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Die Bild-Rahmen-EinheitVerglasung ist kein Vollschutz

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Kristina Mösl und Bertram Lorenz gehören zu den Menschen des Jahres: Mit ihren restauratorischen Fähigkeiten retteten sie in der Alten Nationalgalerie und der Gemäldegalerie attackierte Werke

Tiefrote Flecken auf dem Rahmen, am unteren Ende der Leinwand und auf den Abstandsleisten – oberflächlich betrachtet scheint es so, als müsse man die rote Farbe einfach wegwischen und dann wäre nichts gewesen. Doch der dunkelrote Farbton ist Kunstblut – dünnflüssig, farbintensiv und tief in das Holz eingedrungen.

Das Gemälde „Clown“, des französischen Künstlers Henri de Toulouse-Lautrec von 1887, welches im Impressionistensaal der Alten Nationalgalerie hing, wurde von einer Attentäterin mit Kunstblut vollgespritzt. Dabei gelangte die Farbe nicht nur auf den Rahmen und das Bild selbst, sondern auch auf die gepolsterte Wandbespannung und das teilversiegelte Holzparkett im Ausstellungssaal. Die Flecken sind noch immer sichtbar, viele Wochen nach der Attacke.  Es war der 30. Oktober, als an Rahmen und Gemälde „unumkehrbare Beschädigungen“ entstanden, die sowohl mit einem enormen Wertverlust als auch mit einem großen ideellen Schaden einhergehen, sagt Kristina Mösl. Bild und Rahmen sind in unterschiedlichen Ausmaßen beschädigt – so zeigt sich deutlich, dass die Klimaaktivist*innen und ihren Trittbrettfahrer*innen, die in diesem Jahr die internationale Museumswelt in Atem hielten, mit ihren Aktionen doch einige Kollateralschäden mutwillig in Kauf genommenen haben.

Kristina Mösl, die Leiterin der Konservierung und Restaurierung in der Alten Nationalgalerie, versucht nun, mit ihrem Team zu retten, was zu retten ist. „Eine herausfordernde Aufgabe. Die Schäden sind massiv“, sagt sie. Mit ihrer Vergrößerungsbrille und einer UV-Lampe leuchtet sie auf den schwarzen Rahmen, der auf einem großen Tisch des improvisierten Arbeitsplatzes im Hausdepot des Museumsaufgestellt wurde. „Hier liegen Pipetten und Wattestäbchen, daneben stehen Gläser mit Farbpigmenten, verschiedenen Chemikalien und Wasser.

Zu Beginn wurden die Schäden an Bild und Rahmen vorder- und rückseitig fotografiert und dokumentiert. Sie rechne damit, dass die restauratorische Arbeit am Rahmen weitere zwei Arbeitswochen in Anspruch nehmen werde und das Bild erst im neuen Jahr wieder ausgestellt werden könne.

Besonders problematisch sei ein Fleck an der Unterseite des Bildes. „Die Flüssigkeit ist durch das Glas und die Abstandsleisten in den Rahmenfalz gedrungen und hat dadurch auch die Leinwand beschädigt“. Glücklicherweise sei das ein Bereich des Bildes gewesen, der nicht sichtbar ist, wenn das Gemälde wieder gerahmt werde. „Allerdings stimmt es nicht, dass ein Glas ein Bild hermetisch und vollständig schützte“, sagt sie. Dies sei nur der Fall, wenn vollverglaste Klimarahmen eingesetzt werden, die meistens für Transporte benutzt werden. „Diese sind nahezu luftdicht versiegelt und haben ein eigenes Mikroklima innerhalb des Glases.“

Der Rahmen stammt zwar nicht aus dem Schöpfungszeitraum des Bildes, sondern ist eine spätere Erwerbung des Museums – „dennoch gehören Rahmen und Gemälde untrennbar zusammen“, sagt Mösl. Seit Jahrzehnten war der Lautrec mit dem aktuellen Rahmen gezeigt worden.

Ausstellungsraum mit Skulpturen und Gemälden, an einer Wand rote Farbspritzer

Das Gemälde „Clown“, des französischen Künstlers Henri de Toulouse-Lautrec von 1887, welches im Impressionistensaal der Alten Nationalgalerie ausgestellt wird, wurde von einer Frau mit dem Kunstblut vollgespritzt.

© SPK/photothek.net/Thomas Imo

Die Farbspuren im Innern des Rahmens werden sich nicht vollständig beseitigen lassen. „Doch sie werden am Ende, wenn Bild und Rahmen wieder zusammengesetzt sind, auch nicht sichtbar sein“. Gerade experimentieren sie mit verschiedenen Materialien, um zwischen Gemälde und den beschädigten Flächen am Rahmen einen Abstand zu schaffen. „Sonst könnte die rote Farbe auf das Bild abfärben“. Zudem wurde schon das Schutzglas gereinigt und der Filz im Rahmeninnern erneuert. Doch auch mit der Rahmenoberfläche gibt es Probleme.

