Shared Heritage

Gemeinsam geerbt: Das Humboldt Forum als Epizentrum des Shared Heritage

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Wir verwalten die Kulturgüter der Menschheit gemeinsam. Also sollten wir auch die Nationen an ihnen teilhaben lassen, die wir einst als Kolonien unterwarfen.

Wer in das Tourismusbüro des Majuro-Atolls kommt, erhält eine Broschüre mit dem Titel „Germans in the Marshall Islands“. Auf dem Deckblatt sind die Dienstflagge des deutschen Reichskolonialamts und eine Briefmarke der kaiserlichen Yacht „S.M.S. Hohenzollern“ abgebildet. Im Heft wird das einzige noch intakte Holzgebäude der deutschen Kolonialzeit als Sehenswürdigkeit angepriesen. Von der anderen Seite Mikronesiens, aus Palau, stammt aber auch ein traditionelles Männerhaus von 1905, das Teil des Ethnologischen Museums in Berlin und bald im Humboldt Forum zu sehen ist. Weil das Männerhaus in die Jahre gekommen ist, gibt es das Angebot aus dem Inselstaat, das Dach mit alten Handwerkstechniken neu decken zu lassen.

Shared Heritage

© SPK / Stefan Müchler

Der Umgang mit dem Männerhaus von Palau ist ein gutes Beispiel für shared heritage. Gemeint sind damit Teilhabe, Mitwirkung und Mitverantwortung. Dies gilt auch für die Arbeit des chinesischen Künstlers und Architekten Wang Shu, der im Humboldt Forum einen gewaltigen Saal zur Präsentation chinesischer Hofkunst gestaltet. Kulturgüter tragen etwas Verbindendes in sich, das aktiviert werden muss, um seine Wirkung zu entfalten. Die Formen der Aktivierung sind dabei vielfältig und auch abhängig von der Art der Kulturgüter und den jeweiligen historischen, aber auch politischen Kontexten. Im Zentrum von shared heritage steht der Gedanke, dass das kulturelle Erbe von den Museen lediglich verwahrt wird, grundsätzlich aber als Besitz der ganzen Menschheit gilt. Gelten kann dieser Grundsatz jedoch nur unter der Voraussetzung legalen Erwerbs. Shared heritage ist damit in gewisser Weise ein postnationales Programm, das jedoch auch eine entsprechende Geisteshaltung bei allen Beteiligten voraussetzt.

Mit shared heritage kann nicht gemeint sein, Vertreter aus den Ursprungsländern mit einer typisch westlichen Beruhigungspille abzuspeisen.

Ein gemeinsamer Weg zum Umgang mit Geschichte

Szenenwechsel, Tausende Kilometer südwestlich von Palau: Tansania, ehemals Deutsch-Ostafrika. Wer hierherkommt und sich als Berliner Museumsmann zu erkennen gibt, ist unmittelbar konfrontiert mit einem der blutigsten Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte. Der Maji-Maji-Aufstand von 1905 bis 1907, der von deutschen Kolonialtruppen brutal niedergeschlagen wurde und Tausende das Leben kostete, ist kein Thema nur für die Geschichtsbücher, sondern auch für eine lebendige Auseinandersetzung. Das Zauberwort shared heritage verfängt hier nicht sofort; denn es geht um Kriegsbeute und Kolonialismus, um Unrecht und antikolonialen Widerstand. Und trotzdem geht es auch hier darum, einen gemeinsamen Weg zum Umgang mit dieser Geschichte zu finden. Deshalb wollen wir den Maji-Maji-Aufstand mit Wissenschaftlern aus Tansania aufarbeiten und im Humboldt Forum erzählen. Dieser Weg mag mühsam, dornig und auch nicht risikofrei sein; aber für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und ihre Staatlichen Museen ist er zwingend.

