Kaiser Wilhelm am Kilimandscharo

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Am höchsten Berg Afrikas gab es zu Kolonialzeiten viele Gletscher, Spitzen und Kegel, die deutsche Namen trugen. Nach welchem Prinzip sie vergeben wurden, untersucht Wolfgang Crom von der Staatsbibliothek zu Berlin.

Wolfgang Crom war nie am Kilimandscharo. Und trotzdem kennt er ihn wie seine Westentasche: vor allem seine Gletscher, Zungen und Scharten, seine Felsen, Hügel und Vulkankegel. Wolfgang Crom, den studierten Geographen, interessieren die verschiedenen Landschaftselemente am höchsten Berg Afrikas, ihre Namen und Bezeichnungen, besonders die kolonialen Namen. Denn der Kilimandscharo gehörte von 1885 bis 1918 zum Kolonialbesitz des Deutschen Kaiserreiches, er war Teil der Kolonie Deutsch-Ostafrika. Sein Gipfel hieß, der Logik des kolonialen Imperialismus ganz entsprechend: Kaiser-Wilhelm-Spitze.

So steht es denn auch in den Karten von damals. Aber wie ist dieser Name genau entstanden? Gab es ein Prinzip, nach dem Ortsnamen, sogenannte Toponyme, damals vergeben und verwendet wurden? Und was ist das eigentlich: Kolonialkartographie? Das sind die Fragen, die Wolfgang Crom umtreiben und über die er forscht. Als Leiter der Kartenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin sitzt er an der Quelle. 1,2 Millionen Karten auf Papier umfasst die Sammlung des Hauses, dazu 250.000 digitale Karten, zehntausende Ansichten, Atlanten und Pläne und nicht zuletzt 800 Globen. Sie alle werden in diesen Monaten im neu sanierten Bibliotheksgebäude Unter den Linden vereint. „Wir stecken mitten im Umzug vom Haus an der Potsdamer Straße. Gerade sind die Globen dran“, sagt Crom. Recherchen werden künftig noch komfortabler: Forscher und Studierende werden nicht mal eine Stunde warten müssen, bis sie ein gewünschtes Blatt vorgelegt bekommen.

Auch jene auf Peilungen basierende Karten gehören zu der Sammlung, die Hans Meyer nach seinen Expeditionen an den Kilimandscharo angefertigte und veröffentlichte. Der wohlhabende Spross aus der Leipziger Verlegerfamilie, bekannt für Meyers Konversations-Lexikon, machte zahlreiche Forschungsreisen rund um die Welt. Dabei war er durchaus auch ein Kind seiner Zeit, das den Rassismus mittrug und der oft damit verbundenen brutalen Unterdrückung der Menschen nichts entgegensetzte. Um den Kilimandscharo zu besteigen, unternahm er mehrere Anläufe, bis er endlich im Oktober 1889 die höchste Spitze des Kraterrandes erreichte. Nie zuvor hatte ein Europäer diesen Berg bestiegen. Nördlich des Mittelmeeres hatte man sogar lange geleugnet, dass es im tropischen Afrika überhaupt schneebedeckte Berge geben könne. Schnee auf dem Kilimandscharo? Eine Sinnestäuschung!

Meyer, der gelernte Ökonom, schrieb spannende, populärwissenschaftliche Berichte über seine Abenteuer, ergänzt durch Karten in verschiedenen Maßstäben. Die Erstürmung des Gipfels sah er als große nationale Tat – und taufte die Gipfelspitze gleich auf den Namen des deutschen Herrschers. Überhaupt betätigte er sich gern und ausgiebig als Namenschöpfer. In seinen Karten finden sich zahlreiche personenbezogene Toponyme: die „Purtscheller Spitze“, benannt nach dem österreichischen Alpinisten Ludwig Purtscheller, der Meyer bei seinem Aufstieg sozusagen den Weg freistapfte. Oder der Ratzel-Gletscher, mit dem Meyer den bekannten Geographen Friedrich Ratzel ehren wollte.

