Neue Neue Nationalgalerie: Räumen und Reparieren (Teil 1)

Artikel

Lesezeit: ca.  min

Die denkmalgerechte Sanierung der Neuen Nationalgalerie ist ein Mammutprojekt: Seit 2015 wurde Mies van der Rohes Architektur-Ikone entkernt, alle zehntausende Originalteile vom Lichtschalter bis zu den Garderoben wurden ausgebaut, restauriert und eingelagert.

Glaubt man Martin Reichert, dann liegt es am Respekt vor Ludwig Mies van der Rohes Vermächtnis, dass die Neue Nationalgalerie in nahezu 50 Jahren keine nennenswerten Veränderungen erfahren hat. Der intensive Ausstellungsbetrieb mit Millionen von Besuchern seit der Eröffnung 1968 habe dem Haus am Kulturforum jedoch viel abverlangt, sagte der Architekt und Partner bei Chipperfield Architects im Gespräch 2015. Damals war klar: Eine Sanierung und behutsame Modernisierung des berühmten Denkmals war mehr als überfällig.

Die Neue Nationalgalerie vor der Sanierung

Die Neue Nationalgalerie vor Beginn der Sanierung, Ende 2015 © Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich

Glaubt man Martin Reichert, dann liegt es am Respekt vor Ludwig Mies van der Rohes Vermächtnis, dass die Neue Nationalgalerie in nahezu 50 Jahren keine nennenswerten Veränderungen erfahren hat. Der intensive Ausstellungsbetrieb mit Millionen von Besuchern seit der Eröffnung 1968 habe dem Haus am Kulturforum jedoch viel abverlangt, sagte der Architekt und Partner bei Chipperfield Architects im Gespräch 2015. Damals war klar: Eine Sanierung und behutsame Modernisierung des berühmten Denkmals war mehr als überfällig.

Das Büro von David Chipperfield ist für dieses Vorhaben ein optimaler Partner, denn Chipperfield und sein Team hatten bereits bei zahlreichen anderen Sanierungen, etwa des Neuen Museums (Eröffnung 2009), Erfahrungen beim Umgang mit Baudenkmälern und deren Modernisierung gesammelt. „Das Neue ergänzt das Alte, behutsam, aber auch selbstbewusst“, fasst Chipperfield sein Credo zusammen.

Bei Mies van der Rohe spielt die Erhaltung des Originalzustands eine besonders wichtige Rolle. So ist zum Beispiel die präzise Kontrastierung der kühlen Glas-Stahl-Architektur mit warmen Holztönen und grünem Marmor mit großer Liebe zum Detail konzipiert und macht die Qualität von Mies‘ Architektur aus.

Beräumung und Demontage

Von Vornherein war also klar, dass Mies‘ Ikone der Moderne so original wie möglich erhalten bleiben sollte, auch wenn das zusätzliche Kosten und Aufwand bedeutet. Materialien und Interieurs sollen nicht ersetzt, sondern aufgearbeitet werden – dies betrifft sowohl die Granitplatten der Terrasse und der großen Halle als auch alle Holzverkleidungen und historischen Möbel, wie etwa die berühmten Barcelona Chairs. „Die Bewahrung der ursprünglichen Ästhetik und Materialien ist bei solch einem ikonischen Haus sehr wichtig“, erklärte Joachim Jäger, Leiter des Museums, zu Beginn der Sanierung. Das Bekenntnis zum Original bedeutet eine logistische Mammutaufgabe: Über 10.000 Objekte mussten demontiert, erfasst und zentral eingelagert werden, bevor sie schließlich auf spezialisierte Werkstätten verteilt und restauriert werden konnten. Anhand penibel geführter Rückverortungs-Pläne soll am Ende alles wieder exakt an seinen Ursprungsort zurück gelangen. „Wir zerlegen den Mies-Tempel einmal in seine Einzelteile und setzen ihn dann wieder zusammen“, sagte Martin Reichert.

Seit den ersten Planungen und der langwierigen Konzeptionsphase im Vorfeld der Sanierung ist viel geschehen. Der erste Schritt war die Beräumung und Demontage des Museums bis Ende 2016, um das Haus wieder in einen Rohbau zurück zu verwandeln. Die Reihenfolge der Demontage musste zuvor festgelegt, Lagerkapazitäten in ganz Berlin geklärt und ein Inventarisierungssystem mit Datenbank vorbereitet werden. Im Sommer 2016 warteten im Untergeschoss des Hauses unzählige originale Mies-Möbelstücke, Haustelefone, Klingelknöpfe, Alarmglocken, Lichtschalter, Steckdosen und Beschilderungen fein säuberlich beschriftet auf ihren Abtransport.