Während das Deutsche Historische Museum seine Ausstellung zum deutschen Kolonialismus zeigt, überlegen wir für das schräg gegenüberliegende Humboldt Forum, wie wir mit den Sammlungen aus dem Ethnologischen Museum und dem Museum für Asiatische Kunst umgehen wollen. Wir wissen natürlich, dass mit shared heritage nicht gemeint sein kann, Vertreter aus den Ursprungsländern mit einer typisch westlichen Beruhigungspille abzuspeisen, sondern dass wir die Bedürfnisse derer, mit denen wir unser Wissen teilen wollen, ernst nehmen und den Kontakt mit den Herkunftsgesellschaften offen, flexibel und ehrlich gestalten müssen.

Wang Shu: Entwurfsskizze für den Bereich "Imperiales China" im zukünftigen Humboldt Forum, 2014
Wang Shu: Entwurfsskizze für den Bereich "Imperiales China" im zukünftigen Humboldt Forum, 2014 © Wang Shu
Wissenschaftliche Ergebnisse von Afrika-Expeditionen wurden zur Kolonialzeit im Zoo ausgestellt: Plakat von Hans Rudi Erdt, 1909
Wissenschaftliche Ergebnisse von Afrika-Expeditionen wurden zur Kolonialzeit im Zoo ausgestellt: Plakat von Hans Rudi Erdt, 1909 © Foto: Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz

Warum sollten Exponate nicht öfter reisen?

Das bedeutet, dass das in Berlin verwahrte kulturelle Erbe auch den Herkunftskulturen zur Verfügung stehen muss. Dabei geht es auch um eine Art Dekolonialisierung und Demokratisierung der Museen. Wichtig sind dabei erstens die Einbeziehung von Kuratoren aus den Ursprungsländern und das Aufbrechen von alten Deutungshierarchien. Die Geschichten der Objekte erhalten neue Perspektiven und weitere Bedeutungsebenen, wenn wir die Präsentation der Amazonien-Sammlung in Zusammenarbeit mit Vertretern der indigenen Universität von Tauca in Venezuela erarbeiten.
Zweitens ist entscheidend, dass das hier versammelte materielle Wissen über die Kulturen der Welt jedermann allumfassend zugänglich gemacht wird, weshalb die digitale Bereitstellung eine zentrale Aufgabe ist. Und warum sollte man drittens Teile der Sammlungen bei entsprechenden konservatorischen Voraussetzungen nicht auch häufiger reisen lassen? Denkbar ist, mit den Museen der Herkunftsländer in eine viel engere Kooperation einzutreten und Bestände zeitweise für Wechselausstellungen auszutauschen, in die eine wie in die andere Richtung, was gerade unseren Kollegen in Afrika ein wichtiges Anliegen ist. Das Humboldt Forum könnte das Epizentrum einer solch neuartigen Beziehung mit der Welt sein. Und viertens kann zu einer gleichberechtigten Partnerschaft im Einzelfall sehr wohl auch die Rückgabe einzelner Objekte gehören, wenn diese nachweislich illegal erworben sein sollten. Denn shared heritage kann immer nur so gut sein wie die entsprechende Provenienzforschung, und ein Maximum an Transparenz über die Erwerbungsumstände ist – fünftens – unabdingbare Voraussetzung für jegliche Zusammenarbeit.

Das Humboldt Forum könnte das Epizentrum einer neuartigen Beziehung mit der Welt sein.

Gerade Berlin trägt hier eine besondere Verantwortung, nicht nur wegen der Kolonialverbrechen an den Herero und Nama in Namibia oder im Kontext des Maji-Maji-Aufstandes in Tansania. Auf der Berliner Kongo-Konferenz von 1884/85 wurde die koloniale Aufteilung Afrikas unter der Moderation Otto von Bismarcks endgültig festgeschrieben. Sie war der Startschuss für eine teilweise menschenverachtende Unterjochung des afrikanischen Kontinents. Es ist überfällig, daran auch in Berlin mit einem sichtbaren Zeichen zu erinnern.