Dabei sah sich Meyer auch als Wissenschaftler. Vor allem von den Glaziologen wollte er anerkannt werden, den Gletscherforschern, deren Fach damals gerade begründet wurde. Und tatsächlich war Hans Meyer der erste, der bewies, dass es auch im tropischen Hochgebirge Ostafrikas eine ausgeprägte Eiszeit gegeben hatte, mit dem dazugehörigen typischen Formenschatz. Er zeigte, dass auch auf dem Kilimandscharo die Gletscher dabei waren abzuschmelzen. Den Credner-, Drygalski-, Penck- und Heim-Gletscher benannte er nach verdienstvollen Glaziologen. Anderen Gletschern gab er die Namen bedeutender Forscher: für den Rebmann-Gletscher zum Beispiel stand Johannes Rebmann Pate, der Missionar und Sprachforscher, der den Kilimandscharo im Mai 1848 als erster Europäer gesehen und über ihn berichtet hatte.

Landkarte mit Gipfel des Kilimandjaro
Ausschnitt aus der Spezialkarte des Kilimandjaro 1:100.000 von Hans Meyer in der Bearbeitung von Paul Krauss aus dem Jahr 1900 mit dem vergletscherten Gipfelbereich. SBB: Us 1109-51_Beilage
Landkarte mit Gipfel des Kilimandjaro
Wolfgang Crom, Leiter der Kartenabteilung, Staatsbibliothek zu Berlin © Wolfgang Crom
Detail aus der Landkarte mit dem Kibo-Gipfel
Ausschnitt des Kibo-Gipfels mit den von Hans Meyer benannten Gletschern aus der Spezialkarte des Kilimandscharo 1:100.000 von Hans Meyer in der Bearbeitung von Paul Krauss aus dem Jahr 1900. SBB: Us 1109-51_Beilage

Karten bilden den geographischen Raum nicht nur einfach ab. Sie schaffen Fakten.

Meyer wählte die Bezeichnungen also nicht zufällig. Das festzustellen, darauf legt Wolfgang Crom, der Berliner Kartenforscher, großen Wert. „Dazu gehört auch, dass Meyer für einen Kolonisator zurückhaltend vorging und die von der örtlichen Bevölkerung verwandten Bezeichnungen achtete“, sagt Crom. Sicher, da gibt es die Kaiser-Wilhelm-Spitze und auch den Bismarck-Hügel und den Moltke-Stein. „Aber nach Carl Peters, dem grausam herrschenden kaiserlichen Reichskommissar für das Kilimandscharo-Gebiet, hat Meyer keinen von ihm erforschten Ort benannt“, weiß Crom. Stattdessen finden sich bei Meyer zahlreiche Namen von Höhlen und Gewässern, die auch die örtlichen Ethnien verwandten und die von ihm eigens ermittelt wurden, etwa der Muë-Bach, der von den Dschagga stammt, einem Volk an der Südflanke des Gebirges, das für seine kluge Wasserwirtschaft bis heute bekannt ist.

Karten gelten gemeinhin als Symbole der Macht. Sie bilden den geographischen Raum nicht nur einfach ab. Sie schaffen Fakten. Natürlich sollten die Karten vom Kilimandscharo auch dazu beitragen, dass die Menschen in Deutschland sich mit der Kolonialisierung identifizieren konnten. „Einfach gesagt: Über die Karte kam die Kolonie in die Wohn- und Klassenzimmer.“ Exonyme, also deutsche Namen und Ortsbezeichnungen, brachten die wirtschaftliche, militärische oder wissenschaftliche Überlegenheit zum Ausdruck, sie verdeutlichten die imperiale Zugehörigkeit und das koloniale Selbstverständnis.

