Surrealismus in Lateinamerika: Zeitschriften und Künstlerbücher
News vom 10.12.2024
Zum hundertsten Jahrestag des surrealistischen Manifests zeigt das Ibero-Amerikanische Institut anhand seltener Bestände, wie sich die subversive poetische und künstlerische Bewegung in Lateinamerika ausbreitete.
Am 15. Oktober 1924 erschien in Paris das erste surrealistische Manifest von André Breton. Es war der Beginn einer subversiven, poetischen Bewegung, die sich weltweit ausbreitete und bis heute in Kunst und Poesie fortwirkt. In Lateinamerika interessierten sich bald schon Intellektuelle, Künstler*innen und Poet*innen für die neue Bewegung. Sie übersetzten Texte, berichteten in Zeitschriften und schufen ihrerseits künstlerische Werke. Daraus hervor gingen oft bahnbrechende poetische Aktivitäten im Kontext lateinamerikanischer Avantgardeströmungen.
Zum hundertsten Jahrestag der Entstehung des Surrealismus zeigt die Vitrinenausstellung im Lesesaal des Ibero-Amerikanischen Instituts (IAI) Zeitschriften und Künstlerbücher, darunter seltene Erstausgaben und Widmungsexemplare, die sich zum großen Teil in den Beständen des IAI befinden. Sie zeugen von der verflochtenen, vielgestaltigen Geschichte des Surrealismus auf dem Kontinent. Die Ausstellung bringt die Exponate in einen historischen Zusammenhang und ermöglicht dadurch neue regionale und thematische Einblicke in die lateinamerikanischen Magnetfelder des Surrealismus.
Lateinamerikanische Magnetfelder des Surrealismus
Die surrealistische Bewegung pries die Freiheit, die Imagination und das Unbewusste, Traumwelten, Kindheitsphantasien und den Wahnsinn. Und sie entdeckte die poetische Kraft anderer, nicht-okzidentaler Welten.
Zunächst war Lateinamerika für die europäischen Surrealist*innen ein Territorium des Traums, der Sehnsucht und der politischen Projektionen. Dies zeigt sich zum Beispiel in der surrealistischen Weltkarte, die 1929 in der belgischen Zeitschrift Variétés erschien: Sie bildete die Welt entsprechend den surrealistischen Interessen in verzerrten Größenverhältnissen ab. So fand man in Lateinamerika das revolutionäre Mexiko und das präkolumbische Peru, während andere Regionen noch nicht im Horizont der europäischen Bewegung lagen. Doch bald wurde Lateinamerika für viele von ihnen – nicht zuletzt durch Flucht und Exil während des Zweiten Weltkriegs – zu einer realen Erfahrung von persönlicher und künstlerischer Freiheit.
Umgekehrt berichteten lateinamerikanische Intellektuelle schon Mitte der 1920er Jahre über den Surrealismus. José Carlos Mariátegui in Peru oder die Gruppe der Contemporáneos in Mexiko veranlassten Übersetzungen, Rezensionen und veröffentlichten surrealistische Werke. In Buenos Aires gründete Aldo Pellegrini 1926 eine surrealistische Gruppe und 1928 die erste surrealistische Zeitschrift spanischer Sprache mit dem Titel Qué (dt. Was). Die brasilianische Revista de Antropofagía verband im selben Jahr den Surrealismus ironisch mit einem indigenen Goldenen Zeitalter.
Auch in Paris standen lateinamerikanische Poet*innen und Intellektuelle den surrealistischen Aktivitäten schon in ihren Anfängen nahe, etwa die Dichter César Moro und César Vallejo aus Peru oder der kubanische Schriftsteller und Publizist Alejo Carpentier.
Susanne Klengel, Professorin für Literaturen und Kulturen Lateinamerikas am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin und Mitglied im Förderkreis des Ibero-Amerikanischen Instituts, hat unter Mitarbeit von Marcos Alves Medeiros de Araujo (Freie Universität Berlin) eine Ausstellung konzipiert, die anhand von Exponaten und Texttafeln Einblicke in die vielfältigen surrealistischen Aktivitäten und Publikationen sowie ihre Verflechtungen in Argentinien, Chile, Mexiko, Brasilien, Peru und der Karibik gibt. Dabei zieht sie auch Verbindungen etwa zur kollektiven Avantgarde-Bewegung des Estridentismo. Diese wurde in den 1970er Jahren u.a. wiederentdeckt von dem chilenischen Schriftsteller Roberto Bolaño, der seinerseits mit seinem Infrarealistischen Manifest surrealistische Ideen aufgegriffen hat.
Ausstellungseröffnung
- 12.12.2024, 19:00 Uhr
- Lesesaal des Ibero-Amerikanischen Instituts Stiftung Preußischer Kulturbesitz
- Potsdamer Str. 37, 10785 Berlin
Ausstellungsdauer: 13. Dezember 2024 – 1. März 2025
Öffnungszeiten: Mo-Fr 8–19 h / Sa 8–13 h (geänderte Öffnungszeiten über die Feiertage)
Eine Kooperation des Ibero-Amerikanischen Instituts mit dem ZI Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin und dem Förderkreis des Ibero-Amerikanischen Instituts
Weiterführende Links
Ausstellung „Surrealismus in Lateinamerika. Zeitschriften und Künstlerbücher“