Historische Einbauteile in der Neuen Nationalgalerie warten auf ihre Inventarisierung
Historische Einbauteile in der Neuen Nationalgalerie warten auf ihre Inventarisierung © Staatliche Museen zu Berlin / schmedding.vonmarlin.
Der Holzrestaurator Wolfgang Dammbacher bringt Testanstriche auf dem Tresen für die Bemusterung auf.
Der Holzrestaurator Wolfgang Dammbacher bringt Testanstriche auf dem Tresen für die Bemusterung auf. © Staatliche Museen zu Berlin / schmedding.vonmarlin.
Depot in Oberschöneweide
Depot in Oberschöneweide © SPK / Pierre Adenis

Denkmalgerechter Umgang mit Materialien

Die Originalmaterialien und Einbauten aus der Ursprungszeit der Neuen Nationalgalerie zu erhalten, bedeutete auch, sie professionell zu untersuchen und individuelle Restaurierungsmaßnahmen zu planen. „Wir müssen die Materie ernst nehmen“, sagte Martin Reichert damals über die Restaurierungsarbeiten. Die Herausforderungen waren vielfältig, denn die Materialien, mit denen die Fachleute es zu tun hatten, reichten von Marmorverkleidungen im Obergeschoss über die Holzoberflächen der Garderoben bis zu Glasscheiben, Anstrichen und auch scheinbar Nebensächlichem wie den Waschbecken oder Vorhangschienen. Vor allem bei den technischen Anlagen stellte sich die originalgetreue Restaurierung wegen der technologischen Sprünge der letzten 50 Jahre oft als schwierig heraus; öffentlich sichtbare Details der Haustechnik wie Steckdosen und Lichtschalter, Lüftungsgitter oder Leuchten wurden nach Möglichkeit technisch ertüchtigt.

Um dieser großen Aufgabe gerecht zu werden, konnten die Architekten und Ingenieure auf die Hilfe von Bau-Restaurierungsprofis zurückgreifen: Die Firma „ProDenkmal“, die sich auf denkmalgerechte Restaurierung von Bauteilen und Oberflächen innen und außen spezialisiert hat, hatte bereits seit 2013 an einem Konzept für den Umgang mit Holz, Stein und Metall gearbeitet.

Wie komplex die Problemstellungen teilweise waren, zeigte etwa der Umgang mit den Holzoberflächen. Mies verwendete in vielen seiner Interieurs English Brown Oak (Brauneiche), so auch in der Neuen Nationalgalerie. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine eigenständige Holzart; vielmehr ist es normales Eichenholz, das sich wegen einer durch einen Pilz ausgelösten Rotfäule in dunkelbraunen bis honigfarbigen Tönen verfärbt. Die charakteristische rotbraune Farbe in Miesschen Bauten ist also natürlich entstanden und wurde nie künstlich erzeugt. Diese besondere Färbung ist allerdings nicht sehr lichtbeständig und so sind über die Jahre Oberflächen wie die der Garderobe in der oberen Halle deutlich ausgebleicht. Die gleichmäßige Oberflächenfarbe wiederherzustellen, war eine besondere Herausforderung, weil die Hölzer in der Bauzeit mit Leinöl behandelt wurden und ein einfaches Beizen zu fleckigen Ergebnissen geführt hätte. So musste ein komplexes Verfahren entwickelt werden, in dem in mehreren reversiblen Schichten Schellack und eine pigmentierte Lasur aufgetragen wurden, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen.

Die Holzrestaurierung war aber nur eines der Themen von ProDenkmal. Auch der Originalanstrich der Stahlbauteile wurde in aufwendigem Verfahren unter vielen späteren Farbschichten freigelegt und teilweise in penibler Handarbeit restauriert und ergänzt.

