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Zur Vision verdammt

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St. Matthäus-Kirche, Neue Nationalgalerie, Kunstbibliothek, Kunstgewerbemuseum, Philharmonie und Staatsbibliothek untersuchen ab Ende August erstmals gemeinsam die „Utopie Kulturforum“.

Das Berliner Kulturforum trat ab 1960 als Utopie in die Geschichte ein. Es wurde ex negativo aus dem Schmerz geboren und war zur Vision verdammt. Am Anfang stand eine doppelte Negation: der endgültige Abriss der Altbauten des stark zerstörten Tiergartenviertels mit den baulichen Relikten der Nazi-Diktatur und die Abwehr des sozialistischen Deutschlands hinter der Mauer. Die gewünschte Metamorphose des Ortes war ohne Härte und Verluste nicht zu haben. Mit der Abräumung der Kriegsruinen wurden die Bauten, die Geschichte des Viertels und die Schicksale seiner Bewohnerschaft entsorgt und vergessen. Für den Umgang mit der Dystopie der nationalsozialistischen Stadtplanung bildete Tilgen und Verdrängen das Leitmotiv. Der Neubeginn sollte auf einer von allen Trümmern, Erinnerungen und Ideologien befreiten Fläche erfolgen. Hier wurde im wörtlichen und im übertragenen Sinne Tabula rasa gemacht.

Historische Ansicht des Kultuforums mit der Kirche und vereinzelten Ruinen

Zwischenzeit in der Stadtwüste. Die düsteren Ruinen des „Hauses des Fremdverkehrs“. Otto Borutta, 100° Panorama, 1961–1962, © Berlinische Galerie, Repro: Anja Elisabeth Witte

„Dem Übermaß jener Düsternis, die uns mit ihrer Wüste bedroht, setzt Hans Scharoun und mit ihm das freie Berlin … auf dem äußersten Punkt, der jetzt gewagt werden kann, in der Philharmonie das Bekenntnis zum Musischen entgegen, die reinster Klang aus Mitmenschlichkeit ist und darum Glaube an die Kraft der Freiheit.“ Mit diesen Worten von Adolf Arndt wurde im Oktober 1963 die Philharmonie am Kulturforum eröffnet – drei Jahre nach dem Wiederaufbau der St. Matthäus-Kirche, die von 1956 bis 1960 noch in einer Brache gelegen als ein Denkmal und Lebenszeichen für das noch ungeformte Areal wiederaufgebaut wurde. Der spektakuläre Neubau der Philharmonie ohne rechte Winkel, Achsen und bauliche Hierarchien war für totalitäre Regime eine Provokation und die denkbar stärkste Negation der von Albert Speer für das Tiergartenviertel vorgesehenen Neubauten, von denen die Ruine des Hauses des Fremdenverkehrs erst nach der Fertigstellung der Philharmonie abgerissen wurde.

1968 folgte mit der Neuen Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe die Rehabilitation der durch erzwungene Emigration und Krieg abgeschnittenen Berliner Architekturmoderne. In diesem Tempel für das Hochamt der Kunst wurden neben im Dritten Reich verfemten Künstlern der klassischen Moderne auch die neuesten internationalen Kunstentwicklungen u. a. aus den USA gezeigt und wiederum die Erzählung vom Gegensatz der Systeme weitergetragen. Der Neubeginn der beiden anderen Einrichtungen am Kulturforum erfolgte vor dem historischen Bezugsrahmen der in Ost-Berlin liegenden früheren Preußischen Staatsbibliothek und der legendären Museumsinsel.

Hans Scharoun fand in seiner 1978 eröffneten Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz eine architektonisch prägnante Lösung. Er legte sie städtebaulich als Bollwerk gegen den Osten an und realisierte im Innenraum mit der in der Praxis gut funktionierenden Lesesaallandschaft zugleich auch ein Symbol des freien westlichen Denkens.

Für die Neubauten der Museen der europäischen Kunst der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz fand 1965/66 ein Architekturwettbewerb statt. Trotz zahlreicher futuristischer Entwürfe wie beispielsweise von Rolf Gutbrod reichte die abnehmende Kraft der Aufbruchsutopie hier nicht mehr für eine herausragende architektonische Lösung. Institutioneller Kleinmut, wachsender Einfluss der Bürokratie und ein jahrelanger Planungsstopp führten zu einer Kompromisslösung. Bei der Eröffnung des Kunstgewerbemuseums 1985 wirkte der 1965 ultramoderne Brutalismus Gutbrods wie aus der Zeit gefallen. Der Wechsel des Architekten und die folgenden Umplanungen brachten keine Besserung.

Mit der deutschen Wiedervereinigung 1990 wurde das Kulturforum zu einem Relikt der beendeten Epoche West-Berlins. Mit dem Ende des Systemgegensatzes brach die essenzielle Erzählung eines Ortes der Freiheit von Kunst und Kultur des Westens in der Frontstadt des Kalten Krieges in sich zusammen. Von diesem Identitätsverlust hat sich das Kulturforum bis heute nicht vollständig erholt. Von den Besucherinnen und Besuchern wird es auch nach 60 Jahren und zahlreichen stadtplanerischen Initiativen, Wettbewerben und Masterplänen noch immer als unvollendete Brache ohne Aufenthaltsqualität wahrgenommen.

Seit dem Wettbewerb zum Museum des 20. Jahrhunderts im Jahr 2016 ist das Kulturforum wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Der Entwurf des Büros Herzog & de Meuron verbindet mit seiner Einfachheit die historischen Entwicklungslinien und das Ensemble herausragender Solitäre. Die beiden zentralen Achsen des Gebäudes erschließen das Stadtquartier und geben dem Innenraum Platzqualität. Der Neubau wird die leere Mitte füllen und die räumliche Wahrnehmung des Kulturforums verändern.

Mit dem vom Hauptstadtkulturfonds geförderten Projekt „Utopie Kulturforum“ haben sich die Anrainer des Kulturforums erstmalig gemeinsam zusammengefunden, um im Rahmen von dezentralen Ausstellungen, Stadtgesprächen und Kunstaktionen die Geschichte und die Potenziale des Kulturforums sichtbar und für die Zukunft fruchtbar zu machen. Es wird der Start zu einer verstärkten Zusammenarbeit sein.

Historisches Luftbild des Berliner Kulturforums
© bpk / Rolf Koehler

Utopie Kulturforum

Mit dem Projekt „Utopie Kulturforum“ haben sich die Anrainer des Kulturforums erstmalig gemeinsam zusammengefunden, um die Geschichte und die Potentiale des Kulturforums sichtbar und für die Zukunft fruchtbar zu machen. Worum es genau geht, erklärt Joachim Brand, stellvertretender Direktor der Kunstbibliothek, im Interview.


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