Eine Frau sieht sich ein Ausstellungsstück im Museum an.

Im Innenraum der Weltkunst

Artikel

Lesezeit: ca.  min

Ein Insel-Hopping in bequemen Turnschuhen: Das Kulturforum im Rundgang

Klackerdiklack macht das Skateboard, als es die Treppenstufen herunterrattert. Wieder einer der Tage, an denen die weite Betonlandschaft am Kulturforum vor allem dem Wind und den Skatern gehört. Welche Dichte an kulturellem Erbe hier wartet, ist erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Denn der eigentliche Reichtum dieses kulturellen Epizentrums Berlin offenbart sich erst, wenn man die Türen der einzelnen Institutionen öffnet und einen Rundgang durch die Sammlungen macht.

Eine Frau sieht sich ein Ausstellungsstück im Museum an.

Kunstkritikerin Elke Buhr staunt über die kunst- und kulturhistorischen Schätze in den zahlreichen Ausstellungshäusern am Kulturforum. © Christoph Mack

Noch sind es ein paar Monate bis zur Wiedereröffnung der Neuen Nationalgalerie. Aber man hat auch so genug zu tun – vorausgesetzt die Inzidenz-Zahlen stimmen. Da ist die Gemäldegalerie mit einer der weltweit hochkarätigsten Sammlungen von Malerei aus dem 13. bis 18. Jahrhundert; das Kupferstichkabinett, mit 500.000 Drucken und rund 110.000 sonstigen Kunstwerken auf Papier; das Kunstgewerbemuseum mit seiner ausgesuchten Sammlung von Handwerksobjekten und Design; und schließlich die Musikinstrumentensammlung, die dem Staatlichen Institut für Musikforschung angegliedert ist. Hier fange ich an bei meinem Rundgang rund um die Sammlungen am Kulturforum – bequeme Turnschuhe an den Füßen, denn ich habe einiges vor. Allerdings: So naiv, zu glauben, dass ich mir auch nur einen Überblick über all diese Sammlungen verschaffen kann, bin ich nicht. Meine Aufgabe ist die radikale Auswahl: ein Highlight pro Haus.

Natürlich fällt gleich am ersten Ort die Entscheidung schwer. Die offene Architektur des Baus bietet sich wie eine Landschaft voller Inseln und Archipele der Besucherin dar. Hier gibt es ein Spinett mit fantastischen Einlegearbeiten, ein Cembalo, von dem es heißt, dass Bach es verwendet haben könnte, und Querflöten von König Friedrich II.

Doch am Ende bleibe ich bei einem Instrument hängen, das mich schon durch seinen Namen in Träumereien versetzt. „The Mighty Wurlitzer“ ist eine Kinoorgel, wie sie bis in die 1930er-Jahre überall auf der Welt zur Stummfilmbegleitung verwendet wurde. Solche Orgeln sind ein ganzes Orchester, dessen einzelne Instrumente von der Schaltzentrale aus angespielt werden können wie sonst Orgelpfeifen.

Das Berliner Modell war eine Sonderanfertigung für den Industriellenerben Werner Ferdinand von Siemens, der es 1929 in seiner Villa installierte. Es muss eine große Villa gewesen sein, denn der glamouröse Spieltisch ist sozusagen nur die Spitze des Eisbergs. Von dieser Kontrollzentrale aus kann man eine Batterie von Instrumenten bedienen, die die halbe obere Etage im Museum einnehmen, von der Pauke bis zur Tuba.

Ich nehme mir fest vor, das nächste der seltenen Konzerte mit der „Mighty Wurlitzer“ nicht zu verpassen – irgendwann ist es sicher wieder so weit. Bis dahin weiter ins Kunstgewerbemuseum. Der Betonbau, 1966 entworfen, strahlt den trutzigen Sichtbeton-Charme seiner Epoche aus, die Architekten Kuehn Malvezzi haben ihn 2014 neu zum Atmen gebracht. Im Untergeschoss warten Möbelklassiker vom Bauhaus bis zur Gegenwart.