Die „schichtenselektive Trennung“ des Kunstbluts von der schwarzen Farbe des Rahmens sei eine komplexe restauratorische Herausforderung, da Rahmenfarbe und Überzug ebenfalls wasserlöslich sind. Das Kunstblut wird sich daher nicht rückstandsfrei abnehmen, sondern lediglich reduzieren lassen. Bei dem Bild würde eine „wässrige Reinigungsmethode“ angewandt, bei der mit Hilfe von Gelen die Kunstblut-Farbe gelöst werde. Ein partielles Anlösen des Überzugs wird dabei in Kauf genommen und mit Hilfe eines Glanzausgleiches angepasst.,  

Generell folgt jedes Restaurierungsprojekt dem „Dreiklang“. Zunächst gäbe es die Schadensanalyse, bei der das Objekt und die Materialien untersucht werden, dann folgt die Diagnose, bei der ein Schadensbild definiert wird und dann die Therapie, bei dem das Werk konservatorisch und restauratorisch behandelt wird.

Mösl, Jahrgang 1963, weiß, was ein Rahmen für ein Bild bedeuten kann. „Der Rahmen umformt das Gemälde, gibt ihm eine Fassung und ist auch immer ein gestalterisches Element“. Nach einer Holzbildhauerlehre absolvierte sie ein dreijähriges Praktikum im Denkmalamt in Kiel. Anschließend studierte sie an der Technischen Hochschule in Köln Restaurierung. Seit 2003 leitet sie die Restaurierungsabteilung der Alten Nationalgalerie.  

Ihre Aufgaben umfassen deutlich mehr als die Beseitigung von Schäden. Mösl und ihre Abteilung sind dafür zuständig, die Kunstwerke der Alten Nationalgalerie zu erforschen, zu konservieren, zu restaurieren, den internationalen Leihverkehr und die Sonderausstellungen des Hauses restauratorisch zu betreuen und hin und wieder auch neue Zierrahmen zu entwickeln. Doch ihr Team ist auf weitere mögliche Angriffe auf Kunstwerke aus der Sammlung vorbereitet. „Wir haben ein Notfallset um beispielsweise Sekundenkleber direkt zu lösen“. Beim Anschlag auf das Toulouse-Lautrec-Gemälde hat sich die psychisch kranke Frau nämlich auch an die Wand des Saals geklebt und damit die Methode der Aktivist*innen der Letzten Generation adaptiert.

Zwei Frauen mit Stirnlampen sitzen an einem Tisch, auf dem ein Bild liegt
Die Restauratorinnen Kristina Mösl (re.) ist mit ihrem Team, u.a. Sophie Gurjanov (li.), für die Restaurierung des vollgespritzten Bildes und des Rahmens verantwortlich. © SPK/photothek.net/Thomas Imo
Parkett Alte Nationalgalerie
Farbe gelangte nicht nur auf den Rahmen und das Bild selbst, sondern auch auf die gepolsterte Wandbespannung und das unversiegelte, historische Holzparkett im Saal. © SPK/photothek.net/Thomas Imo
Historischer Holzrahmen mit Kleberspuren
Am 25. August 2022 fixierten sich am frühen Nachmittag zwei junge Aktivistinnen an den Rahmen des Bildes „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ von Lucas Cranach dem Älteren. © SPK/photothek.net/Thomas Imo
Ein Mann arbeitet an einem Bild auf einer Staffelei in einer Werkstatt
Restaurator Bertram Lorenz restauriert den Rahmen des Bildes „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ von Lucas Cranach dem Älteren. © SPK/photothek.net/Thomas Imo
Ein Mann nimmt mit einem Wattestäbchen Flüssigkeit aus einem Glasgefäß, auf dem Tisch dahinter liegen weitere Arbeitsgeräte
Neben Aceton stehen auch andere Lösungsmittel auf dem kleinen Tablettwagen, auf dem Lorenz seine Arbeitsgeräte positioniert hat. © SPK/photothek.net/Thomas Imo

Schon am 25. August fixierten sich am frühen Nachmittag zwei junge Klimaaktivistinnen an den Rahmen des Bildes „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ von Lucas Cranach dem Älteren. Sofort war das Restaurator*innenteam der Gemäldegalerie im Saal. Binnen weniger Minuten wurden die zwei Protestiererinnen von dem Rahmen befreit. „15 Uhr 10 errichte uns der Notruf, 15 Uhr 23 war alles vorbei“, sagt Bertram Lorenz, einer der Restauratoren der Berliner Gemäldegalerie.

Von außen sind nur die weißen Klebstoffspuren sichtbar, die wie Fingerabdrücke geformt sind. Doch beim genauen Hinsehen offenbaren sich dünne lackartige Spuren, die sich wie Fäden über die Rahmenoberfläche ziehen.

