Reform als Chance

News vom 29.09.2020

SPK-Präsident Hermann Parzinger zur Evaluation durch den Wissenschaftsrat

Hermann Parzinger
© SPK / photothek.net / Thomas Trutschel

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist die mit Abstand größte Kultureinrichtung in Deutschland und eine der größten weltweit. Mit ihren Museen, Bibliotheken, Archiven und Forschungsinstituten gehört sie zu den wenigen spartenübergreifenden Gedächtnisinstitutionen und gilt in gewisser Weise als deutsche „Smithsonian“. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, kurz SPK, hatte im Verlaufe ihrer über 60-jährigen Existenz gewaltige Herausforderungen zu bewältigen: die Rückführung der nach Westdeutschland ausgelagerten Sammlungen und Bestände sowie gleichzeitig den Ausbau West-Berlins zur Kulturmetropole mit den Standorten Dahlem und Kulturforum, ab 1990 dann die Integration der Mitarbeiterschaft im Ostteil der Stadt sowie die Zusammenfügung der nach Ost und West aufgeteilten Museen, Bibliotheken und Archive. Gigantische und zugleich dringend notwendige Sanierungs- und Neubauprojekte bestimmen seit mehr als zwei Jahrzehnten die Agenda der Stiftung und absorbieren alle Kräfte und Mittel, die andernorts in die Modernisierung von Strukturen und Ausstattung fließen. Das ist das Kernproblem der SPK. 

Der Personalbestand der Stiftung hat sich seit der Wiedervereinigung fast halbiert, nachdem er im Oktober 1990 schlagartig auf 3.500 angewachsen war, und nähert sich bald wieder dem Stand der alten West-Berliner SPK an. Doch die Zahl der Häuser und Sammlungen hat sich seit 1990 verdoppelt. Ferner kamen mit Digitalisierung und Provenienzforschung, Bildung und Vermittlung neue Aufgaben hinzu, die vor 30 Jahren gar keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielten. Diese drastische Unterausstattung führte zu Mangelwirtschaft und Dysfunktionalitäten. Eine grundlegende externe Evaluierung von Strukturen und Ressourcenausstattung der Stiftung war daher nicht mehr länger aufschiebbar. 

Wir in der SPK wollten diesen Schritt ausdrücklich, weil wir mit den Folgen der derzeitigen Situation Tag für Tag konfrontiert sind. Der Kulturstaatsministerin danke ich für den Mut, eine solche Neuordnung anzugehen, weil sie immer auch Folgen für die Träger hat. Dem Wissenschaftsrat schulden wir Dank und Respekt für seine ausführliche Befassung mit der Stiftung. Bericht und Empfehlungen liegen nun seit Mitte Juli vor, und schon jetzt zeigt sich, dass Bund und Länder gemeinsam mit uns den Weg der Reformen gehen wollen.

Zentrale Forderungen des Wissenschaftsrates sind – kurz gesagt – die Auflösung der Dachstruktur „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“, die rechtliche Selbständigkeit ihrer Einrichtungen, die weitgehende Entlassung der Länder aus ihrer Mitverantwortung und eine erheblich verbesserte Finanz- und Personalausstattung. Das Dach SPK habe in der Vergangenheit wichtige Aufgaben erfüllt, sei für die weitere Entwicklung der Museen, Bibliotheken, Archive und Forschungsinstitute der SPK jedoch hemmend und dysfunktional. 

An dieser Stelle sind durchaus Fragezeichen angebracht. Denn der Staatsbibliothek zu Berlin, dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz und dem Ibero-Amerikanischen Institut werden – völlig zu Recht – hervorragende Noten ausgestellt. So hemmend kann die Dachstruktur dann also nicht sein. Im Förderatlas der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für 2018 wird die SPK unter den besonders erfolgreichen außeruniversitären Einrichtungen geführt. Der Verbund kann also durchaus auch stärkend für seine Einrichtungen wirken. 

Die Stiftung ist eine auf historischen Zusammenhängen aufbauende Gesamtorganisation an der Schnittstelle von Kunst und Kultur einerseits und Wissenschaft und Forschung andererseits. Ihre Stärke schöpft sie gerade aus der Vielfalt ihrer Sammlungen und Bestände, aus unterschiedlichen institutionellen Formen und Logiken und aus der großen Bandbreite an in der SPK vertretenen geistes-, kultur-, sozial- und naturwissenschaftlichen Disziplinen. Alle diese Aspekte machen die Besonderheit des Verbundes SPK aus. Inhaltliche Verknüpfungen müssen dabei modern ausgestaltet und durch digitale Prozesse unterstützt werden.

