Jacques Herzog erläutert den Entwurf für das Museum des 20. Jahrhunderts

Berlin, nun freue Dich!

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Nicht nur wegen der von Jacques Herzog versprochenen Peperoncini zur Schärfung der Fassade ging es bei der Informationsveranstaltung für das Museum des 20. Jahrhunderts am 18. November 2019 heiß her. Alle wichtigen Fragen rund um den Neubau am Kulturforum wurden diskutiert.

Ein gewisses Spannungsgefühl war im Kammermusiksaal am Kulturforum durchaus zu spüren – obwohl das Feuilletongewitter eigentlich schon getobt hatte, obwohl die große Hürde Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestags schon vier Tage vorher genommen worden und obwohl es keine schwüle Sommernacht, sondern eben ein kühler Herbstabend war. Und trotzdem brodelte es, ging es doch um wichtige Dinge: Kunst im Allgemeinen, Baukunst im Speziellen und natürlich 364 Millionen Euro Kosten (für manche gleichbedeutend mit „eine halbe Milliarde“).

 Jacques Herzog erläutert den Entwurf für das Museum des 20. Jahrhunderts

Jacques Herzog erläutert den Entwurf für das Museum des 20. Jahrhunderts © SPK / photothek.net / Felix Zahn

Und so harrten die gut 400 interessierten Projektkritiker oder Fans (oder solche, die es werden würden) im Foyer der kleinen Schwester der Philharmonie (bzw. der Cousine von Staatsbibliothek und Musikinstrumenten-Museum) mit Blick auf den zukünftigen Bauplatz der Dinge, die da kommen würden – sicherlich auch in Vorfreude auf die Friktionen der Diskussion um jene Fragen, die für die oben genannten Schreibstürme sorgten, die die SPK seit ein paar Wochen zerzausen: Warum braucht Berlin ein Museum des 20. Jahrhunderts? Warum wird das so teuer? Ist das Museum dieses Geld wert? Wie will das Museum das Kulturforum heilen? Wird das Museum seine Nachbarn – allesamt Architekturikonen – stören?

Und dann ging es los: SPK-Präsident Parzinger sprach tatkräftig und feurig für die „Scheune“, deren Bau essentiell für die Staatlichen Museen sei, darum sei es wichtig „einfach mal den Weg weiterzugehen, statt weitere Jahrzehnte“ über Standort und Konzepte der Leere oder der Dichte zu diskutieren: „Ich wundere mich, wenn zu lesen ist, es braucht einen freien Platz in der Mitte – schauen Sie doch mal, es gab lang genug den freien Platz, worüber man dann jahrzehntelang diskutiert hat“, so Parzinger. Und trotzdem sei es wichtig, im Diskurs mit den Kritikern zu bleiben: „Kritik ist wichtig, Auseinandersetzung ist wichtig, Entscheidungen werden so besser durchdacht. Und wenn ich mir überlege, dass wir eine solche Diskussion an manchen anderen Orten in Berlin so intensiv gehabt hätten, dann sähe Berlin bestimmt anders aus.“

Das Foyer von Edgar Wisniewskis Kammermusiksaal
Das Foyer von Edgar Wisniewskis Kammermusiksaal © SPK / photothek.net / Felix Zahn
SPK-Präsident Parzinger begrüßt das Publikum
SPK-Präsident Parzinger begrüßt das Publikum © SPK / photothek.net / Felix Zahn
Das Kulturforum von oben (mit Museum des 20. Jahrhunderts)
Das Kulturforum von oben (mit Museum des 20. Jahrhunderts) © Geoportal Berlin / Digitale farbige Orthophotos 2015 (DOP20RGB) / Herzog & de Meuron
Die Diskussionsrunde: Reinhard Hübsch, Hannes Langbein, Wulf Herzogenrath, Swantje Karich, Jacques Herzog und Udo Kittelmann (v.l.n.r.)
Die Diskussionsrunde: Reinhard Hübsch, Hannes Langbein, Wulf Herzogenrath, Swantje Karich, Jacques Herzog und Udo Kittelmann (v.l.n.r.) © SPK / photothek.net / Felix Zahn
Nach der Diskussionsrunde wurde an der Bar weiterdiskutiert
Nach der Diskussionsrunde wurde an der Bar weiterdiskutiert © SPK / photothek.net / Felix Zahn

Der SPK-Präsident lud dann noch zum Spatenstich am 3. Dezember um 11.30 Uhr ein – mit Verweis auf den Spruch vom ehemaligen Bürgermeister Momper anlässlich des Mauerfalls vor 30 Jahren: „Berlin, nun freue Dich!“

Das sollte Berlin tun, denn schließlich ist das Museum des 20. Jahrhunderts für die Menschen, so Vize-Generaldirektorin Christina Haak: „Wir bauen das Museum nicht für uns, sondern für unsere Besucher. Eigentlich würde ich lieber sagen, unsere Nutzer, denn wir möchten, dass dieses Gebäude von den Menschen benutzt wird“. Schließlich sei der Neubau viel mehr „als eine neue Bleibe für teure Kunst“, nämlich ein „interdisziplinärer Debattenort“, der offen für alles und jeden sei und flexiblen Raum für künstlerische und gesellschaftliche Experimente biete.