Lorenz erzählt, dass für die Ablösung der Fingerkuppen Aceton verwendet wurde, ein Lösungsmittel, dass haut- und materialschonend ist. Dabei gingen Elemente des Rahmens unwiederbringlich verloren, darunter Teile von Farbe, Gold und der Patinierung aus getöntem Lack. Zudem drang der aufgelöste Sekundenkleber durch das Holz hindurch in den Rahmen hinein. Dadurch entstehen Flecken, die nur sehr schwer „durch das Aufschwemmen oder Lösen eliminiert werden können“. Nach der akribischen Sichtung eines Schadens, die sowohl in einem Bericht, als auch fotografisch dokumentiert wird, folgt die Arbeit am Werk.

Auch Lorenz, der 1983 geboren wurde, ist seit vielen Jahren in der Restaurierung tätig. Schon sein Vater hatte eine eigene Werkstatt für Bilderrahmenbau. Durch den Vater kommt er früh mit dem Handwerk in Berührung, absolviert zunächst eine Ausbildung zum Vergolder mit Abschluss als Vergoldermeister und studiert später Restaurierung an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Seine Diplomarbeit schrieb er in der Gemäldegalerie, längere Zeit arbeitete er freiberuflich unter anderem für die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg und seit einigen Jahren wieder für die Gemäldegalerie.

„Wir sind froh, dass bei Lucas Cranach dem Älteren das Glas drauf war“, sagt Lorenz. Das 1504 entstandene Bild gilt als eines der bedeutendsten Werke Cranachs. Das Gemälde wurde während des Zweiten Weltkrieges ohne seinen ursprünglichen Rahmen ausgelagert. Der bis dahin genutzte Bilderrahmen ging dabei verloren. Die West-bBerliner Gemäldegalerie suchte nach dem Krieg auf dem Kunstmarkt nach einem historisch passenden Ersatz und erwarb den aufwendig geschnitzten, seit nun 70 Jahren zu dem Gemäldegehörigen Rahmen. „Es ist kein Originalrahmen, aber dennoch ein historischer Rahmen, dessen Beschädigung mit einem Wertverlust einhergeht“. Auch für Lorenz ist ein Rahmen vielmehr als ein Schutzglas mit Holzummantelung. „Jeder Rahmen sagt etwas aus und ist immer auch ein Statement zum Werk“.

Ein Problem bei der Restaurierung ist, dass die Aktivisten die Etikette der Fläschchen, in denen sich der Sekundenkleber befand, abgenommen haben. Das sei ein Problem, weil die unterschiedlichen Arten von Klebern unterschiedliche Lösungsmittel benötigen. „Deswegen müssen wir uns mit verschiedenen Tests annähern, wobei wir Eingriffe in die Originalsubstanz unbedingt vermeiden müssen“.

Für die Restaurierung des Rahmens musste das Tafelgemälde entnommen werden. Diese Einzelteile – das Schutzglas, die Fassung, die Rahmenkeile und die hölzernen Abstandhalter und die Einlegeleisten liegen auf einem großen weißen Tisch in der Werkstatt. Daneben steht das Bild von Cranach, befestigt in einer Holzhalterung. Lorenz umwickelt einen kleinen Holzstab mit Watte und tunkt diesen in das Aceton. Die Stellen, die vollgeklebt sind, leuchtet er mit einer UV-Lampe an.

„Viele Klebstoffe fluoreszieren. Deswegen können wir durch das UV-Licht die Flecken besser erkennen und bearbeiten“. Neben Aceton stehen auch andere Lösungsmittel auf dem kleinen Tablettwagen, auf dem Lorenz seine Arbeitsgeräte positioniert hat – Petrolbenzin, Methoxypropanol und Shellsol.

Auch die Arbeit an diesem Rahmen werden insgesamt ein bis zwei Wochen in Anspruch nehmen, sagt er. Das sei auch hier aufwendig, weil die Werkstatt in der Gemäldegalerie nicht nur die tagtäglichen Restaurierungsarbeiten zu bewältigen habe, sondern auch für den Rahmenbau im internationalen Leihverkehr zuständig ist. Lorenz erzählt, dass das einen großen Teil seiner Arbeit ausmache.

Ähnlich wie Mösl sagt auch Lorenz, dass eine hermetische Absicherung eines Kunstwerks mit den historischen Rahmen nie die Regel sei. „Der Rahmen und die darin befindlichen Gemälde müssen immer zusammen gedacht werden, auch bei einem solchen Anschlag“.

Wenn man kompletten Schutz wolle, müsste jedes Kunstwerk mit seinem Rahmen in eine Vitrine gesteckt werden. „Das würde aber den Gemälden die Lebendigkeit nehmen. Ein solches Museum wäre nur noch eine Schutzkammer“. Auch darauf solle in der ganzen Debatte um die Letzte Genration geachtet werden, sagt Lorenz.

Sowohl Lorenz, als auch Mösl hoffen, dass es nicht weitere derartige Vorfälle bei den Staatlichen Museen zu Berlin gibt. „Klimaprotest ist richtig, aber über die Mittel muss diskutiert werden“, sagt Lorenz. „Museen bewahren und schützen Kulturgüter der Menschheit “, ergänzt Mösl – eigentlich eine Mission, die mit den Anliegen der Klimaschützer*innen einhergehen sollte.


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