Ein Mann untersucht mit Handschuhen ein Hemd

Der Dandy trägt Korsett

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Der Hemdendesigner Lasse Holger Mitterhusen besucht die Modekuratorin Katrin Lindemann im Kunstgewerbemuseum, um mit ihr über den Stilwandel eines rätselhaften Wesens zu sprechen.

Natürlich kommt er im Sweatshirt. Ein Hemdendesigner muss im Sweatshirt kommen, weil auch ein Bäcker nur Krümel in der Tasche hat. Lasse Holger Mitterhusen ist Creative Director des Hemdenherstellers Olymp. In normalen Zeiten zeigt sich die männliche deutsche Bürowelt gern in den Hemden aus Bietigheim-Bissingen. Businessgarderobe eben, die dennoch nicht langweilig sein muss. Die Pandemie hat nicht nur ein ganzes Land auf den Kopf gestellt, sondern auch die Leistungsträger verlottern lassen. Ein wenig jedenfalls hat Olymp zu spüren bekommen, dass der Hoodie in der Krise näher sitzt als das Hemd. So wie viele Modemarken, die sich mit formellerer Garderobe beschäftigen. Lasse Holger Mitterhusen lässt sich die Stimmung nicht vermiesen. Er ist vor gut einem Jahr angetreten, um das Hemd zu modernisieren. Und zwar das formelle wie das legere. Weil er die Inspiration sucht, weil er neugierig auch auf das ist, was schon mal da war, ist er mit uns ins Kunstgewerbemuseum gekommen.

Ein Mann untersucht mit Handschuhen ein Hemd

Designer Lasse Holger Mitterhusen im Kunstgewerbemuseum © Andrea Vollmer

Katrin Lindemann steht ganz in Schwarz im Modeatelier des Museums. Etwas gepunktete Spitze schaut elegant aus dem Ärmel ihres Pullovers. Die Kuratorin für Mode, Textil und Schmuck – so der offizielle Titel – hat sich auf den Termin gefreut, obgleich er ihr vor Augen führte, dass in den Beständen zur Männermode ziemliche Lücken klaffen. „Das Herrenhemd ist auch gar nicht mein Forschungsschwerpunkt“, lacht sie. Klar, in der Damengarderobe passiert ja auch mehr. Auf die weißen Tische hat sie graue Kartons gestellt, das Seidenpapier raschelt. Ein elfenbeinfarbenes Leinenhemd aus dem Frankreich des Jahres 1815 ist zu bestaunen.

Kuratorin und Designer sind sofort dabei, über Chabeau- und Umlegekrägen und die Frage zu diskutieren, ab wann eigentlich durchgeknöpft wurde. Und wie lange musste der deutsche Hemdenträger neidisch auf französische Edelmänner blicken, bis er selbst stilprägend ins Geschäft eingriff. Lasse Holger Mitterhusen würde gern seine Träger mehr schmücken und weiß doch, dass Männer Mode bequem und bügelfrei und praktisch haben wollen. Farben sind Trendsache. „Darf ich mal die Ärmel hochklappen?“, erkundigt er sich. „Was waren das denn im 19. Jahrhundert nur für Männer? Quadratisch mit ganz dünnen Ärmchen?“ Katrin Lindemann erzählt, dass der Dandy Korsett getragen habe und das blütenweiße Hemd ein Zeichen der gehobenen Stände gewesen sei. Und heute? Leinenhemd zum entspannten Sakko, Polo und Schlupf-Style? Neue Kragenformen? Etwas davon. Seit Daimler-Boss Dieter Zetsche vor einigen Jahren ohne Krawatte auftrat, geht der Schlips den Bach runter. Katrin Lindemann kennt sich aus im Hemdengewerbe von heute: „Bodyfit, Level 5, extralanger Arm. Sie verstehen?“ Vokabeln, die der Träger kennen muss.

Zwei Personen untersuchen Textilien
Designer Lasse Holger Mitterhusen inspiziert zusammen mit Kuratorin Katrin Lindemann historische Männermode © Andrea Vollmer
Ein Hemd liegt auf Seidenpapier präsentiert auf einem großen Tisch
Ein Hemd aus der Sammlung des Kunstgewerbemuseums © Andrea Vollmer
Zwei Personen stehen mit Abstand hinter einem großen Tisch
Lasse Holger Mitterhusen und Katrin Lindemann © Andrea Vollmer

Als die beiden auf die andere Seite des Tisches wechseln, landen sie in einer anderen Welt. Die Augen des Designers leuchten. Hemden von Matsuda. Ende der 80er war es, da fuhr Lasse Holger Mitterhusen immer mit dem Mofa zum Stuttgarter Bahnhof, um sich das italienische Modeheft „Collezioni“ zu kaufen. Wegen der Schauen von Matsuda! Jeder, der etwas von Mode verstand, dekonstruierte sich damals japanisch. Die Schnitte, die Kragen, die Verarbeitungsdetails faszinierten auch den Abiturienten Mitterhusen, dem eine Dame im Arbeitsamt Heilbronn zur Mode riet. „Ich habe dann Modedesign studiert und musste erst mal lernen, was es heißt, ‚im Bruch zuzuschneiden‘. Kennen Sie das?“ Katrin Lindemann nickt: „Na klar, ich habe Damenschneiderin gelernt.“ Und dann sind sie auch schon wieder bei den mehreckigen Knöpfen und den Schulterpolstern von Matsuda.

Sie könnten noch stundenlang in den Kisten stöbern, und Mitterhusen wird später sagen, dass ihm die Stunden im Kunstgewerbemuseum wie ein Urlaubstag vorgekommen seien. Warum nur soll man sich Mode im Museum anschauen? Ganz einfach, sagt Katrin Lindemann. Weil Mode immer Inspiration bedeutet. Weil Kleider eben wirklich Leute machen. Und weil Millimeter in der Kragenform letztlich schon viel entscheiden können. Aber wie inspiriert sich ein Designer, wenn er nicht im Museum ist? „Neulich habe ich einen uralten Song von Frank Sinatra gehört. Eine Gershwin-Adaption. Ich war sofort auf den Straßen von Santa Monica.“ Man darf gespannt sein, was das für seine Hemden bedeutet. Dann brechen die beiden in die Modegalerie des Kunstgewerbemuseums auf, wo der Mann aus dem Rokoko schon ein fast klingendes Silberjäckchen tragen muss, um sich gegen die eleganten Damenroben zu behaupten. Die beiden sind sich einig: Das gab’s nur einmal, das kommt nie wieder.

Lasse Holger Mitterhusen

Lasse Holger Mitterhusen war lange Jahre Designer bei Boss und Baldessarini. Zudem arbeitete er als Dozent an der HTW Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Heute ist Mitterhusen Creative Director für das Business-Segment bei der OLYMP Bezner KG.

Katrin Lindemann

Die Kuratorin absolvierte eine Ausbildung zur Damenschneiderin, ehe sie in Münster und Wien Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Katholische Theologie studierte. Seit einem Jahr ist sie für den Bereich Mode, Textil und Schmuck im Kunstgewerbemuseum verantwortlich.


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