Ein besonderes Augenmerk legte Mies, selbst Sohn eines Steinmetzes, beim Bauen auf die Verwendung von Naturstein. Insgesamt 14.000 der charakteristischen Granitplatten aus der großen Halle und der umlaufenden Terrasse mussten Steinmetze für die Sanierung kartieren, katalogisieren, demontieren und bis zur Wiederverwendung einlagern. Mit Hilfe der genauen Kartierung, die die Lage und Ausrichtung jedes Werkstücks dokumentiert, kann nach der Sanierung jede Platte wieder an ihrem Originalplatz eingesetzt werden. In der Zwischenzeit werden die Steine von Fachleuten bei ProDenkmal gereinigt, gebrochene Elemente und Risse werden geklebt und Fehlstellen ergänzt. Nur im schlimmsten Fall, bei kompletter Zerstörung des Steines, wird eine Platte ersetzt.
Im Zuge des Ausbaus der Steinplatten konnte übrigens deren bislang unbekannte Herkunft geklärt werden: Vergleichstests ergaben, dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um „Striegauer Granit“ handelt, der bis heute nahe der niederschlesischen Stadt Striegau (polnisch Strzegom) gebrochen wird.

Noch weitaus edlere Steine begegneten den Sanierern im Innern der Neuen Nationalgalerie. Die Versorgungsschächte in der oberen Halle sind mit handverlesenen Platten aus grünem Tinos Marmor verkleidet. „Mies wollte damit die Farbe Grün in die Halle bringen, die aber nicht so dominant sein sollte, als dass eine Konkurrenz für die ausgestellten Bilder entstünde“, erinnerte sich der Mies-Enkel und damalige Projektleiter im Büro des Architekten, Dirk Lohan, bei einer Baustellenbegehung 2017. „Daher wurden die Platten lediglich stumpf geschliffen und nicht poliert, damit sie keine Reflexionen hervorrufen.“ Um die Schächte im Zuge der Grundinstandsetzung mit modernen Haustechnikelementen zu bestücken, muss eine Seite der wertvollen Verkleidung geöffnet werden. Die anderen Flächen werden während der Bauzeit geschützt und nur gereinigt – die Gefahr einer Beschädigung ist zu groß, um sie alle zu entfernen.

Wo ist die Kunst?

Neben der baulichen Sanierung beschäftigte das Team der Neuen Nationalgalerie seit der ersten Stunde auch die Frage, was während der Schließung des Museums mit der Kunst geschehen soll. Hier waren umfangreiche Recherchen nötig: Welche Sicherheitsstandards müssen eingehalten werden und welche klimatischen Bedingungen brauchen die Kunstwerke?

Schließlich wurden 967 Gemälde, 459 Skulpturen und 24 Außenskulpturen der Sammlung der Neuen Nationalgalerie auf eigene Depots der Staatlichen Museen zu Berlin auf der Museumsinsel, in Charlottenburg und in Hohenschönhausen sowie auf angemietete Flächen in Großbeeren und Oberschöneweide verteilt. Von November 2014 bis August 2015 dauerten die Vorbereitungen für den Transport, von Juli 2015 bis Dezember 2015 wurden die Kunstwerke verpackt und transportiert. Vor Ort in den Depots behält die Restauratorin der Neuen Nationalgalerie, Hana Streicher, seither den Überblick. Sie fährt regelmäßig zu den Lagern hinaus, kontrolliert den Zustand der Kunstwerke und regelt außerdem den internationalen Leihverkehr mit Objekten aus der Sammlung, der auch während der Sanierung des Hauses weiter läuft.

Einige der Werke wandern auch innerhalb der Nationalgalerie. Seit November 2015 existiert im Hamburger Bahnhof die „Neue Galerie“, ein eigener Bereich, in dem während der Dauer der Schließung Werke aus der Neuen Nationalgalerie gezeigt werden. „Die erste Idee zur Neuen Galerie liegt schon länger zurück“, erklärte Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie, kurz vor der Eröffnung. „Wir haben diskutiert, wie wir weiterhin die Werke aus der Neuen Nationalgalerie unserem Publikum präsentieren können. Aber wir wollten nicht nur eine Aneinanderreihung von sogenannten Meisterwerken, vielmehr beabsichtigen wir, in neuen Konstellationen der Sammlung auch neue Perspektiven hinzuzufügen.“ Seither sind einige spannende Ausstellungsprojekte mit den Werken der Neuen Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof realisiert worden, u.a. die viel beachtete Schau „Die schwarzen Jahre“ über die Geschichten der Nationalgalerie zwischen 1933–1945, aber auch Rudolf Belling und Ernst Ludwig Kirchner wurden dort gezeigt.

Das jüngste Projekt, das momentan große Aufmerksamkeit bekommt, ist die Ausstellung „Emil Nolde - Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“. So bleibt die Neue Nationalgalerie auch während der langen Sanierung für die Berliner*innen sichtbar.