Im Fokus 2017: Von der Pflicht, transparent zu sein

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Im Sommer 2017 beschäftigte der Umgang mit den außereuropäischen Sammlungen die deutschen Feuilletons besonders intensiv. Vor allem um Objekte aus kolonialem Kontext drehte sich die Debatte, die von der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy in Bezug auf das Humboldt Forum angestoßen worden war. Ein Thema, mit dem sich die Stiftung Preußischer Kulturbesitz seit einigen Jahren befasst. Wir sprachen mit Viola König, bis Ende 2017 Direktorin des Ethnologischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin, und Jonathan Fine, seit drei Jahren Kurator der Sammlungen Westafrika, Kamerun, Gabun, Namibia und Koordinator der Provenienzforschung am Museum.

Frau König, hat sich denn in den vergangenen Jahren wirklich so wenig getan, wie behauptet wurde?

Viola König: Das Ethnologische Museum hat immer Provenienzforschung betrieben. Das geht auch gar nicht anders, wenn man sich wissenschaftlich mit einer Sammlung beschäftigt. Aber ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als in der Kulturpolitik das Wort Restitution verpönt war. Da hat sich viel verändert. Nicht nur in Deutschland, sondern in verschiedenen Ländern Europas, vor kulturell und historisch verschiedenen Hintergründen.

Werden wir konkret. Vor Kurzem hat der Stiftungsrat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz der Rückgabe von Grabbeigaben an die Chugach-Community in Alaska zugestimmt. Sind Rückgabeforderungen Alltag oder Ausnahme?

König: Man kann nicht behaupten, dass unser Museum dauernd mit Rückgabeforderungen konfrontiert wäre. In diesem Fall war es so, dass wir in den Reiseberichten von Johan Adrian Jacobsen Hinweise darauf fanden, dass er sich Objekte durch Grabplünderung angeeignet hat. Als wir dann mit Vertretern der Chugach-Community diese Objekte bei uns identifiziert haben, war für uns völlig klar, dass wir die Objekte zurückgeben werden, und der Stiftungsrat aus Bund und Ländern hat dem auch zugestimmt. Die Museen müssen zu ihren Sammlungen detailliert Auskunft geben können, was die Herkunftsgeschichte angeht. Keine Frage, das ist unsere Verantwortung. Welche Haltung aber die Politik dazu einnimmt und was für Konsequenzen das im Umgang mit den Objekten hat, das ist die Frage der nächsten Jahre.

Das Ethnologische Museum hat immer Provenienz-forschung betrieben. Das geht auch gar nicht anders

Jonathan Fine: Als ich Ende 2014 im Ethnologischen Museum anfing, war ich überrascht, wie gering die Zahl der Rückgabeforderungen war. Ich glaube aber auch, dass mit dem Thema Restitution in der Öffentlichkeit meist ziemlich pauschal und undifferenziert umgegangen wird.

Nun könnten Kritiker ja behaupten, es gebe so wenige Rückgabeforderungen, weil die Vertreter der Herkunftsgesellschaften gar nicht in der Lage sind, Informationen in der nötigen Detailgenauigkeit herauszubekommen?

Fine: Das stimmt nicht immer. Ich habe kürzlich einen Museumskatalog von einem Museum in Kamerun gelesen, in dem die Geschichte der Eroberung geschildert wurde. Ich war überrascht, dass dort sogar unsere Inventarnummern verzeichnet waren. Es kann schon ein großes Wissen über unsere Sammlung vorhanden sein, das unseres weitgehend ergänzt. Aber es ist unsere Aufgabe, dies zu ermöglichen, also bedeutet das, dass wir größtmögliche Transparenz weltweit schaffen müssen.

Aber was brauchen Sie denn dazu, um das zu erreichen?

König: Nochmal: In der Provenienzforschung ist sehr, sehr viel geleistet und veröffentlicht worden. Jetzt muss es darum gehen, dieses Wissen, das international verstreut ist, zu lokalisieren und digital zugänglich zu machen.

Jonathan Fine, seit drei Jahren Kurator der Sammlungen Westafrika, Kamerun, Gabun, Namibia und Koordinator der Provenienzforschung am Ethnologischen Museum
Jonathan Fine, seit drei Jahren Kurator der Sammlungen Westafrika, Kamerun, Gabun, Namibia und Koordinator der Provenienzforschung am Ethnologischen Museum © SPK / photothek.net / Thomas Trutschel
Viola König, bis Ende 2017 Direktorin des Ethnologischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin
Viola König, bis Ende 2017 Direktorin des Ethnologischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin © SPK / photothek.net / Thomas Trutschel

Um das für das Archiv des Ethnologischen Museums zu tun, hat Ihnen die Deutsche Forschungsgemeinschaft ja nun gerade Mittel bewilligt. Digitalisiert werden alle Unterlagen bis zum Jahr 1947: Das sind rund 1.300 fadengehefteten Aktenbände, 200 Bände sogenannter Hauptkataloge und 85 Bände mit Posteingangsjournalen.