Es ist richtig, dass Kolonialgeschichte immer eine Geschichte von ungleicher Macht, Repression und Rassismus ist. So, wie jede Geschichte ihre zwei Seiten hat, wird der Besucher bei der Präsentation der bronzenen Reliefplatten aus Benin, die zu den Höhepunkten westafrikanischer Kunst im Humboldt-Forum gehören, künftig auf der Vorderseite die kunstvollen Darstellungen dieser Stücke bewundern können, während ihn die Rückseiten mit der Erwerbungsgeschichte konfrontieren: Interviews, Filme und Fotos thematisieren dort Ursache und Folgen der Kolonialisierung mit den Stimmen der Opfer; auch das ist shared heritage.

Durch Ankäufe systematisch erworben

Deshalb ist die Befürchtung abwegig, eine Ausstellung mit in dieser Zeit entstandenen Sammlungen im Humboldt-Forum würde noch im 21. Jahrhundert koloniale Präsentationsmuster im Sinne einer Zurschaustellung exotischer Kuriositäten auf Kosten der Ursprungskulturen reproduzieren, was das Ziel eines gleichberechtigten Miteinanders in unserer von Zuwanderung geprägten Gesellschaft konterkarieren würde.

Es ist ferner daran zu erinnern, dass ein Großteil der Bestände des Ethnologischen Museums gar nicht aus ehemaligen deutschen Kolonien stammt, sondern durch Ankäufe in aller Welt systematisch erworben oder im Zuge von Forschungsreisen zusammengetragen wurde. Die Sammlungen gehen damit zwar schon auch auf koloniale Macht, aber vielmehr noch auf universale Gelehrsamkeit und das Interesse an fremden Kulturen zurück. Schon Alexander von Humboldt bemerkte mit Blick auf Naturvölker am Orinoco, dass wir auch die Kulturentwicklungen in den entferntesten Gegenden kennen müssen, wenn wir diese eine Welt in ihrer Gesamtheit verstehen wollen.

Die wichtigste Mission des Humboldt Forums

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir ohne das Humboldt-Forum im wieder aufgebauten Berliner Schloss die Debatte über den deutschen Kolonialismus und seine Folgen heute anders führen würden. Deutschland hat viele völkerkundliche Sammlungen und wunderbare Museen, aber bisher kein Haus, das Europa und Globalisierung, Menschheitsgeschichten in ihrer ganzen historischen Tiefe und Debatten der Gegenwart zugleich zum Thema hat. Gerade die Sammlungen bieten ein schier unendliches Potential für Kooperationen, Koproduktionen und Vernetzung mit der ganzen Welt. Wir müssen sie zu Trägern einer neuartigen, intensiven, dauerhaften Kommunikation mit den Kulturen und Ländern machen, aus denen sie stammen. Im Sinne von shared heritage müssen wir die Objekte und Kunstwerke gemeinsam entschlüsseln und ihnen ihre Geschichten entlocken. Nur dann können sie neues Wissen über die Welt vermitteln und alte, falsche Denkmuster aufbrechen.

Und dies ist heute dringlicher denn je, denn die Welt ist gehörig durcheinandergeraten. „Clashes of civilizations“ allerorts und zunehmend beängstigende Fremdenfeindlichkeit in Deutschland und Europa trotz einer notwendigerweise immer multiethnischer werdenden Bevölkerung machen ein Humboldt-Forum nötiger denn je. Was wir gegenwärtig erleben, ist nicht nur eine Folge von Armut und Perspektivlosigkeit. Bildung ist eine der entscheidenden Waffen gegen Vorurteile und Extremismus, und das ist es, was Museen und Kultureinrichtungen insgesamt beim Kampf gegen Isolierung und Xenophobie in die Waagschale werfen können: Sie haben das Potential, den Menschen Toleranz und Respekt gegenüber anderen Kulturen zu vermitteln. Das ist heute die vielleicht wichtigste Mission des Humboldt-Forums im neuen Berliner Schloss.


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