Eine Trennung und Verselbständigung von Museen, Bibliotheken, Archiven und Forschungsinstituten, wie vom Wissenschaftsrat vorgeschlagen, ist dagegen ein sehr traditionelles Vorgehen, ein Sortieren entlang von Spartengrenzen vergangener Jahrhunderte, anstatt diese durchlässiger zu machen. Museen, Bibliotheken und Archive teilen schon lange wesentliche Werte und Praktiken. Deshalb ist der internationale Trend auch genau entgegengesetzt, im digitalen Zeitalter geht es eben gerade um mehr Vernetzung, nicht um weniger. Nur das Übergreifende bringt einen wirklichen geistigen Mehrwert, den wir auch deutlich machen wollen. 

Aber nicht nur spartenübergreifendem Denken und Arbeiten gehört die Zukunft, auch die ganz pragmatische Frage gemeinsamer Ressourcennutzung ist nicht trivial. Die Staatsbibliothek ist derzeit quasi das Rechenzentrum der ganzen SPK, das Geheime Staatsarchiv koordiniert die Einführung der E-Akte für alle SPK-Einrichtungen, und das Justiziariat der SPK arbeitet ebenfalls zur höchsten Zufriedenheit für alle. Dem gesteigerten Bedarf an Bauunterhalt und die bessere Koordination der rapide zunehmenden Bauaufgaben lässt sich nur mit einer zentralen Bauabteilung bei der SPK beikommen, und die Etablierung einer zentralen Vergabestelle war nicht nur eine Forderung des Bundesrechnungshofs, sondern trägt auch einem immer komplexer werdenden Vergaberecht Rechnung. Es gibt also sehr gute Beispiele für die Notwendigkeit einer gemeinsamen Nutzung von Ressourcen, Kompetenzen und Services. Das alles soll man vierfach betreiben?

Gleichwohl liegt der Schlüssel zu mehr Erfolg in einer größeren Autonomie und Eigenverantwortung der Einrichtungen der SPK. Das gelingt nur über Budget- und Personalhoheit. Hier ist die Stiftung zeitnah zu radikalen Veränderungen bereit.

Wir werden aber auch darüber sprechen müssen, ob eine fortbestehende SPK sich als eine Holding mit lediglich Verwaltungs- und Infrastrukturservices versteht, oder – im Zusammenwirken mit den Einrichtungen – auch inhaltliche Linien entwickeln soll. Eine SPK als spartenübergreifende Netzwerkstruktur, die etwa als außenkulturpolitischer Akteur größere globale Sichtbarkeit für seine Einrichtungen schafft, als Initiator von Forschungsinitiativen und -verbünden wirkt und immer wieder neue thematische Ausrichtungen und Korridore öffnet. Zudem sieht sich die SPK in ihrer Gesamtheit auch mit gesellschaftlichen Fragestellungen wie Nachhaltigkeit, Teilhabe und einem völlig veränderten Bildungsauftrag konfrontiert.

Wir haben bereits begonnen, die Wege dazu gemeinsam und professionell begleitet mit den Einrichtungsleitungen und Führungskräften in einer Strategiekommission der SPK zu entwickeln und mit der von Bund und Ländern in unserem Stiftungsrat eingesetzten Reformkommission zu diskutieren. Die Direktorinnen und Direktoren der Staatlichen Museen zu Berlin haben recht: Wir wollen keine von oben verordneten Veränderungen. Deshalb ist es wichtig, dass die gesamte Mitarbeiterschaft der SPK kontinuierlich informiert und zur Mitarbeit eingeladen wird, hierfür schaffen wir derzeit die entsprechenden Strukturen und Formate. Top-down und Bottom-up müssen gut ineinandergreifen, und ich bin optimistisch, dass das gelingen wird. Bund und Länder haben durch ihre hochrangige Mitwirkung in der Reformkommission auf Minister- bzw. Senatorenebene gezeigt, dass sie sich der großen Verantwortung bewusst sind. Das ist ein ermutigendes Zeichen.

Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates setzen gerade durch ihre Radikalität eine Kraft und Dynamik frei, die das Flaggschiff unter den deutschen Kultureinrichtungen auch dringend braucht. Nun besteht die einmalige Chance für die SPK und ihre Einrichtungen, sich wirklich zu erneuern. Ich wünsche mir dabei auch eine breite öffentliche Debatte über die Frage, wie eine „SPK4.0“ aussehen könnte. Wir in der SPK sind zu radikalen Veränderungen bereit. Wenn daraus eine wirkliche Erfolgsgeschichte werden soll, kann das aber nur der erste Schritt sein. Der zweite muss von unseren Trägern kommen und bedeutet mehr Geld und mehr Stellen.

Preußen war als Kultur- und Bildungsstaat weithin bekannt für seine Fähigkeit, tiefgreifende Reformen zu Erfolgsgeschichten werden zu lassen, die zum Teil bis heute nachwirken. Die SPK sollte sich darauf besinnen und zeigen, dass sie „Preußen“ – so verstanden – mit Recht im Namen führt. 

Dieser Beitrag erschien zuerst in Politik und Kultur 10/2020.

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