Trotz aller dieser, für ein Museum im 21. Jahrhundert essentieller Ausrichtung, gibt es natürlich auch grandiose Kunst, die mit dem Neubau endlich den angemessenen Platz bekommt: Von Gerhard Richter über Lotte Laserstein zu Anselm Kiefer, Wolfgang Mattheuer und Pipilotti Rist. Joachim Jäger, Leiter der Nationalgalerie zeigte in einem kurzen aber eindrucksvollen Ritt durch die Sammlung, was derzeit mangels Präsentationsplatz im Depot schlummert und widerlegte eindrucksvoll die ziemlich freche Behauptung der Ideenlosigkeit des neuen Hauses.

Eine große Schneise in die Phalanx der unbedachten Kritikerstimmen schlug dann sehr elegant der kluge Vortrag von Jacques Herzog – eine Kavalkade an Gründen dafür, dass „das ein tolles Haus wird. Sonst wäre es mir jetzt recht gewesen, wenn das Parlament gesagt hätte ‚Das machen wir nicht‘. Wir sind extrem froh und stolz und wir werden hier etwas hinstellen, das die Leute lieben werden.“, so die redefreudige Hälfte des Architektenduos. Es ginge ihm und Pierre de Meuron nie darum, die eigene Handschrift zu hinterlassen, sondern „auf den Ort einzugehen“ und das Maximum herauszuholen. Und das Kulturforum sei eben ein geschichtlich aufgeladener Ort, aufgeladen von den Auseinandersetzungen und Brüchen, die das 20. Jahrhundert prägten und die sich in der Kunst des 20. Jahrhunderts wiederfinden – und diese Auseinandersetzungen brauchen Nähe und Friktionen, im Fall des Museums eben mit den umliegenden Institutionen. 

Herzog sprach sehr überzeugend vom Konzept der Dichte, das dem Kulturforum endlich Leben einhauchen werde, von der offenen Backsteinfassade als weiterem Raum, der die Offenheit und den Austausch fördern, von den beiden sich kreuzenden Boulevards, die das Leben von innen nach außen tragen sollen und natürlich von der zu Unrecht als „Lidl-Filiale“ verunglimpften, einfachen Hausform, die dem Bau neben dem „extrem abstrakten Gebäude von Mies und der verspielten Architektur von Scharoun zu bestehen. Als eigenständiges Gebäude, eigenständige Form, weder sich duckend, noch sich behauptend wie eine prätentiöse Geste.“

Dann ging es ans Diskutieren und weil zwar viele Gegner des Baus eingeladen worden waren, aber keiner hatte kommen wollen, saßen nun nur dem Projekt freundlich Gesonnene auf dem Podium: Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie („Es wird fantastisch werden!“), Hannes Langbein von der Stiftung St. Matthäus (schwärmte vom lebendigen Kulturforum und dem Gebäude ohne Rückseiten), das kulturelle Urgestein Wulf Herzogenrath, der von der damaligen Verunglimpfung der Neuen Nationalgalerie als „Tankstelle“ berichtete, die Kulturjournalistin Swantje Karich, die sich auch gerne mit einem feindlich Gesonnenen gestritten hätte, und natürlich Jacques Herzog.

So war es am Publikum, die kritischen Fragen zu stellen, was dieses dankend und zahlreich übernahm: Ob die Architektur tatsächlich radikal genug für den Inhalt sei? Ob nicht Scharouns Masterplan aus den 1960erJahren vielleicht doch besser wäre?

Ob es nicht doch ein anderer Standort der bessere weil billigere gewesen wäre? Was denn jetzt mit den Sichtachsen zwischen Neuer Nationalgalerie und Philharmonie sei, und überhaupt, ob Neue Nationalgalerie und sogar Gemäldegalerie jetzt ins Hintertreffen gerieten? Ob es eine nicht ganz so langweilige Alternative zum Titel „Museum des 20. Jahrhunderts“ gebe?

Konsens herrschte auf jeden Fall darüber, dass man froh darüber sein sollte „dass wir diese harten Debatten führen können, dass wir diese Vielzahl an Stimmen haben“, wie Swantje Karich anmerkte. Und auch Heiner Pietzsch, dessen großzügiges Sammlungsgeschenk dank des Neubaus bald in seiner ganzen Pracht gezeigt werden kann, meldet sich mit einem Pro-Diskurs-Statement zu Wort: „So lange ein Haus wie dieses hier gebaut wird, und es würde nicht kritisiert, von welcher Seite auch immer, könnte nichts Vernünftiges rauskommen. Die Kritik ist die Mutter des Guten.“

Sehr treffend brachte es dann Swantje Karich auf den Punkt, als sie allen, die – in welcher Art auch immer – von dem Museum des 20. Jahrhunderts bewegt werden, eine Abwandlung eines allseits geschätzten Wandtattoospruchs ins Bewusstsein rief: „Wir reden über Dinge, die zurückliegen. Der Bau ist beschlossen, wir könnten natürlich jetzt demonstrieren, diesen Platz besetzen, irgendetwas tun – dann machen wir das. Aber lassen wir uns besser darüber sprechen: Wie kann man dieses Museum nutzen, dass es wirklich funktioniert?“


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