau, das war die Ausnahme, da hat unser Vater unserer Stiefgroßmutter erlaubt, uns von unserer deutschen Familiengeschichte zu erzählen. 

Sie durfte nicht darüber sprechen?

Chris Simon: Nun, sie hätte nichts ohne seine Erlaubnis gesagt. Wir haben ihn so lange genervt, bis er meinte: Ok, Kittie kann euch ein paar Dinge erzählen. Kittie war die dritte Frau unseres Großvaters Heinrich, dem Sohn von James. Sie war also relativ spät Teil der Familie geworden und hatte James kaum kennengerlernt. Trotzdem hat sie uns viel erzählt, auch wenn nicht alles nur um James ging.

Worum ging es dann?

Chris Simon: Mehr um unseren Großvater Heinrich und Familiengeschichten im Allgemeinen. 

Pam Simon: Wir wussten beispielsweise nicht, dass wir Cousins haben.

Chris Simon: Genau, z.B. Tim Simon, der die Ausstellung über James in den USA organisiert hat. Ich hatte keine Ahnung, dass er nur zehn Meilen entfernt von mir lebt, geschweige denn, dass es ihn gibt!  Wir wussten gar nicht, dass es überhaupt noch Familie gibt. 

Aber jetzt treffen Sie und Tim Simon sich anlässlich der Eröffnung der James-Simon-Galerie?

Chris Simon: Genau, wir werden hier verschiedene Verwandte treffen. Tim kennen wir schon und morgen werden wir Irene interviewen, ebenfalls eine Urgroßenkelin von James Simon. Es ist aufregend, Teil einer Familie mit dieser einflussreichen und interessanten Geschichte zu sein. 

Es ist ein Unding, dass James Simon in Deutschland quasi vergessen ist. Hoffentlich werden Ihr Film und die James-Simon-Galerie das in Zukunft ändern. 

Chris Simon: Das hoffe ich auch! Und James Simon ist nicht der einzige jüdische Mäzen der Museen, dessen Namen die Nazis haben verschwinden lassen – darum hoffe ich auch, dass diese ebenfalls wieder Bekanntheit erlangen. 

Als Ihr Großvater Heinrich Berlin verlassen musste, floh er buchstäblich durch die Hintertür vor der Gestapo und musste alle Habseligkeiten zurücklassen. Haben Sie je darüber nachgedacht, diese Dinge zurückzubekommen oder anderweitig Wiedergutmachung zu geltend zu machen?

Chris Simon: Unsere Stiefgroßmutter Kittie hat das einmal versucht. James hatte bereits alle Kunstwerke den Museen geschenkt und ein paar verkauft und Heinrich besaß gar nicht so viel. 

Pam Simon: Tatsächlich aber doch einiges. Es gibt eine Liste, die aber relativ unkonkret ist. Damals hat man ja fast gar nicht fotografiert und auf der Liste stand dann so etwas wie “Bild einer Dame mit Kuh” oder “gehender Mann” – woher soll man wissen, auf welche Objekte sich das bezieht? Aber das meiste, wie z.B. die Büste der Nofretete, wurde den Deutschen geschenkt. Davon wollen wir nichts zurück, den James hat beschlossen, es zu schenken und wir sind stolz darauf. 

Sie haben gerade die James-Simon-Galerie besichtigt. Wie hat es Ihnen gefallen?

Chris Simon: Es ist so licht und schön und ich kann es kaum erwarten, sie wirklich vollendet zu sehen. Bei meinem letzten Besuch waren die Rohbauarbeiten im vollen Gange und heute war ich sehr bewegt davon, die James-Simon-Galerie zum ersten Mal fast fertig zu sehen. 

Pam Simon: Es ist genau, wie Ralf Nitschke bei der Führung gesagt hat: Man läuft die Treppen hinauf und kommt in dieses wunderschöne Gebäude aus Licht und lässt den Alltag hinter sich, wenn man die Museen betritt. Großartig, dass das Haus nach unserem Urgroßvater James benannt ist. Mir kamen vor Rührung die Tränen, als ich die Widmung gesehen habe, die sagte, wie dankbar die Museen ihm sind. Das bedeutet mir sehr viel.