Fine: Das ist eine ganz große Hilfe, aber nur ein erster Schritt. Die Akten werden dadurch ortsunabhängig abrufbar. Gleichzeitig fehlt aber immer noch die Transkription und Übersetzung von diesen Dokumenten. Das heißt, wenn ich Kurrentschrift nicht lesen kann, dann bin ich in den Handschriften der Kolonialbeamten verloren. Generell muss man sagen, dass die Wissenschaftler in Deutschland und in den Herkunftsgesellschaften neue Formen brauchen, um ihr Wissen auszutauschen. Diese müssen wir jetzt aufbauen. Und es ist wichtig, dass nicht mehr Leute aus der ganzen Welt nach Berlin kommen müssen, um hier an einem Bestand zu arbeiten, sondern wir müssten umgekehrt mit den Sammlungen in die Welt gehen.

Wir sind jetzt schon sehr im Detail. Lassen Sie uns noch mal auf den Sommer 2017 zurückkommen. Was hat sich durch die Kritik von Bénédicte Savoy verändert?

Fine: Es gibt jetzt mehr Interesse an diesem Thema, es ist ja auch im Koalitionsvertrag als Punkt aufgeführt. Die Politik hat offenbar begriffen, dass die Museen mehr Unterstützung brauchen. Personell und finanziell.

Und was würden Sie sich konkret wünschen? Geht es wirklich nur um Geld oder müssen in der Provenienzforschung nicht auch Prioritäten gesetzt werden? Also Gewaltkontexte zuerst beispielsweise oder Konvolute, an denen ein besonderes Interesse besteht.

Fine: Ich finde, dass das eine sehr eurozentrierte Debatte ist. Um zu klären, wo wir unsere Prioritäten für die Provenienzforschung setzen und welche Kontexte wichtig sind, geht es nicht ohne die Kollegen aus den Herkunftsländern. Wenn wir den Dialog mit den Herkunftsgesellschaften nicht nur theoretisch verstehen, dann müssen wir ihn in der praktischen Ebene ganz wörtlich nehmen.

König: Wichtig ist, dass die Universitäten und die Museen eine starke Bereitschaft haben müssen, gemeinsam den Nachwuchs auszubilden. Wir brauchen mit der Materie vertrautes Personal, das relativ schnell die Aufgaben übernehmen kann. Leider hat eine ganze Generation jetzt emeritierter Professoren die wissenschaftliche Erforschung materieller Kultur nicht als seriöse Wissenschaft betrachtet. Das hat sich glücklicherweise in den letzten Jahren geändert. Jetzt kooperieren wir.

Fine: Die musealen Sammlungen sind – zum Beispiel im Vergleich zu Archiven – eine bisher relativ wenig erforschte Quelle für die Weltgeschichte. Auch das ist ein Thema der Provenienzforschung.

Sie haben davon gesprochen, dass der Dialog mit den Herkunftsgesellschaften ganz praktisch geführt werden soll. Welche Erfahrungen haben Sie bisher eigentlich gemacht?

König: Es gab nie aggressive, einklagende oder beklagende Gespräche, sondern immer den Willen zur Kooperation. Da gibt es auch manchmal Rückschläge, einige Kontakte sind auch wieder eingeschlafen. Es ist aber wichtig, dass wir solche Kooperationen lebendig halten, was natürlich über die lange Entfernung manchmal gar nicht so einfach ist. Die involvierten Personen kommen und gehen auf beiden Seiten. Man muss Ausdauer und Langfristigkeit der Beziehungen anstreben.

Fine: Ich habe eine Bandbreite der Emotionen erlebt – von Neugier bis zu tiefer Trauer. Manche Leute, die gekommen sind, waren einfach sehr interessiert, zu sehen, was überhaupt vorhanden ist, bei anderen, meist persönlichen Sachen, wo eine Familiengeschichte dranhängt, herrschte eine sehr, sehr tiefe Traurigkeit.

Aber wenn die Objekte solch persönliche Emotionen auslösen, warum gibt es dann so wenig Forderungen nach Rückgabe?

Fine: Es gibt viele Gründe, glaube ich. Es mangelt oft an Information. Möglich ist auch, dass da eine schwierige Vergangenheit aufscheint, die man nicht wieder beleben möchte. Oder man fürchtet politische Ergebnisse, die man vermeiden möchte. Für uns besteht die Pflicht darin, offensiv transparent mit unseren Beständen umzugehen. Und auch der landläufigen Meinung, dass keine Kunst mehr vor Ort ist, sollten wir entgegentreten: Es gibt natürlich Regionen in Afrika, wo sehr viel genommen wurde und die Objekte fast ausschließlich in Europa zu sehen sind, aber für etliche Regionen in Westafrika ist es so, dass die besten Sammlungen afrikanischer Kunst- und Kulturgegenstände immer noch vor Ort sind. Aber meist sind sie nicht zugänglich. Es kann durchaus sein, zum Beispiel, dass eine Sammlung in Kamerun schwerer zugänglich ist als in Paris oder Berlin. Vielen afrikanischen Staaten mangelt es an finanzieller und wissenschaftlicher Unterstützung für die Museen vor Ort und die dauerhaft öffentlich zugängliche Präsentation ihrer Objekte.