Meyer hatte bei seiner Namenswahl aber auch andere Motive. So wählte er deutsche Namen vor allem nur für solche Orte, für die es keine indigenen Bezeichnungen gab. Oder die von verschiedenen Ethnien unterschiedlich benannt wurden – und deren Übersetzungen unklar waren. Denn es gehörte zum üblichen Vorgehen, dass die europäischen Kolonisatoren die Menschen vor Ort nach den Bezeichnungen der Flüsse, Orte und Plateaus zwar befragten – dann aber die Antworten schlichtweg nicht immer verstanden oder falsch deuteten.

Die koloniale Verwaltung jedoch verlangte Klarheit. Seit 1892 war die „Kommission zur Regelung der einheitlichen Schreib- und Sprechweise der geographischen Namen in den deutschen Schutzgebieten“ um Ordnung bemüht, wobei auch bei ihr das Prinzip galt, vor allem die indigenen Namen zu verwenden. Ziel war es, Namen amtlich festzulegen. Von diesem Bemühen zeugt auch der „Große Deutsche Kolonialatlas“, ein in seinem Umfang und seiner Präzision beeindruckendes Werk, das 1901 am „Kolonialkartographischen Institut“ herauskam, auf Rechnung und im Auftrag des Auswärtigen Amts. Immer wieder mussten die akribischen Kartographen die einzelnen Blätter überarbeiten, um die Ergebnisse der jüngsten geographischen Erkundungen zu manifestieren oder um Neubenennungen aufzunehmen.

Die Kartierung war nötig, um die Kolonien erschließen, um planen und verwalten zu können. Wie aber kamen die Namen in die Karten? Nicht immer ist das ganz klar. Etwa bei dem Namen Kilimandscharo selbst. Es war Johannes Rebmann, der ihn in Europa einführte. Aber wie kam er darauf? Und hat er da vielleicht etwas missverstanden? Rebmann hatte die Bezeichnung nach eigenen Angaben von den Bewohnern des Küstengebiets um Mombasa übernommen, wo er als Missionar stationiert war. „Großer Berg“ heiße das. Später erwähnte er einen weiteren Namen: Kibo, was in der Sprache der Dschagga, die am Berg selbst leben, soviel wie Schnee oder Kälte bedeute. Aber was genau soll das beschreiben? Dass das Gebirgsmassiv insgesamt nicht nur einen, sondern drei Gipfel hat, die voneinander unterschieden werden mussten, macht die Bezeichnungen und Zuordnungen nur noch schwieriger. „Es lässt sich wohl nicht mehr klären, ob Kilimandscharo ursprünglich überhaupt ein Toponym war und ob die Bewohner tatsächlich einen Namen für das gesamte Bergmassiv hatten“, sagt Wolfgang Crom. Fest steht: Der Begriff „Kilimandscharo“ etablierte sich für das gesamte Vulkanmassiv, vielleicht weil es in europäischen Ohren so exotisch klingt.

Die Briten mögen also ganz froh gewesen sein, dass all die Hügel, Kämme, Gletscher und Grate schon einen festen, in Karten beschriebenen Namen hatten, als sie später das Gebiet als Mandatsmacht übernahmen. Schon zuvor hatten der britische Generalstab und die britische Vermessungsbehörde damit begonnen, die umfangreichen deutschen Kartenblätter nachzudrucken – und dabei viele der von den deutschen Kolonisatoren vergebenen Ortsnamen übernommen. Auch das ist ein wichtiges Fazit, das Wolfgang Crom aus seinen Forschungen zieht: So mancher deutsche Name am Kilimandscharo ist bis heute international in Gebrauch. Touristen, die den höchsten Berg Afrikas hinaufmarschieren wollen, finden in ihren Trekkingkarten zum Beispiel noch immer die Bismarck Towers. An einem Kraterrand liegt die Hans-Meyer-Sparte, ein vulkanischer Wall zwischen zwei Gletschern ist der Hans-Meyer-Grad – und der höchste Gipfel des Mawensi, der zweiten Spitze am Kilimandscharo-Massiv, heißt international Hans-Meyer-Peak. Die Gletscher sind stark zerklüftet und längst fast völlig geschmolzen. Ihre Namen in den alten Karten bleiben.


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