Ein Ausstellungsraum mit einer großen Orgel und einem Flügel.
Die sogenannte „Mighty Wurlitzer“ im Musikinstrumenten-Museum. © Christoph Mack
Reliquiar in einer Vitrine.
Im Kunstgewerbemuseum kann man ein französisches Reliquar aus dem 8. Jahrhundert bewundern. © Christoph Mack
Eine Frau betrachtet ein Reliquiar in einer Vitrine
Handtasche oder nicht? © Christoph Mack
Eine Frau betrachtet Kupferstiche in einem Studiensaal
Im Kupferstichkabinett © Christoph Mack
Zwei Frauen betrachten Kupferstiche
Mit Direktorin Dagmar Korbacher © Christoph Mack
Buhr_KK_ds_2.jpg
Elke Buhr studiert die feinen Linien einer Zeichnung Raffaels von 1518. © Christoph Mack

Verlockend ist auch die Modegalerie. Man spaziert in einem dunklen Gang an effektvoll erleuchteten Vitrinen mit Entwürfen aus 150 Jahren Modegeschichte vorbei wie bei einem Schaufensterbummel. Kurz verliere ich mich in den Kabinetten mit den Art-déco-Stücken. Aber mein Highlight wird dann doch ein älteres Wunderwerk des Kunsthandwerks. Es ist ein Reliquar, von geschickten Händen im 8. Jahrhundert irgendwo im Frankenreich aus Gold und Silber getrieben und mit Perlen und Juwelen besetzt. Es stammt aus dem Schatz des Stiftes St. Dionysius zu Enger/Herford. Und es sieht aus wie eine It-Bag. Man sollte die Designer von Hermès und Dior wirklich mal hier vorbeischicken.

Aber Schluss mit Handtaschenträumen – ich werde im Kupferstichkabinett erwartet. Das eigentlich Spektakuläre hier ist der Studiensaal. Mehr als ein Ausstellungshaus versteht sich das Kupferstichkabinett als Ort der Forschung, hier kann man sich Werke geben lassen wie in einer Bibliothek. Ohne Termin kann man hineinspazieren, zeigt den Ausweis und darf Originale aus der Sammlung sehen.

Wo anfangen? Ich entscheide mich für die absoluten Klassiker der Kunstgeschichte. Dürers berühmtes Bildnis der Mutter als alte, vom Leben gezeichnete Frau habe ich schon in seiner Ausstellungsvitrine bewundert. Doch jetzt bringt mir die Direktorin des Kupferstichkabinetts Dagmar Korbacher einen koketten lockigen Jüngling, irgendwann um 1518 von Raffael gezeichnet, der die nackte Gestalt als Skizze für die Figur des Pluto in einem Fresko in der Villa Farnesina in Rom aufs Papier geworfen hatte. Zögernd nehme ich die Lupe in die Hand, studiere die feinen Linien und kann gar nicht glauben, dass ich diesem Stück Papier so nah kommen darf.

Jetzt bleibt der Weg in die Gemäldegalerie – für mich ein Besuch bei alten Bekannten, denn hier bin ich oft und genieße die Tatsache, dass die Gemälde von Giotto, Raffael und Tizian zwar weltberühmt sind, aber nur selten hinter allzu großen Besucherhorden verschwinden. Der komplette Rundgang durch die 72 Säle ist fast zwei Kilometer lang. Ich aber steuere heute direkt auf meine Lieblinge zu. Die Gemäldegalerie besitzt eine berückende „Venus“ von Botticelli, aber wenn es um berückende nackte Damen geht, schaue ich auch immer gern bei der „Lucretia“ von Lucas Cranach vorbei, die, den Dolch zum Selbstopfer im Anschlag, mit einem hauchzarten Schleier ihre Blöße eher hervorhebt als bedeckt. Die Zeit, als Frauen sich noch für die Tugend opferten, ist lange vorbei – aber hier geht es ja auch eher um eine Begegnung in Fremdheit, über Jahrhunderte hinweg. Ob mir der Raufbold und Totschläger Caravaggio sympathisch gewesen wäre, weiß ich auch nicht. Doch seinen „Amor“, eines der berühmtesten Bilder der Sammlung, den liebe ich von Herzen.

Wie viele Kilometer ich heute gelaufen bin, um bis zu ihm zu kommen, weiß ich nicht. Sicher ist nur: Ich kann noch viele Male wiederkommen und werde immer etwas Neues sehen am Kulturforum.

Elke Buhr

1971 in Bochum geboren, hat die studierte Germanistin zunächst als Kunstredakteurin im Feuilleton der „Frankfurter Rundschau“ gearbeitet und ist heute Chefredakteurin von Monopol, dem Magazin für Kunst und Leben, in Berlin.


Weitere Artikel zum Thema