Wären hier nicht auch die deutschen Museen gefordert?

Fine: Es gibt viele Bereiche, in denen wir unsere Kollegen in Afrika unterstützen können, aber auch umgekehrt. Konservierung und Restaurierung, zum Beispiel. Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir sie auch in unsere Konservierungsprozesse einbinden würden. Da gibt es großen Bedarf.

Es wird nie fertig sein, weil man immer tiefer in die Geschichte des Objekts eintauchen kann, wenn man das will.

König: Das ist ganz wichtig. Wenn man indonesische Schattenspielfiguren restauriert, dann kann man für die Behandlung der Farben natürliches Eiweiß wie vor Ort verwenden oder aber haltbare chemische Substanzen einsetzen, wie dies deutsche Restauratoren lange Zeit taten. Kuratoren heute wünschen, dass traditionelle Fachkenntnisse der Herkunftsgesellschaften zu Rate gezogen werden. Das erfordert ein Umdenken bei den Restauratoren.

Wir haben jetzt viel über den Dialog mit Herkunftsgesellschaften gesprochen und noch zu wenig über die Systematik der Provenienzforschung. Wann ist eine Provenienz eigentlich geklärt?

Fine: Das kann man so pauschal nicht sagen. Neue Informationen ziehen immer neue Interpretationen nach sich. Wenn es nur darum geht zu klären, ob ein Objekt aus einem unmittelbaren Gewaltkontext stammt, dann ist das möglicherweise relativ schnell möglich. Aber das allein ist nicht Provenienzforschung. Um auf Ihre Frage zu antworten: Es wird nie fertig sein, weil man immer tiefer in die Geschichte des Objekts eintauchen kann, wenn man das will. Und das führt dann immer wieder zu anderen Perspektiven.

Na gut, aber Sie werden ja im Humboldt Forum dem Besucher klar machen müssen, woher die Dinge stammen, die Sie zeigen.

Fine: Das werden wir auch. Wir werden bei den Objekten auf die Erwerbungsgeschichte eingehen und in bestimmten Ausstellungsbereichen weiter in die Details gehen. Zum Beispiel im Bereich Kamerun. Dort zeigen wir den Besuchern, wer die Objekte sammelte, unter welchen – oft unterschiedlichen – Umständen, warum sie gesammelt und falls bekannt, von wem sie erworben wurden. Es geht nicht nur um die deutschen, sondern auch um die verschiedenen afrikanischen Akteure. Es muss Ausstellungen geben, die zeigen, wie unterschiedlich die Situation der Erwerbung war – von Geschenken über Kauf bis zu Wegnahme und Raub. Dafür braucht es neue Formen, und zwar in der Ausstellung wie in der Vermittlung. Provenienz zu zeigen, heißt nicht, dass wir ein Schildchen an die Wand hängen, auf dem wir alle bekannten Eigentümer nacheinander abhandeln.

Eine letzte Frage: Muss und kann denn alles erforscht sein, was ins Humboldt Forum kommt?

König: Wenn wir nur Objekte ausstellen, die ausgeforscht sind, dann können wir wichtige Aussagen, die die Objekte vermitteln, überhaupt nicht zeigen. Zudem finde ich es wichtig, dass die Besucher erfahren, wie weit der Stand der Forschung ist. Aber ebenso wichtig wird es in der Zukunft sein, neue Erkenntnisse hinzuzufügen oder einen überholten Kenntnisstand zu revidieren. Und noch eines: auch in der Provenienzforschung stoßen wir unter Umständen an den empfindlichen Punkt der Deutungshoheit. Wer autorisiert, was im Humboldt Forum zu sehen und zu lesen sein wird?

Korrigendum:
 
Im Jahresbericht 2017 wird das Projekt museum4punkt0 vorgestellt. Hieran beteiligt sind neben Museen aus Bremerhaven, München, Görlitz, Berlin und Bad Dürrheim auch das Fasnachtsmuseum Schloss Langenstein bei Eigeltingen

Hinweis zur Abbildung auf Seite 72 "Lothar Meggendorfer: Im Stadtpark. Ein Bilderbuch zum Aufstellen mit ausgeschnittenen Figuren, Braun & Schneider, München 1887. 3D-Visualisierung: Projekt BeWeB-3D, Staatsbibliothek zu Berlin, in Kooperation mit ZEDIKUM, Staatliche Museen zu Berlin": Meggendorfers "Stadtpark" zählt zur Gruppe der Aufstellbilderbücher, deren Bindung eine variable Entfaltung der Szenerie ermöglicht. Um diese interaktive Dimension im Digitalen zu bewahren, wurden die Einzelblätter digitalisiert und mittels Animationssoftware verknüpft. Im Zuge von museum4punkt0 wird untersucht, wie Spielprinzipien der Bewegungsbücher als Basis für Game-Prototypen im musealen Kontext genutzt werden können.